Inhalt
Merit Olthoff

Merit Olthoff ist Principal Associate im Berliner/Brüsseler Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer. Zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten zählen das europäische und deutsche Wettbewerbsrecht mit Fokus auf das EU-Beihilferecht, wie der European Green Deal und Nachhaltigkeit an der Schnittstelle zum EU Beihilfe- und Kartellrecht.

Auf den ersten Blick scheinen die strengen Vorschriften des EU-Kartellrechts Kooperationen zwischen Unternehmen zum Erreichen von Nachhaltigkeitszielen häufig entgegenzustehen. Tatsächlich existieren jedoch Beispiele dafür, dass Nachhaltigkeitsaspekte in diesem Bereich bereits positiv berücksichtigt werden und das Thema „Nachhaltigkeit und EU-Kartellrecht“ weiter an Bedeutung zunimmt.

Spätestens seit der Unterzeichnung des Übereinkommens von Paris im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention und der Bekanntgabe des European Green Deal der Europäischen Kommission ist das Thema Nachhaltigkeit (sustainability) in der gesellschaftlichen und politischen Debatte endgültig angekommen. Auch die Privatwirtschaft hat dieses Thema als bedeutenden Wettbewerbsfaktor erkannt und nimmt eine immer aktiver werdende Rolle bei der Förderung von Nachhaltigkeitsinitiativen ein. Allerdings hat sich auch die Erkenntnis eingestellt, dass u.a. aufgrund des „first-mover disadvantage“ Unternehmen oftmals nicht eigenständig umfassende Verbesserungen der Klimaschutz- und Umweltziele erreichen können bzw. dafür Einbußen im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit hinnehmen müssten. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das eines bekannten Deodorantherstellers: Dieser hatte eine Methode entwickelt, Deodorants zu komprimieren. Indem die Durchflussrate reduziert wurde, konnte die Menge an benötigtem Treibgas um 50% und die des verwendeten Aluminiums um 25% reduziert werden.[1] So konnte im Ergebnis der CO2-Fußabdruck jedes einzelnen Deodorants um 25% gesenkt werden. Das Unternehmen stellte diese Technologie seinen Wettbewerben zur Verfügung, diese entschieden sich jedoch gegen deren Einführung, weil die Verbraucher – trotz der (wohl unerkannt gebliebenen) Vorteile des Produkts für die Umwelt – ihre Kaufgewohnheiten nicht änderten. Die Technologie setzte sich nicht durch, da Verbraucher ein größeres Deodorant mit mehr Inhalt verbinden. Um das Scheitern technologischer Fortschritte zum Erreichen von Nachhaltigkeitszielen zu verhindern, sind deshalb häufig branchenweite Vereinbarungen über Nachhaltigkeitsaspekte mit einem möglichst breiten Teilnehmerkreis erforderlich.

Nachhaltigkeit und EU-Kartellrecht – Rechtsunsicherheit bei der Anwendung von Art. 101 III AEUV

Sogenannten Nachhaltigkeitsinitiativen ist gemeinsam, dass sie ein erhebliches Risiko enthalten gegen EU-Kartellrecht zu verstoßen und unzulässige Vereinbarungen gemäß Art. 101 I AEUV darzustellen. Entscheidend ist regelmäßig, ob Kooperationen, durch die Nachhaltigkeitsaspekte gefördert werden sollen, im Einzelfall gemäß Art. 101 III AEUV freigestellt sein können. Dies setzt nach den sog. Horizontalleitlinien der Kommission vor allem voraus, dass die durch den Abbau der Umweltbelastung entstehenden Vorteile für den einzelnen Verbraucher die Kosten der Wettbewerbsbeschränkung überwiegen. Ein Beispiel aus der Entscheidungspraxis der Kommission hierzu ist eine Vereinbarung zur Senkung des Stromverbrauchs von Waschmaschinen (Entscheidung der Kommission vom 24. Januar 1999, Sache Nr. IV.F.1/36.718 – CECED). Diese Vereinbarung zwischen Wettbewerbern war u.a. deswegen freigestellt, weil die zukünftige Einsparung von Energiekosten die den Verbraucher belastende Preiserhöhung für den Kauf einer energieeffizienteren Waschmaschine überkompensiert hatte.

