Als ich vor 13 Jahren den Vorstandsvorsitz der Deutschen Post AG übernahm, steckte die Welt mitten in einer Finanzkrise, deren Höhepunkt im September 2008 der Zusammenbruch von Lehman Bros. war. Kaum jemand rechnete damals wohl damit, dass ein gutes Jahrzehnt später erneut eine dramatische Krise die Menschheit unter Stress setzt – dieses Mal ausgelöst durch ein Virus, das innerhalb weniger Monate nahezu den gesamten Globus erfasst hat.

Von den Folgen der Finanzkrise hat sich die Weltwirtschaft relativ gut und schnell erholt. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch die aktuelle Krise überwinden können. Damit das gelingt, müssen sowohl Wirtschaft als auch Politik ihren Beitrag leisten, gemeinsam und in Zusammenarbeit mit anderen Regionen der Welt. Dies ist eine gewaltige Aufgabe – doch darüber dürfen wir den Klimawandel als größte Herausforderung unserer Zeit nicht ausblenden. Zwar sehen wir aufgrund der Corona-Pandemie aktuell einen Rückgang der weltweiten CO2-Emissionen, nachhaltig ist dieser Trend aber nicht. Wie nach der Finanzkrise werden die Emissionen sprunghaft ansteigen, sobald die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt.

Globales Impfkonzept notwendig

Im Kampf gegen das Virus sehen wir glücklicherweise Licht am Ende des Tunnels. Mit dem Fortschreiten der Impfkampagne werden wir Schritt für Schritt in die Normalität zurückfinden. Die zum Teil harsche Kritik an der politischen Strategie der Europäischen Union zur Impfstoffbeschaffung teile ich im Übrigen nicht. Ich finde es vielmehr ermutigend, dass die EU Zusammenhalt demonstriert und einen internen Verteilungskampf vermieden hat. Auch die Verständigung auf ein Konjunkturprogramm zum Wiederaufbau der Wirtschaft zeigt die Handlungsfähigkeit und Solidarität innerhalb der EU. Genau diese Solidarität benötigen wir, wenn es darum geht, weniger privilegierte Länder der Welt mit Impfstoff zu versorgen. Initiativen wie die Impfallianz Gavi brauchen deshalb dringend politische Unterstützung für ihre wichtige Arbeit.

Deutsche Post DHL Group trägt zur Bewältigung der Pandemie bei

Als weltweit tätiger Logistikkonzern hat die Deutsche Post DHL Group seit Beginn der Pandemie unter teils schwierigen Bedingungen den globalen Warenfluss aufrechterhalten, Lieferketten gesichert und die Welt mit Schutzausrüstungen versorgt. Auch bei der Verteilung von Impfstoffen übernehmen wir eine entscheidende Rolle. Es gilt, weltweit mehr als zehn Milliarden Impfdosen auszuliefern – ein nie dagewesenes Volumen. Damit müssen auch die rund drei Milliarden Menschen erreicht werden, die in Regionen mit weniger gut entwickelter Infrastruktur leben.

Bei der globalen Distribution von Impfstoffen leisten wir mit unserer umfassenden Expertise in der Medizinlogistik einen wichtigen Beitrag. Sowohl bei der Planung als auch der Durchführung kooperieren wir eng mit Regierungen in aller Welt. Dieser Aufgabe werden wir uns weiter mit aller Kraft widmen, damit die Pandemie möglichst bald überwunden wird. Doch sollten wir auch an die Zukunft denken: Alle Experten sagen, dass die nächste Pandemie nur eine Frage der Zeit ist. Unsere Perspektive muss deshalb über die aktuelle Gesundheitskrise hinausgehen. Wir müssen uns darum bemühen, weltweit verlässliche und resiliente (medizinische) Lieferketten zu installieren, um auch für kommende Herausforderungen gerüstet zu sein.

Als Deutsche Post DHL Group wollen wir außerdem helfen, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu überwinden. Zu diesem Zweck haben wir gemeinsam mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), dem Global Compact der Vereinten Nationen (UN Global Compact), der Internationalen Handelskammer (ICC) und anderen Unternehmen wie Microsoft und PwC eine „COVID-19 Private Sector Global Facility“ gegründet. Ziel der Zusammenarbeit ist es, den Wiederaufbau nach der Pandemie an lokale Besonderheiten anzupassen und dabei Akzente für eine sozial gerechte und klimaresistente Welt zu setzen. Mit unserer logistischen Kernkompetenz können wir den grenzüberschreitenden Handel in Entwicklungsländern fördern, indem wir zum Beispiel kleine und mittlere Unternehmen in Zollfragen beraten.

„The New Normal“ oder: Verändert die Pandemie unser Leben?

Auch ich frage mich, wie die Welt aussehen wird, wenn wir Corona überwunden haben. Gibt es das oft beschworene „New Normal“ nach der Krise? Ändert sich unser Leben grundlegend? Ich bin davon nicht überzeugt. Menschen werden nach Corona die gleichen Bedürfnisse haben wie zuvor, wir alle werden uns in vielerlei Hinsicht verhalten wie gewohnt: Wir werden reisen, das Zusammensein mit anderen Menschen suchen, in Restaurants, Theater und Kinos gehen. Vermutlich wird die neue Normalität der alten sehr ähneln, das zeichnet sich schon heute ab.

