Corona ist eine historische Krise von bislang unbekanntem Ausmaß. Hunderttausende Menschen sind bereits an der Krankheit gestorben, weltweit sind wirtschaftliche Existenzen bedroht und die einfachsten Dinge des Alltags scheinen nicht mehr selbstverständlich – sei es auch nur, anderen Menschen die Hand zu reichen. Und ein baldiges Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, während dieser Artikel entsteht, kämpft die Welt gegen die Ausbreitung einer zweiten COVID-19 Welle. Doch so schmerzlich die Auswirkungen der Krise sind, wir müssen weiter dranbleiben mit Disziplin, Kreativität und Solidarität.

Dranbleiben ist auch die richtige Einstellung, wenn es um den Kampf für Menschenrechte geht – und das nicht trotz, sondern gerade wegen der Corona-Krise. Zum einen, weil Integrität und Menschenrechte die Ankerpunkte unseres Wertesystems sind und gerade in Krisenzeiten Orientierung geben. Und zum anderen, weil COVID-19 ganz konkrete Auswirkungen auf menschenrechtsrelevante Fragestellungen hat: Wie gewährleisten wir das Recht auf körperliche Unversehrtheit bei der Arbeit? Was unternehmen wir für den Schutz der Privatsphäre in Zeiten von meldepflichtigen Corona-Positiv-Tests? Oder wie können wir Risikogruppen mit präventiven Maßnahmen schützen, ohne sie dabei aufgrund ihres Alters zu diskriminieren?

Beim Krisenmanagement kommt es vor allem auf zwei Dinge an: Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit. Unternehmen müssen schnell und flexibel auf die veränderten Bedingungen reagieren. Um wirtschaftlich zu bleiben, braucht es zügig ein „New Business Normal“. Dafür werden funktionsübergreifende Krisenstäbe im Headquarter und auf lokaler Ebene installiert, die in Windeseile neue Prozesse aufsetzen. Im Fall von Corona waren das einige – vom Hygienekonzept, über Anpassungen bei den Lieferketten bis hin zur digitalen Zusammenarbeit im Homeo ce. Bei solch einschneidenden Veränderungen drängt sich schnell die Frage auf: Heiligt der Krisenmodus die Mittel? Die Antwort lautet: Natürlich nicht! Und schon gar nicht auf Kosten von Menschenrechten. Das gilt sowohl für die Rechte der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch der Lieferanten und Geschäftspartner.

Menschenrechte als Faktor des Kerngeschäfts

Die Automobilindustrie stand beim Thema Menschenrechte bereits vor Corona in der Verantwortung. Grund dafür ist vor allem der rasante Ausbau der Elektromobilität und der ansteigende Bedarf an potenziell risikobehafteten Rohstoffen, wie Lithium und Kobalt. Es besteht die Gefahr, dass diese unter menschenrechtlich kritischen Bedingungen abgebaut werden – zum Beispiel in Puncto Arbeitssicherheit oder Kinderarbeit. Corona verschärft die Situation vor Ort noch einmal. Die körperliche Unversehrtheit ist durch unzureichende Schutzmaßnahmen gefährdet und die wirtschaftliche Existenz durch rückläufige Rohstoffnachfrage bedroht. Notwendige soziale Sicherungssysteme sind in den betroffenen Ländern meist nicht vorhanden.

Dem gegenüber steht die unternehmerische Verantwortung der Konzerne, die am Ende der Lieferkette stehen. Denn eins steht außer Frage: Menschenrechte sind kein Nischenthema, das es nur aus Reputationsgründen zu beachten gilt. Es ist ein Faktor, der unser Kerngeschäft sowie unsere Werte betrifft und den wir mit entsprechender Ernsthaftigkeit angehen müssen. Bei Daimler haben wir das Thema daher bewusst in unserer nachhaltigen Geschäftsstrategie verankert – und damit als zentrales Kriterium für Businessentscheidungen. Es ist unser Anspruch, dass Menschenrechte in allen Konzerngesellschaften eingehalten werden und bei Lieferanten Beachtung finden. Doch das ist leichter gesagt als getan: Die globalen Lieferketten – ich bezeichne sie gerne als Lieferantennetzwerk – sind mit zahlreichen Sub-Lieferanten sehr umfangreich und stark verzweigt. Entsprechend herausfordernd ist es, mit allen Partnern allgemeingültige Standards zu vereinbaren und diese fortlaufend zu überprüfen. Um dieses Ziel dennoch zu erreichen, kommt es aus meiner Sicht auf folgende vier Aspekte an:

1. Unternehmenseigene Sorgfaltsprozesse

Unternehmen, die nachhaltig erfolgreich sein wollen, müssen sich ihrer Verantwortung beim Thema Menschenrechte bewusst sein und mit eigenen Maßnahmen agieren. Nichts ist effektiver als wenn es aus eigener Überzeugung heraus geschieht. Bei Daimler haben wir bereits seit 2008 damit begonnen, unternehmenseigene Prozesse für die menschenrechtliche Sorgfaltspfl icht zu entwickeln. Diese orientieren sich an internationalen Referenzdokumenten, wie der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Schwerpunkte daraus sind Teil unserer Verhaltensrichtlinie, die als Leitplanke für unser Handeln dient. Darüber hinaus sind sie auch in den „Daimler Supplier Sustainability Standards“ enthalten, die klare Anforderungen zu Menschenrechten an unsere Lieferanten formulieren. Doch neben Richtlinien und Standards arbeitet Daimler auch an der Weiterentwicklung von Prozessen. Wir haben mit dem „Human Rights Respect System“ (HRRS) ein systematisches Risikomanagement für Menschenrechte entwickelt. Das HRRS zielt darauf ab, potenziell negative Auswirkungen unseres unternehmerischen Handelns auf die Menschenrechte zu vermeiden. So treiben wir beispielsweise die Analyse unserer Rohstofflieferketten voran, um noch mehr Transparenz in den Strukturen der vorgelagerten Lieferketten zu bekommen.

