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Dr. David Saive

berät Unternehmen, Internationale Organisationen und Staaten bei der Digitalisierung des Außenhandels. Er ist u.a. als externer Special Advisor for International Trade, Finance & Digitalization für ICC Germany tätig.

In den letzten zwölf Monaten hat ICC Germany gemeinsam mit zehn weiteren Verbänden einen Vorschlag für den Rechtsrahmen und die Ausgestaltung elektronischer Fracht-, Lager- und Versicherungsdokumente erarbeitet. Er knüpft an die gemeinsame Stellungnahme der Verbände vom 2. September 2021 zur Verwendung elektronischer Handelsdokumente an, die jüngst Eingang in die Erklärung der G7-Digitalminister vom 11. Mai 2022 gefunden hat. Damit hat ICC Germany einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zum volldigitalen Handel in Deutschland und der Welt geschaffen.

Internationale Harmonisierung als Ziel

Bereits mit der Reform des Seehandelsrechts im Jahr 2013 hat der Gesetzgeber den Rahmen für die Verwendung elektronischer Transportdokumente und Traditionspapiere geschaffen. Mithilfe der digitalen Öffnungsklauseln für elektronische (See-)Frachtbriefe, Ladescheine, Lagerscheine und Konnossemente im Handelsgesetzbuch wurde der Einsatz elektronischer Dokumente ermöglicht. Dabei setzte der Gesetzgeber vollends auf die Herstellung der Funktionsäquivalenz der elektronischen Aufzeichnungen mit ihren papierbasierten Vorbildern. Ob der großen Interpretationsfähigkeit- und -bedürftigkeit der Anforderungen der Funktionsäquivalenz bestand indes Unsicherheit, wie ein vollständig rechtskonformes elektronisches Dokument geschaffen werden könne. Dazu kamen noch die Unsicherheiten der Einordnung elektronischer Traditionspapiere in das deutsche Wertpapier- und Sachenrecht. Überdies fehlten bisher Öffnungsklauseln für den Einsatz elektronischer Order-Transportversicherungszertifikate.

Die nun vorgelegten Entwürfe schließen diese Lücken und sorgen für Klarheit. Den Rechtsanwendern wird es anhand der Verordnung möglich sein, rechtssichere technische Lösungen zu entwickeln und einzusetzen. Zugleich betont der Verordnungsentwurf den ohnehin schon bestehenden Gleichlauf der deutschen Regelungen mit den internationalen Regelungswerken des UNCITRAL-Model Law on Electronic Transferable Records (MLETR) sowie des UK Electronic Trade Documents Bill, das wohl noch in diesem Jahr auch das Englische Recht für den Einsatz elektronischer Konnossemente, Wechsel & Co. öffnen wird. An dieser Stelle sei auch auf die Arbeiten der Digital Standards Initiative der ICC verwiesen, die sich bereits seit einiger Zeit für die internationale Harmonisierung des digitalen Handels einsetzt.

Zugleich wurden die Anforderungen des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) betreffend den elektronischen Frachtbrief (eCMR-Zusatzprotokoll) und der VO (EU) 2020/1056 des Europäischen Parlaments und des Rates über elektronische Frachtbeförderungsinformationen (eFTI VO) berücksichtigt. Der Entwurf fungiert damit zugleich als Bindeglied zwischen öffentlichen und zivilrechtlichen Anforderungen an die jeweiligen Dokumentenklassen und fügt sich damit nahtlos in die von den G7-Digitalminister:innen aufgestellten Anforderungen an die Digitalisierung ein.

Elektronische Transportversicherungspolice als Schlussstein

Neben den Ausführungen zu elektronischen Fracht- und Lagerdokumenten, enthält der Entwurf auch einen Vorschlag für einen vollständigen Rechtsrahmen für elektronische Transportversicherungszertifikate. Diese waren bisher nicht der elektronischen Darstellung zugänglich. Der Entwurf kopiert dabei die „digitalen Öffnungsklauseln“ für elektronische Fracht- und Lagerdokumente und erweitert diese wortgleich für Versicherungszertifikate. Damit wird es zugleich möglich, eine einheitliche Verordnung zur Regelung der Details aller elektronischen Dokumente des Handels umzusetzen.

Interoperabilität als Methode

Dieser Entwurf versteht sich als Bindeglied zwischen den verschiedenen internationalen Regelungsvorbildern für elektronische Transportdokumente und Traditionspapiere. Damit setzt der Entwurf die Tradition fort, die bereits mit der Reform des Seehandelsrechts begründet wurde. So fußt bereits der Begriff der „elektronischen Aufzeichnung“ auf dem internationalen Regelungsvorbild des „electronic record“ i.S.d. Art. 1 Nr. 18 der Rotterdam Regeln. Diese Formulierungen gehen wiederum zurück auf das UNCITRAL Model Law on Electronic Commerce. Daraus folgt bereits der gesetzgeberische Wille, nicht nur die technische Interoperabilität sondern auch rechtliche Kompatibilität der elektronischen Aufzeichnung im internationalen Geschäftsverkehr sicherzustellen.