Manche haben in den letzten Monaten prophezeit, die Pandemie werde die Globalisierung zurückdrehen oder ihr sogar ein Ende bereiten. Auch das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Ohne die weltumspannende digitale und logistische Infrastruktur wären niemals so schnell medizinische Schutzausrüstungen produziert und bereitgestellt worden. International vernetzte Staaten und Unternehmen kommen besser durch die Krise, weil sie weniger abhängig von der Entwicklung in einem einzelnen Land sind. Nicht zuletzt die Tatsache, dass bereits ein Jahr nach der weiträumigen Verbreitung des Virus mehrere wirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen, wäre ohne die globale Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft nicht denkbar.

Deswegen bin ich überzeugt, dass die Globalisierung weiter fortschreiten wird, die Signale gehen klar in diese Richtung. So sehen wir bereits wieder eine spürbare wirtschaftliche Dynamik in Europa, Nordamerika und China. Trotz der immensen Herausforderungen hat sich die Welt schnell an die Pandemie angepasst. Menschen, Unternehmen und Staaten sind weiterhin bereit, sich zu vernetzen und zusammenzuarbeiten, denn sie erleben die Vorteile, die sich daraus ergeben.

Globale Erwärmung bleibt größte Herausforderung

Mit den Fortschritten bei der Bewältigung der Pandemie rückt die größte Herausforderung unserer Zeit wieder ganz oben auf die Agenda: die Klimakrise. Beim Pariser Klimagipfel 2015 wurde vereinbart, die globale Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Wirtschaft klimaneutral werden. Das erfordert Investitionen in Forschung und technische Lösungen sowie eine enge Abstimmung mit der Politik. Denn um Unternehmen den Wandel zu ermöglichen, müssen nicht nur die entsprechenden Technologien zur Verfügung stehen, es braucht auch politische Rahmenbedingungen, die Investitionen absichern, gleichzeitig aber auch Wettbewerbsnachteile verhindern.

Der Transportsektor ist für etwa 14 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Die Logistikindustrie muss also entscheidend zur Erreichung der Pariser Klimaziele beitragen. Als Deutsche Post DHL Group haben wir diese Herausforderung schon lange erkannt und waren 2008 der erste Logistikkonzern, der sich zu einer kontinuierlichen und messbaren Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen verpflichtet hat. Als Vorreiter der grünen Logistik betreibt Deutsche Post DHL Group bereits heute die größte Elektroflotte in Deutschland. Mittelfristig werden wir unsere gesamte Brief- und Paketzustellung auf Elektrofahrzeuge umstellen. Als weltweiter Logistiker müssen wir uns aber vor allem um das Thema Luftverkehr kümmern. Ungefähr 65 Prozent der CO2-Emissionen von Deutsche Post DHL Group werden durch unsere Flugzeuge verursacht; anders als bei der Zustellung auf der letzten Meile kann uns die Elektromobilität hier nicht helfen. Unser bislang wirkungsvollster Hebel, den wir konsequent einsetzen, ist die kontinuierliche Erneuerung unserer Flotte. So wurden in den letzten Jahren insgesamt 22 neue Boeing 777-Frachtflugzeuge bestellt und größtenteils bereits in Betrieb genommen. Die neuen Flieger sparen im Vergleich zu ihren Vorgängern bis zu 18 Prozent CO2-Emissionen ein.

Darüber hinaus beschäftigen wir uns intensiv mit der Vermeidung von Emissionen durch den Einsatz alternativer, CO2-neutraler Kraftstoffe, so genannter Sustainable Aviation Fuels (SAF). In den letzten Jahren hat sich auf diesem Gebiet sehr viel getan. Mittlerweile gibt es eine große Bandbreite an potenziell nachhaltigen Kraftstoffen, allerdings bisher noch nicht ausreichend verfügbar und damit auch wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. Als großer Flottenbetreiber treiben wir die Entwicklung alternativer Kraftstoffe deshalb in verschiedenen Initiativen voran und setzen uns für Pilotprojekte ein, um SAF in naher Zukunft tauglich für den Massenmarkt zu machen.

In den vergangenen Monaten haben wir unsere Nachhaltigkeitsstrategie überarbeitet und uns noch ambitioniertere Ziele gesetzt. Wie schon 2008 sind wir damit Trendsetter in unserer Branche und hoffen, dass andere unserem Beispiel folgen und ihre Bemühungen ebenfalls intensivieren. Wenn diese Aktivitäten seitens der Politik gut flankiert werden und sie die richtigen Rahmenbedingungen schafft, bin ich überzeugt, dass wir schon bald deutliche Fortschritte erreichen können.

Fazit

Zweifellos wird die Pandemie noch eine ganze Weile einen Großteil unserer Aufmerksamkeit fordern. Aber wir werden dieses Virus in den Griff bekommen und erkennen, dass wir Krisen nur bestehen, wenn wir sie gemeinsam angehen. Diese Erfahrung wird uns helfen, auch für künftige Herausforderungen Lösungen zu finden. Ich finde, wir haben allen Grund zur Zuversicht, dass uns das gelingt.

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 12, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.

Good to know: Über die Auswirkung einer ungleichen Versorgung mit den Impfstoffen hat die ICC gemeinsam mit der WHO in Davos im Januar 2021 die Studie „The Economic Case for Global Vaccinations“ vorgestellt. Die ICC-Studie zeigt, dass eine globale Erholung der Weltwirtschaft nur gelingt, wenn alle Länder Zugang zu COVID-19-Impfstoffen erhalten.