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Dr. Daniel Busse

Dr. Daniel Busse, LL.M. (Columbia) ist ausschließlich in Schiedsverfahren tätig und wird in allen wichtigen Verzeichnissen als herausragender Schiedsrechtler genannt. Bei Chambers ist Dr. Busse als einer von nur drei Rechtsanwälten in Deutschland in Kategorie 1 aufgeführt. Er ist sowohl als Parteivertreter als auch als Schiedsrichter tätig (letzteres in bislang mehr als 50 Schiedsverfahren). Dr. Busse ist Namenspartner der Kanzlei Busse Disputes.

Katharina Peters

Katharina Peters, LL.M. ist Senior Associate in der Kanzlei Busse Disputes. Sie vertritt Mandanten in Schiedsverfahren und Verfahren vor staatlichen Gerichten. Ihr besonderer Fokus liegt dabei auf Auseinandersetzungen im Energiesektor und auf baurechtlichen sowie allgemeinen handelsrechtlichen Streitigkeiten.

Hintergrund

Lange Zeit waren Parteien einer Schiedsvereinbarung vor der Konstituierung des Schiedsgerichts für einstweiligen Rechtsschutz auf staatliche Gerichte angewiesen. Dies empfanden viele Parteien als unbefriedigend, hatten sie sich mit der Schiedsvereinbarung doch ausdrücklich gegen die staatliche Gerichtsbarkeit entschieden. Daher führten mit der Zeit viele Schiedsorganisationen sog. Eilschiedsverfahren (Emergency Arbitration) ein. Im Rahmen der Überarbeitung ihrer Schiedsgerichtsordnung zum 1. Januar 2012 ergänzte auch die ICC mit Art. 29 i.V.m. Anhang V der ICC-Regeln eigene Eilschiedsrichterregeln. Seitdem gelten die Eilschiedsrichterregeln für alle Schiedsvereinbarungen, die nach dem 1. Januar 2012 abgeschlossen wurden und diese nicht ausdrücklich ausschließen (sog. Opt-out-Prinzip). Daneben steht den Parteien für einstweiligen Rechtsschutz auch weiterhin der Weg zu den staatlichen Gerichten offen.

Im Jahr 2018 hat die ICC eine Task Force beauftragt, um eine umfassende Analyse der bis dahin anhängigen 80 ICC-Eilschiedsverfahren durchzuführen. Der mehr als sechzigseitige Bericht der Task Force wird in diesen Tagen vorgestellt. Im Rahmen ihrer Auswertung hat die Task Force zudem 46 Länderreports bei den ICC-Nationalkomitees zum Status von Eilschiedsrichtern in den verschiedenen Jurisdiktionen sowie zur Vollstreckbarkeit der Beschlüsse in Auftrag gegeben. Der umfangreiche Bericht der Task Force analysiert sowohl verfahrens- als auch materiellrechtliche Themen rund um die bisherigen Eilschiedsverfahren und gibt damit interessante Einblicke in die Welt des Eilschiedsverfahrens.

Was ist ein Eilschiedsverfahren?

Bis ein Schiedsgericht konstituiert ist und seine Arbeit aufnehmen kann, dauert es oft mehrere Wochen. Es gibt jedoch Situationen, in denen Parteien kurzfristig Rechtsschutz benötigen, um einen Zustand vorläufig zu sichern oder zu regeln. So mag der Gegner damit drohen, eine Erfüllungsgarantie zu ziehen, oder die Parteien streiten um eine Weiterbelieferungspflicht bei Just-in-time-Lieferketten.

Sind die ICC-Eilschiedsrichterregeln anwendbar, kann die betroffene Partei entscheiden, ob sie einstweiligen Rechtschutz vor staatlichen Gerichten oder vor einem Eilschiedsrichter sucht. Beide Verfahren haben gemeinsam, dass zum Zeitpunkt der Antragsstellung noch keine Klage erhoben sein muss. Allerdings muss bei einem Eilschiedsverfahren die Schiedsklage innerhalb von zehn Tagen nach Antragstellung eingereicht werden. Die Entscheidung zwischen diesen Rechtschutzmöglichkeiten hängt davon ab, was für die Partei wichtiger ist: Eilschiedsverfahren zeichnen sich durch ihre Vertraulichkeit, besondere Expertise des Eilschiedsrichters und territoriale Neutralität aus. Staatliche Gerichte bieten (jedenfalls in Deutschland) die Möglichkeit einer Entscheidung innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden ohne vorherige Anhörung der Gegenseite (sog. ex-parte-Entscheidung) und damit einen Überraschungseffekt. Zudem sind Entscheidungen staatlicher Gerichte leichter vollstreckbar.