2. Zusammenarbeit im Verbund

Daimler und viele andere Unternehmen haben in den vergangenen Jahren mit individuellem Engagement große Fortschritte erzielt. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass neben Einzelinitiativen auch allgemeingültige Vorgaben und Maßnahmen nötig sind. Eine mögliche Antwort darauf ist der „Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP), den der Bundestag 2016 verabschiedet hat. Der Aktionsplan gibt allen deutschen Unternehmen einheitliche und überprüfbare Menschenrechtsstandards vor. Doch trotz dieser Vorgaben können manche Herausforderungen aufgrund ihrer Komplexität nur im Verbund erfolgreich gemeistert werden. Beispielsweise in Bezug auf die Lieferkettentransparenz oder die Einrichtung effektiver Beschwerdemechanismen. Aus diesem Grund hat Daimler 2018 einen Human Rights Roundtable ins Leben gerufen, an dem Automobilbauer, Lieferanten sowie Vertreter von Politik und NGOs teilnahmen. Dort hat man sich über die Herausforderungen menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten ausgetauscht sowie gemeinsame Handlungsfelder und erste Lösungsansätze definiert. Nach zwei Roundtables wurde das Format Anfang 2020 erstmals als sogenannter „NAP Branchendialog“ fortgeführt – unter der Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Automobilindustrie ist damit die erste Branche, der ein solcher Zusammenschluss im Rahmen des Nationalen Aktionsplans gelungen ist. Bis Mitte 2021 werden OEMs, Lieferanten, zivilgesellschaftliche Organisationen und Vertreter der Bundesregierung über gemeinschaftliche Maßnahmen beraten.

3. Regulatorische Rahmenbedingungen

Aktuell findet in Deutschland eine politische Debatte statt, ob eine verbindliche Gesetzgebung zur menschenrechtlichen Sorgfalt sinnvoll wäre. Auch auf europäischer Ebene wurden bereits erste Überlegungen zu einer EU-weiten Due-Diligence-Regulierung kommuniziert. Für die Umsetzung der bislang freiwilligen NAP-Anforderungen könnte eine solche Regulierung sicherlich hilfreich sein – gerade um internationale Standards zu schaden. Damit Rechtssicherheit entsteht ist es wichtig, die regulatorischen Vorgaben auf europäischer Ebene zu konkretisieren und zu homogenisieren. Gleichzeitig müssen die Regulierungen angemessen und umsetzbar sein. Die Sorgfaltspflichten sollten sich deswegen nur auf die tatsächlich wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten und juristische Durchgriffsmöglichkeiten in der Wertschöpfungskette beziehen. Zur besseren Einordnung, wie verzweigt die Lieferketten tatsächlich sind: Daimler arbeitet weltweit mit über 60.000 direkten Zulieferfirmen zusammen, auf jeder Stufe darunter kann es wiederum mehr als 20 Sub-Lieferanten geben. Für alle diese Sub-Lieferanten kann das Unternehmen unmöglich sämtliche Sorgfaltspflichten gewährleisten. Das wäre für die von einer Regulierung betroffenen Unternehmen organisatorisch nicht zu schaffen und würde zu einseitigen Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen führen.

4. Soziales Engagement vor Ort

Beim Kampf für Menschenrechte kommt es neben unternehmerischen Sorgfaltsprüfungen auch auf präventive Maßnahmen an, um die Wurzeln von Menschenrechtsverletzungen zu beseitigen. Zusätzlich sollten sich Unternehmen daher im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch sozial und vor Ort engagieren. Ein Beispiel ist die Demokratischen Republik Kongo, aus der über 60% der weltweiten Kobaltförderung stammt. Gerade dort gibt es von den Minen bis zu den Schmelzen erhöhte menschenrechtliche Risiken. Um diesen entgegenzutreten, braucht es neben Kontrollmaßnahmen auch soziale Initiativen und Kooperationen vor Ort, die die Lebensbedingungen der Menschen dauerhaft verändern. Dazu gehört die Bildung für Kinder genauso wie die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft oder Stärkung der lokalen Wirtschaft. Deswegen unterstützt Daimler unter anderem die gemeinnützige Organisation „Bon
Pasteur“, die vor allem die Lebensbedingungen von Frauen und Kindern in den Minengebieten verbessert.

Fazit

Der Kampf gegen die Pandemie darf keine Ausrede beim Kampf für mehr Menschenrechte sein. Im Gegenteil: Wer langfristig erfolgreich sein will, muss gerade in schwierigen Zeiten die eigenen Unternehmenswerte leben und in nachhaltige Strukturen investieren. Dazu gehört auch das Engagement für Menschenrechte. Ob durch freiwillige Selbstverpflichtung oder regulatorische Vorgaben, am Ende kommt es vor allem darauf an, dass alle Beteiligten – Hersteller, Zulieferer und Politik – zusammen an einem Strang ziehen und ihrer Verantwortung gerecht werden.

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 11, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.