Die meisten von uns haben sicher noch die Bilder vom Suezkanal im Kopf, wo im März 2021 das Containerschiff „Ever Given“ auf Grund gelaufen ist: Mehr als 400 Schiffe standen dort tagelang still. Dadurch ist ein massiver Schaden für viele Zulieferer entstanden – „und auch für die gesamte Globalisierung“, wie Münür Karaca, Inhaber der Firma Logsprint für supply chain consulting, feststellt. „Dieses Unglück am Suezkanal hat der Welt vor Augen geführt, wie empfindlich vor allem die Logistikkette zwischen Fernost und Europa sein kann. Man sieht, wie engmaschig das globale Netz der Beschaffung von Materialien und Produkten heute ist. Und der Vorfall zeigt auch, wie abhängig wir von Südostasien sind.“

Stau befeuert Containerknappheit

Zudem befeuert er ein sehr drängendes Problem: Container sind rar. „Ich bin seit 1999 im Transportgewerbe tätig und so eine Knappheit wie sie derzeit herrscht, habe ich noch nicht erlebt“, so Karaca. „Vor kurzem musste ich zwei, drei Standardcontainer aus Istanbul nach Hamburg transportieren. Da hieß es, dass man sie vier Wochen im Voraus buchen müsse. Früher haben wir schon gestöhnt, wenn wir fünf Tage auf einen leeren Container warten mussten.“ Seiner Ansicht nach haben die Reedereien diese Entwicklung mitverursacht, da sie in den vergangenen Jahren das Containerangebot bewusst künstlich verknappt haben: „Man hat schlichtweg Container verschrottet oder anderweitig aus dem Verkehr gezogen, damit die Preise anziehen. Teilweise wurden auch ganze Schiffe auf Reede gelegt. Oder man hat Container leer durch die Gegend gefahren.“

Enormer Preiskampf

Karaca gibt jedoch auch zu bedenken: „Im Endeffekt sind wir alle mit Schuld daran. Die Transporteinkäufer wurden dazu verdonnert, die Preise soweit wie nur möglich runterzudrücken. Als ich diese Aufgabe noch innehatte, waren wir immer dazu angehalten, so günstig wie möglich einzukaufen. Dadurch ist ein enormer Preiskampf unter den Anbietern entstanden und viele kleine und mittlere Seetransportunternehmen konnten nicht mithalten, sind pleite gegangen oder wurden aufgekauft.“ Aus Knappheit folgen höhere Preise: Laut Münür Karaca sind die Frachtkosten teilweise um mehr als das Achtfache der vorher üblichen Werte gestiegen. Er nennt ein Beispiel: Vor rund vier Jahren habe der Transport eines Standardcontainers nach den Incoterms FOB – Free on Board – ab dem Shanghaier Hafen zum Hafen Hamburg CFR – Cost and Freight – 800 US-Dollar gekostet, Mitte 2021 rufen die Reedereien Preise um die 7.000 US-Dollar dafür auf.

Globalisierung habe „beste Zeiten hinter sich“

Der Experte glaubt, dass die Globalisierung „ihre besten Zeiten hinter sich hat“: „Wenn man nach China und in die USA schaut, sieht man, dass von dort kaum Interesse besteht, die Globalisierung weiter voranzutreiben. In den kommenden Jahren werden wir uns wieder in Richtung Osteuropa und auf unser näheres Umfeld zurückbesinnen.“ Perspektivisch könne sich diese Entwicklung wieder umkehren: Wenn beispielsweise Einflussfaktoren wie Zölle die Hürden für den Handel deutlich erhöhen, wird es laut dem Logistiker zur Deregulierung kommen und dann wieder zu einer stärkeren Globalisierung. Vorerst prognostiziert er jedoch die Rückbesinnung auf das Lokale: „Die Lieferantinnen und Lieferanten vor Ort werden wieder deutlich wichtiger. Sie müssen gestärkt werden, genau wie die einheimische Produktion. Die Immer-billiger-Mentalität ist schon mit Blick auf die Klimaziele nicht mehr vertretbar.“

Nachhaltigkeit auf allen Ebenen ist gefragt

Um die nötigen Änderungen zu bewirken brauche es bei den Akteuren dringend die Bereitschaft, höhere Löhne zu zahlen. Karaca mahnt dabei auch an, dass ein niedriger Lohn die Produktivität der Mitarbeitenden hemme: „Wenn ich diese Menschen angemessen entlohne, dann kann ich ihnen auch mehr Produktivität abverlangen – denn dann machen sie ihre Arbeit gerne. So kostet eine Anlage vielleicht deutlich mehr, aber entweder wird alles gleichmäßig teurer oder wir machen uns wieder von China abhängig. Und das wiederum hat letztlich vielleicht einen viel höheren Preis.“ Es ist also Nachhaltigkeit auf allen Ebenen gefragt.

Unglück im Suezkanal ist ein Lehrstück

Den Stau vom Suezkanal schätzt er als Präzedenzfall ein, eine Art Lehrstück in puncto negativer Transportschaden. Ein Unglück solchen Ausmaßes können auch die Incoterms allein nicht abdecken. Sie erleichtern zwar deutlich den internationalen Handel, indem sie Lieferort, Gefahrenübergang und Pflichten regeln. Doch einen komplexen Fall wie dieses Unglück können sie pauschal alleine nicht lösen. „Wenn sich im Herbst alle Auswirkungen des Staus voraussichtlich wieder etwas beruhigt haben, kann das angegangen werden. Die Versicherungen werden klären müssen, wie hier ein Ausgleich passieren kann“, so Münür Karaca. „Sie müssen mit gesundem Menschenverstand einschätzen, wie hoch die entstandenen Schäden sind und wie die Betroffenen entschädigt werden können.“