Entscheidet sich eine Partei für das Eilschiedsverfahren, wird dieses durch einen Antrag beim ICC-Sekretariat eingeleitet. Anders als im klassischen Schiedsverfahren wird der Eilschiedsrichter durch den Präsidenten des ICC-Gerichtshofs ernannt. Oftmals ähnelt das Eilschiedsverfahren einem „Minitrial“ mit zwei Schriftsatzrunden und einer mündlichen Verhandlung. Am Ende bekommen die Parteien dann eine begründete Entscheidung – was nach unserer Erfahrung sehr zur Befriedung einer Vertragsbeziehung beitragen kann. Regelmäßig sind solche Verfahren in maximal 15 Tagen abgeschlossen.

Ergebnisse der Task Force

In ihrem unlängst veröffentlichten Bericht zieht die ICC Task Force eine äußerst positive Bilanz aus den ersten 80 Eilschiedsverfahren. Die Ergebnisse der Task Force zeigen, dass sich die ICC-Regeln bewährt haben und in der Praxis hervorragend angenommen werden. Daher sieht die Task Force auch keinen Änderungsbedarf hinsichtlich des geltenden Regelwerks. Modifikationen der entsprechenden ICC-Regeln sind somit nach unserer Einschätzung zeitnah nicht zu erwarten.

Die Auswertung der Task Force zeigt, dass Eilschiedsverfahren schnelle Entscheidungen bringen und damit eine echte Alternative zu staatlichen Eilverfahren sind. Die Dauer des Verfahrens ist beim einstweiligen Rechtsschutz naturgemäß ein kritischer Faktor. Dem tragen die ICC-Regeln durch kurze Fristen Rechnung. Die Ernennung des Eilschiedsrichters hat innerhalb von zwei Tagen zu erfolgen. Dieser hat dann ab Übergabe der Akten innerhalb von 15 Tagen seinen Beschluss zu erlassen. Dieser Zeitrahmen ist ambitioniert, aber auch – dies zeigt die Auswertung der Task Force – realistisch. In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle wurde der Eilschiedsrichter innerhalb von zwei Tagen ernannt. Oft ging dies sogar deutlich schneller. Der Beschluss des Eilschiedsrichters erging in fast allen Verfahren innerhalb der 15-Tages-Frist oder wenige Tage danach.

Vorschläge zur Erhöhung der Verfahrenseffizienz

Allerdings kommt die Task Force auch zu dem Ergebnis, dass Eilschiedsverfahren noch deutlich effizienter und damit auch schneller sein könnten. Die ICC-Regeln eröffnen dem Eilschiedsrichter und den Parteien ein hohes Maß an Flexibilität hinsichtlich der Gestaltung des Verfahrens, da sie kaum zwingende Vorgaben enthalten. Vorbehaltlich etwaiger Vereinbarungen der Parteien oder zwingenden Rechts kann der Eilschiedsrichter daher das Eilverfahren nach seinem Ermessen an die Besonderheiten des Einzelfalles anpassen. Eilschiedsrichter nutzten diese Freiheit in den Augen der Task Force noch zu wenig. Viele der bisherigen Eilschiedsverfahren seien einem eher klassischen Ablauf gefolgt: Zwei Schriftsatzrunden, eine mündliche Verhandlung. Die Task Force plädiert daher dafür, das Verfahren zukünftig stärker auf ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen. Zu diesem Zweck enthält der Bericht eine Vielzahl konkreter Vorschläge dazu, wie das Verfahren gestrafft werden könne. Hilfreich sei insbesondere eine frühe telefonische Verfahrenskonferenz. Zudem sollen Eilschiedsrichter stärker als in normalen Schiedsverfahren auf die Einhaltung von Fristen achten und die Anzahl und den Umfang der Schriftsätze limitieren. Die Task Force legt Eilschiedsrichtern zudem die ICC-Regeln für beschleunigte Verfahren („Expedited Procedures Rules″ – soweit im Einzelfall zulässig) ans Herz.

Einstweilige Anordnungen möglich?

