Internationaler Handel und Recht Deutsche Investoren mit bestehenden Investitionen in anderen Mitgliedstaaten oder solche, die in der Zukunft Investitionen dort tätigen möchten, müssen vor diesem Hintergrund besonders vorsichtig sein. Neue Investitionen sollten über eine Tochtergesellschaft in einem Nicht-Mitgliedstaat strukturiert werden, um sicherzustellen, dass sie nachhaltig von den Schutz- mechanismen eines starken Investitionsschutzabkom- mens gegen politische Risiken profi tieren können. Auch im Falle von bereits getätigten Investitionen ist eine Restrukturierung durchaus möglich, solange sich noch kein Streit mit dem Gaststaat abzeichnet. Vor dem Hintergrund des Brexit könnte Großbritannien hier zukünftig eine attraktive Option bieten. Hier lohnt es sich, einen erfahrenen Investitionsschutzrechtler zu Rate zu ziehen, der mit wenig Aufwand Hilfestellung leisten kann. Fazit Das Kündigungsabkommen markiert den Höhe- punkt einer langangelegten Kampagne der Kommission gegen Investitionsschutz innerhalb der EU. Wenngleich rechtlich unter verschiede- nen Aspekten fragwürdig, wird hiermit faktisch ein historischer Wendepunkt zum Nachteil grenzüberschreitender Investitionen gesetzt. Das Unionsrecht alleine bietet mit den weiterhin fehlenden Individualrechtsschutzmöglichkeiten schlicht keinen vergleichbaren Rechtsrahmen zur Absicherung gegen politische Risiken. In Anbetracht der gegenwärtigen Renaissance des Nationalismus und Populismus wäre dieser heute aber erforderlicher denn je. Es ist daher besonders bedauerlich, dass die Kommission nicht parallel zu ihrem Kampf gegen völker- rechtliche Investitionsschutzabkommen jeden- falls eff ektive Schritte unternommen hat, um die entstehenden Rechtsschutzlücken auf Ebene des Unionsrechts abzufedern. Bisher hat sie lediglich öff entliche Konsultationen zu diesem Thema eingeleitet – im Mai 2020. Selbst wenn ein politischer Wille bestünde, tatsächlich zum Schutz von intra-EU-Investitionen tätig zu wer- den, wären konkrete Maßnahmen aller Erfah- rung nach also noch Jahre entfernt. Investoren bleibt daher einstweilen nur der Weg, Auslands- investitionen über Drittstaaten mit starken Investitionsschutzabkommen zu tätigen, um diese für den Krisenfall abzusichern. 1 Zu den 23 Mitgliedstaaten gehören Belgien, Bulgarien, Kroatien, Zypern, Tschechien, Dänemark, Estland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien und Spanien. 2 Siehe Artikel 2(1) des Kündigungsabkommens und dessen Anhang A. 3 Es muss jedoch angemerkt werden, dass Irland das einzige intra-EU BIT mit Tschechien bereits im Jahr 2011 gekündigt hat. Der Schutzmechanismus der sog. Sunset Clause endet mit dem Jahr 2021. 4 EuGH, C-284/16, Urteil vom 6. März 2018 (Slowakische Republik v. Achmea BV), Abs. 62. 5 Siehe EuGH, C-284/16, Urteil vom 6. März 2018 (Slowakische Republik v. Achmea BV), Abs. 56-58. 6 EuGH, C-284/16, Urteil vom 6. März 2018 (Slowakische Republik v. Achmea BV), Abs. 60. 7 Siehe https://ec.europa.eu/info/publications/190117- bilateral-investment-treaties_en. 8 Siehe Artikel 2(2) und 3 des Kündigungsabkommens. Es enthält zudem eine entsprechende Vorschrift für vor dem Kündigungs- abkommen beendete intra-EU BITs bei denen die Sunset Clauses bisher nicht angegriff en wurden. Siehe Artikel 3 des Kündigungs- abkommens. 9 Siehe Artikel 1(6) des Kündigungsabkommens. 10 Siehe Artikel 1(5) des Kündigungsabkommens. 11 Siehe Artikel 1(4) des Kündigungsabkommens. 12 Siehe Artikel 6 des Kündigungsabkommens. Ein „abgeschlosse- nes Schiedsverfahren“ ist gemäß Artikel 1(4) des Kündigungs- abkommens „ein Schiedsverfahren, das mit einer Einigung der Vertragsparteien endete, oder in dem vor dem 6. März 2018 ein endgültiger Schiedsspruch ergangen ist, wobei a) der Schieds- spruch vor dem 6. März 2018 ordnungsgemäß vollstreckt worden sein muss, selbst wenn ein damit verbundener Anspruch auf Rechtskosten nicht erfüllt oder vollstreckt wurde, und zu diesem endgültigen Schiedsspruch am 6. März 2018 kein Verfahren zur Anfechtung, Überprüfung, Aufhebung, Annullierung, Durchset- zung oder Wiederaufnahme oder ähnliches Verfahren anhängig war, oder b) der Schiedsspruch vor dem Zeitpunkt des Inkraft- tretens dieses Übereinkommens aufgehoben oder annulliert wurde“. 13 Siehe Artikel 8-10 des Kündigungsabkommens. 14 Siehe z.B. EuGH, C-619/18, Urteil vom 24. Juni 2019 (Kommission v. Polen); EuGH, C-286/12, Urteil vom 6. November 2012 (Kom- mission v. Ungarn). 15 Siehe https://ec.europa.eu/germany/news/20200429-rechts- staatlichkeit-polen-ungarn_de. 16 Klaus Schwab, World Economic Forum, The Global Competi- tiveness Report 2019 (http://www3.weforum.org/docs/WEF_ TheGlobalCompetitivenessReport2019.pdf), pp. 175, 271, 467. 17 Siehe Artikel 1(6) des Kündigungsabkommens. 18 Das Verfahren wird zwar unter dem multilateralen Energiecharta- Vertrag geführt, die politischen Erwägungen lassen sich aber übertragen. 19 Wenn ein Schiedsgericht zum Beispiel bereits eine Entscheidung über die eigene Zuständigkeit getroff en hat, könnte dies ein Indi- kator sein, dass dieses sich nicht nachträglich gegen die eigene Zuständigkeit aussprechen wird. 20 Ein Beispiel dafür ist der Fall Micula v. Rumänien I (ICSID Case No. ARB/05/20). Auch hier hat die Kommission versucht die Vollstreckung des Schiedsspruchs zu verhindern und ist vor US- Gerichten als amicus curiae aufgetreten und hat zum Verfahren Stellung genommen. 36 ICC Germany-Magazin Ausgabe 11