Technologieneutralität als oberstes Prinzip

Erklärtes Ziel bei der Einführung der elektronischen Dokumente im deutschen Recht war es, eine vollends technologieneutrale Regelung zu schaffen, um der Praxis die Möglichkeit zu geben, flexibel eigene Lösungen zur Herstellung der Funktionsäquivalenz zu entwickeln. Leider erwies sich dieser Ansatz nicht als zweckmäßig. Vielmehr entstand eine Art „Henne und Ei“-Problem zwischen den Rechtsandwendern, also den Nutzer:innen und den gesetzgeberischen Anforderungen. Ohne klaren Anforderungskatalog fehlte schlicht das Vertrauen in den gesetzgeberischen Willen. Diese Zurückhaltung in den Unternehmen ist gut nachzuvollziehen, da doch gerade Konnossemente als Sicherungsmittel der Außenhandelsfinanzierung dienen und dabei nicht selten Werte in Millionenhöhe verbrieft werden. Dafür ist deren unbedingte Rechtswirksamkeit unerlässliches Grundkriterium.

Um dieses Dilemma aufzulösen, ohne zugleich einer bestimmten Technologie den Vorzug zu geben, gibt der Entwurf nun klare Anforderungen vor, wie die Funktionsäquivalenz technisch erzielt werden kann. Zusammengefasst kommt es nunmehr auf die Möglichkeit an, einer Person oder Institution die ausschließliche Verfügungsbefugnis an der elektronischen Aufzeichnung einzuräumen. Wie das geschieht, bleibt den Anwender:innen überlassen.

Zertifizierung als Schlüssel

Um den Unternehmen eine Beweiserleichterung zugutekommen zu lassen, schlagen wir insbesondere die Zertifizierung von Anwendungen zur Umsetzung elektronischer Dokumente vor. Aufgrund dieses „Gütesiegels“ können sich die Unternehmen darauf verlassen, das eine bestimmte Anwendung tatsächlich alle Anforderungen des geltenden Rechts erfüllt. Gerade dem Mittelstand, ohne eigene IT-Abteilung, wird die Entscheidungsfindung dadurch enorm erleichtert. Zugleich ist dann nicht mehr die eigentliche Funktionsäquivalenz einer Anwendung das wettbewerbsdifferenzierende Kriterium, sondern dessen sonstige Mehrwerte oder Integration in bestehende IT-Landschaften.

Uniform Rules for Digital Trade Transactions (URDTT) als Handlungsempfehlung

Der Entwurf regelt bewusst nur das „Wie“ des Umgangs mit elektronischen Fracht- und Lagerdokumenten. Verzichtet wurde, schon aufgrund der verfassungsmäßigen Grenzen der Verordnungsermächtigung, auf Regelungen zum „Ob“ des Einsatzes elektronischer Dokumente als Grundlage der jeweiligen Handelsbeziehung. Hier obliegt es den Beteiligten des internationalen Handels, sich bereits im Vorfeld über die Modalitäten zu einigen. Wir empfehlen dafür, die URDTT als „Grund-AGB“ für die Geschäftsbeziehungen im internationalen Handel einzusetzen. Damit wird der einheitliche Rahmen zwischen allen Beteiligten abgesteckt, seien es Käufer:innen und Verkäufer:innen, Transportunternehmen, Banken oder Versicherungen.

Fazit

Der vorgelegte Entwurf ist ein Musterbeispiel der branchenübergreifenden Kooperation. Gemeinsam mit allen wichtigen Verbänden ist es gelungen, einen Regelungsentwurf vorzulegen, der die Anforderungen aller Sektoren des internationalen Handels abdeckt. Dabei wurde deutlich, wie wichtig der interdisziplinäre Austausch zwischen allen Beteiligten ist. Die Digitalisierung kann nur gelingen, wenn gemeinsam daran gearbeitet wird. Ich sagte es bereits in Ausgabe Nr. 12 dieses Magazins: „Kooperation ist die höchste Form des Egoismus!“ Lassen Sie uns hier weitermachen und auch die weiteren Dokumente des Handels, insbesondere Wechsel und Solawechsel digitalisieren!

 

Webinar

Am 14. November 2022 hat ICC Germany den Verordnungsentwurf vor einem virtuellen Publikum vorgestellt und mit Harald Schoen aus dem Bundesjustizministerium, Dr. Luca Castellani von UNCITRAL und Dr. Tobias Eckardt von Ahlers & Vogel diskutiert. Hier finden Sie das Video auf YouTube.