Manchmal benötigt eine Partei allerdings innerhalb weniger Tage einstweiligen Rechtschutz. Der Bericht der Task Force zeigt, dass das Eilschiedsverfahren häufig auch in solchen Fällen eine Option ist. Zwar ist eine echte ex-parte-Entscheidungen nach den ICC-Regeln praktisch unmöglich und nach Ansicht der Task Force auch unzulässig. Allerdings geht aus dem Bericht der Task Force hervor, dass jedenfalls in einem Fall ein Eilschiedsrichter vor Eingang der Erwiderung des Antragsgegners eine einstweilige Sicherstellungsanordnung (freezing order) erlassen habe, die auf den einstweiligen Erhalt des Status quo während des Eilschiedsverfahrens gerichtet war. Auch das ICC-Sekretariat geht davon aus, dass solche einstweiligen Anordnungen möglich sind. Dies ist jedoch in der durchaus nicht unumstritten. Dennoch zeigt sich, dass auch in besonders eiligen Fällen Eilschiedsverfahren in Betracht gezogen werden sollten.

Kosten von Eilschiedsverfahren

Interessant ist ein Eilschiedsverfahren auch mit Blick auf die Kosten. Anders als in staatlichen Verfahren sind diese nicht vom Streitwert abhängig. Eine Übersicht über die durchschnittlich in den Eilverfahren angefallen Kosten enthält der der Bericht der Task Force nicht. Allerdings sind die von der ICC veranschlagten Kosten absolut vertretbar, berücksichtigt man den zeitlichen Aufwand eines Eilschiedsrichters. Der vom Antragsteller zu entrichtende Kostenvorschuss für ein Eilschiedsverfahren beträgt USD 40.000. Darin enthalten sind die Verwaltungskosten der ICC mit USD 10.000 sowie das Honorar und die Auslagen des Eilschiedsrichters mit USD 30.000. Die ICC behält sich vor, das Honorar und die Verwaltungskosten unter bestimmten Umständen zu erhöhen. Ob dies in den bisherigen Fällen vorgekommen ist, lässt sich dem Bericht der Task Force nicht entnehmen. Die finale Festsetzung und Verteilung der Kosten erfolgt durch den Eilschiedsrichter im Rahmen seines Beschlusses. In ihrem Bericht setzt sich die Task Force insbesondere mit der Kostenverteilung auseinander. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Kostenverteilung überwiegend auf Basis des in Schiedsverfahren üblichen costs follow-the-event-Prinzips erfolgte.

Entwicklung von Best-Practice für Eilschiedsverfahren

Darüber hinaus setzt sich die Task Force in ihrem Bericht detailliert damit auseinander, welche Anforderungen an einen zulässigen und begründeten Antrag auf Anordnung einer Eilmaßnahme zu stellen sind. Die ICC-Regeln geben hier lediglich vor, dass die beantragten dringenden Sicherungs- und vorläufigen Maßnahmen nicht bis zur Bildung des Schiedsgerichts warten können. Die Task Force kommt zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Fälle keine einheitliche Herangehensweise erkennen lassen. Hier will die Task Force mit ihrem Bericht Abhilfe schaffen und Anleitung geben. Der Bericht enthält daher detaillierte Ausführungen dazu, nach welchen Kriterien Eilschiedsrichter sich mit Fragen der Anwendbarkeit der ICC-Regeln, der Zuständigkeit, Zulässigkeit und Begründetheit auseinander setzen sollten. Damit ist der Bericht aus unserer Sicht sowohl für Anwälte als auch Eilschiedsrichter eine hilfreiche Quelle und wird zukünftig dazu beitragen, dass sich in Eilschiedsverfahren eine eigene best practice entwickelt.

Frage der Vollstreckbarkeit

Die Task Force beschäftigt sich in ihrem Bericht auch eingehend mit der Problematik der Vollstreckbarkeit und kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Problem keinesfalls überbewertet werden sollte. Wie allen Schiedsgerichten fehlt es auch dem Eilschiedsrichter an Vollstreckungsbefugnissen. Daher bedarf es für die Vollstreckung der Mithilfe staatlicher Gerichte. Da Eilschiedsverfahren größtenteils jedoch eine Erscheinung des letzten Jahrzehnts sind, sind sie den Gesetzen der meisten Länder (noch) unbekannt. Dies gilt auch für Deutschland. Dennoch steigt Zahl von Eilschiedsverfahren stetig an, was zeigt, dass sich die Nutzer von Fragen der Vollstreckbarkeit nicht abschrecken lassen. Parteien unterwerfen sich in der Regel freiwillig der Schiedsgerichtsbarkeit. Die Auswertung der bisherigen Fälle legt nahe, dass in einer großen Mehrheit der Fälle die Parteien die Anordnungen des Eilschiedsrichters auch freiwillig befolgen. Eine Vollstreckung ist daher nur in wenigen Fällen überhaupt erforderlich. Hierzu trägt auch bei, dass ein Eilschiedsverfahren nach den ICC-Regeln unweigerlich das Schiedsverfahren in der Hauptsache nach sich zieht. Es liegt daher nahe, dass Parteien im Falle einer Nichtbefolgung negative Konsequenzen im Rahmen des Schiedsverfahrens fürchten. Denn das Schiedsgericht der Hauptsache kann nach den ICC-Regeln über Ansprüche entscheiden, die sich im Zusammenhang mit der Einhaltung oder Nichteinhaltung von Eilbeschlüssen ergeben können. Die Frage der Vollstreckbarkeit sollte daher keinesfalls überbewertet werden. Zudem zeigt ein Blick in den dem Bericht beigefügten tabellarischen Länderreport über die Vollstreckbarkeit von Eilschiedsbeschlüssen in 46 Ländern, dass die Zahl der Länder, die ihre Vollstreckbarkeitsregeln auf Entscheidungen von Eilschiedsrichtern ausweiten, stetig wächst.