Trotz dieser Grundsätze ist es für Unternehmen und deren Rechtsberater derzeit nur begrenzt möglich, vorherzusehen, ob die Kommission und nationale Wettbewerbsbehörden Vereinbarungen, die Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen, als mit dem Kartellverbot vereinbar ansehen. Dies gilt vor allem für Vereinbarungen, die nicht unmittelbar messbar eine entsprechende Beteiligung des einzelnen Verbrauchers am Gewinn bewirken, sondern ausschließlich gesamtgesellschaftlich relevante und/oder langfristige Vorteile (z.B. die Verringerung von Umweltschäden) aufweisen. Angesichts dieser Rechtsunsicherheit wäre es zu begrüßen, wenn die Wettbewerbsbehörden präzisieren würden, unter welchen Voraussetzungen eine Verbraucherbeteiligung am Gewinn im Sinne von Art. 101 III AEUV gegeben ist. Das heißt, dass damit nicht nur rein wirtschaftliche Kennziffern, sondern auch positive Auswirkungen auf die Umwelt sowie die Gesamtgesellschaft anerkannt werden.

Aktuelle Entwicklungen zum Thema Nachhaltigkeit und Kartellrecht

Zur Vereinbarkeit von Kartellrecht und Nachhaltigkeitsvereinbarungen haben sich jüngst hauptsächlich einzelne nationale Wettbewerbsbehörden geäußert. Insbesondere ist hier ein konkreter Leitlinienentwurf der niederländische Wettbewerbsbehörde (ACM) zu erwähnen. An diesem Vorschlag ist hervorzuheben, dass demnach eine mit Art. 101 III AEUV konforme Kooperation keine angemessene, individuelle Verbraucherbeteiligung aufweisen muss, sofern sie eine sog. Umweltschutzvereinbarung darstellt, die zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen, an die die niederländische Regierung durch einen nationalen oder internationalen Standard gebunden ist, effektiv beiträgt. Zuletzt veröffentlichte auch die britische Wettbewerbsbehörde (CMA) Leitlinien zur kartellrechtlichen Vereinbarkeit von Nachhaltigkeitsvereinbarungen. Demgegenüber ist das deutsche Bundeskartellamt bisher vorsichtiger und betont, dass es Nachhaltigkeitsbelangen in seiner bisherigen Praxis primär durch individuelle Guidance (ausreichend) Rechnung trägt.

Parallel zu diesen Entwicklungen hebt die Kommission mittlerweile hervor, dass auch das EU-Kartellrecht einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Ziele des European Green Deal (u.a. Klimaneutralität Europas bis 2050) leisten muss. Nachdem sie bereits im Rahmen einer Konsultation Ende 2020 verschiedene Stakeholder aufgefordert hatte, hierzu Vorschläge einzureichen, analysierte sie diese Beiträge und organisierte hierzu Anfang Februar 2021 eine Konferenz. Hierauf basierend plant die Kommission bis Ende 2021 eine Konsultation zur Möglichkeit der Überarbeitung ihres Soft Law in den Bereichen „horizontale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern“ und „vertikale Liefervereinbarungen“. Dadurch sollten zumindest die bereits oben beschriebenen, bestehenden Schwierigkeiten bei der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten im EU-Kartellrecht behoben werden.

Daher ist aufgrund dieser Entwicklungen jetzt der richtige Zeitpunkt für Unternehmen und Verbände, sich an der Debatte aktiv zu beteiligen. Unter diesem Gesichtspunkt stellt auch das ICC Working Paper „Competition Policy and Environmental Sustainability“ einen wichtigen Beitrag zu der Diskussion „Nachhaltigkeit und EU-Kartellrecht“ dar.

Fazit

Das EU-Kartellrecht berücksichtigt Nachhaltigkeitsaspekte bereits in gewissem Umfang. Damit es allerdings einen substantiellen Beitrag zur Erreichung von Umwelt- und Klimaschutzzielen leisten kann, muss ein klarer und praktisch umsetzbarer Rahmen geschaffen werden, der Unternehmen eine höhere Rechtssicherheit als bisher gewährleistet. Angesichts der Impulse der vergangenen Monate ist zu erwarten und zu hoffen, dass in diesem Bereich in naher Zukunft weitreichende Entwicklungen bevorstehen.

Der Beitrag zum Thema „Nachhaltigkeit und EU-Kartellrecht“ ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 12, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.

Bildnachweis: © undefined undefined – istockphoto.com