Eine echte Alternative zu staatlichen Verfahren

Der Bericht der ICC Task Force zeigt, dass das Eilschiedsverfahren in den letzten Jahren zu einer ernstzunehmenden Alternative zu Eilverfahren vor staatlichen Gerichten geworden ist. Das Eilschiedsverfahren ermöglicht einen effektiven Rechtsschutz im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit auch dann, wenn noch kein Schiedsgericht konstituiert ist. Die Ergebnisse der Task Force zeigen, dass sich die Verfahrensregeln der ICC für Eilschiedsverfahren bewährt haben. Änderungsbedarf hinsichtlich des geltenden Regelwerks sieht die Task Force nicht, sodass Modifikationen der entsprechenden ICC-Schiedsregeln eher nicht zu erwarten sind. Mit Einsatz der richtigen Case Management Tools können Eilschiedsverfahren äußerst effizient und auf den jeweiligen Fall zugeschnitten geführt werden – hierzu gibt die Task Force Empfehlungen, die möglicherweise von Eilschiedsrichtern in der Zukunft verstärkt aufgegriffen werden. Dazu gehört beispielsweise eine einleitende telefonische Verfahrenskonferenz sowie Verfahrenstechniken, wie sie in den ICC-Regeln für beschleunigte Verfahren („Expedited Procedures Rules“) angewendet werden.

In Zeiten, in denen Schiedsverfahren oftmals durch ihre lange Dauer auffallen, kommt die Task Force zu dem Ergebnis, dass die Mehrzahl der ICC-Eilschiedsverfahren innerhalb von wenigen Wochen entschieden wird. Die Ernennung des Eilschiedsrichters dauert in der Regel maximal zwei Tage. In fast allen Fällen lag eine Entscheidung des Eilschiedsrichters innerhalb der vorgesehenen 15 Tage oder wenige Tage danach vor. Auch mit Blick auf die Kosten kann ein Eilschiedsverfahren interessant sein, da diese unabhängig vom Streitwert sind. Der vom Antragsteller zu entrichtende Kostenvorschuss für ein Eilschiedsverfahren beträgt USD 40.000. Darin enthalten sind die Verwaltungskosten der ICC sowie das Honorar und Auslagen des Eilschiedsrichters. Die finale Festsetzung und Verteilung der Kosten erfolgt durch den Eilschiedsrichter in seinem Beschluss. Überwiegend erfolgt die Kostenverteilung auf Basis des costs follow-the-event– Prinzips.

Entscheidungshilfe für die Praxis

Ob eine Partei auf das ICC-Eilschiedsverfahren oder auf staatlichen Eilrechtsschutz zurückgreift, sollte jeweils im Einzelfall abgewogen werden. Sind besonderen Expertise, Vertraulichkeit und territorialen Neutralität wichtig, jedoch ein Überraschungseffekt nicht notwendig, ist der Eilschiedsrichter vielfach die bessere Option. Auch das oft zitierte „Vollstreckungsproblem“ verliert bei näherer Betrachtung viel von seiner Bedeutung. Weitgehend alternativlos ist das staatliche Eilrechtsschutzverfahren nur dann, wenn es um einstweilige Maßnahmen gegen Dritte geht, die nicht der Schiedsvereinbarung unterworfen sind, oder wenn in Fällen besonderer Dringlichkeit Entscheidungen ohne vorherige Anhörung der Gegenseite erlassen werden müssen (sog. ex-parte-Entscheidungen).

 

 

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 08, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.

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