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Dr. Bärbel Sachs

ist Partnerin bei der Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbH und leitet das Team Außenhandelsrecht bei Noerr LLP. Sie berät Mandanten in allen Bereichen des deutschen, europäischen und internationalen Außenhandelsrechts wie Trade Compliance und Sanktionsrecht.

Dr. Johannes Schäffer

ist seit 2016 Rechtsanwalt in diesem Team und berät internationale Mandanten vor allem in Fragen des Exportkontroll-, Sanktions- und Zollrechts.

Das chinesische Exportkontrollgesetz – Einleitung

Das chinesische Exportkontrollrecht führte lange ein Schattendasein. Im Zuge der politischen Konflikte der letzten Jahre, primär mit den USA, veröffentlichte die chinesische Führung indes bereits 2017 den ersten Entwurf eines einheitlichen Exportkontrollgesetzes. Nunmehr ist es soweit: Am 1. Dezember 2020 trat das vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses in Peking verabschiedete modifizierte „Exportkontrollgesetz der Volksrepublik China“ in Kraft. Welchen Einfluss hat dieses Gesetz auf den internationalen Handel im Allgemeinen, welchen auf deutsche Unternehmen mit Tochtergesellschaft(en) in China im Besonderen?

Re-Exporte und extraterritoriale Reichweite

Das neue chinesische Exportkontrollgesetz fand u. a. deshalb sofortige Beachtung, da seine Reichweite nicht auf Vorgänge in China beschränkt sein soll, sondern extraterritoriale Geltung beansprucht. Der Terminus „Extraterritorialität“ ruft in der deutschen Wirtschaft richtigerweise Assoziationen zum US-Recht hervor, dessen System international die größte Reichweite beansprucht und auch weltweit, etwa über sog. Post Shipment Controls, durchgesetzt wird. Diesem Recht sind die neuen chinesischen Regeln nachgebildet.

Extraterritorialität als solche ist weder dem deutschen noch dem EU-Recht fremd. Das europäische und deutsche Exportkontrollrecht beschränkt sich allerdings, sobald Güter die EU bzw. Deutschland verlassen haben, darauf, über Endverbleibserklärungen sicherzustellen, dass die Güter auch dort verbleiben, wohin ihre Ausfuhr genehmigt wurde. Auf gesetzlicher Ebene greifen jedenfalls, anders als in den USA, keine Genehmigungspflichten. Allenfalls verpflichten Empfänger sich selbst, vorher die deutschen Behörden zu kontaktieren.

Was nun regelt das unter dem Stichwort „Extraterritorialität“ vielfach Erwähnung findende chinesische Exportkontrollgesetz? Es ahmt, zumindest teilweise, das gegenüber Deutschland oder der EU sehr viel weitergehende (Re-)Exportkontrollrecht der USA nach. Vorherige Entwurfsfassungen des chinesischen Exportkontrollgesetzes nahmen sich des Themas Re-Exportrecht detailliert an. Dies ist jedoch nahezu ersatzlos weggefallen. Der jetzige Artikel 45 greift den Begriff des Re-Exports indes auf, er setzt also ein Re-Exportkontrollrecht voraus. Dies könnte auf gesetzlicher Ebene Genehmigungspflichten für Lieferungen auslösen, die außerhalb Chinas erfolgen, etwa von Deutschland nach Frankreich. Eine umfassende chinesische Re-Exportkontrolle würde also – analog zur US-amerikanischen – ein enormes Hemmnis für den internationalen Handel bedeuten. Konkret hieße das etwa für deutsche Unternehmen, dass Vormaterialien chinesischen Ursprungs entweder bereits zu kleinen Anteilen oder jedenfalls ab einer bestimmten Menge das Endprodukt „infizieren“ könnten und die Ausfuhr in ein Drittland, aber auch die Versendung innerhalb der EU, unter dem Vorbehalt einer chinesischen Re-Exportgenehmigung stünde. Für chinesische Fertigprodukte würde dies damit, so interpretiert, erst recht gelten.

Bisher ist aber völlig ungeklärt, welche Arten von Re-Exporten genau das Gesetz adressiert, und überdies, unter welchen Voraussetzungen Genehmigungen erforderlich sind. Es bleibt daher abzuwarten, wie die chinesischen Behörden mit dem Terminus Re-Export umgehen, insbesondere welche Reichweite er bekommen soll. Es sind für die Zukunft klarstellende Hinweise der chinesischen Exportkontrollbehörden oder Durchführungsbestimmungen zum Exportkontrollgesetz zu erwarten. Noch ist also nicht gesagt, dass das neue Exportkontrollgesetz den internationalen Handel derart drastisch beeinflussen wird.

Deemed Exports

Der Anwendungsbereich wird jenseits der Ausfuhr kontrollierter Güter auch auf sog. Deemed Exports erweitert (Artikel 2 Absatz 3). Der Begriff Deemed Exports beschreibt Fallkonstellationen eines Technologietransfers, in denen kontrollierte Technologie zwar nicht das Land verlässt, aber durch einen chinesischen Staatsbürger an einen Ausländer weitergegeben wird, womöglich auch nur mündlich. Die Sorge ist, dass der Ausländer das technische Wissen nun durch seine bloße Ausreise, gleichsam im Kopf, mitnimmt – weshalb bereits die Übertragung an ihn unter das neue chinesische Verständnis der Exportkontrolle fällt. Auch dieses Konzept wurde dem (Re-)Exportkontrollrecht der USA nachgebildet.

Das dürfte naturgemäß besondere Herausforderungen für in China ansässige deutsche Unternehmen aufwerfen. Denn die Kooperation zwischen chinesischen und nicht-chinesischen Mitarbeitern steht dann, soweit kontrollierte Technologie vorhanden ist, unter dem Damoklesschwert des Deemed Exports. Ob ein dauerhafter Wohnsitz in China dazu führt, dass der Mitarbeiter als chinesisch anzusehen wäre, ist unklar. In jedem Falle wären Besuche und kurzfristige Entsendung betroffen. Es müssten daher besondere Compliance-Vorschriften etabliert werden, Zugangsrechte ggf. beschränkt und, nomen est omen, Chinese Walls errichtet werden.

Je nachdem, wie die chinesischen Behörden mit Re-Exporten umgehen werden, könnten – wiederum gleich dem US-Recht – auch Deemed Re-Exports vom chinesischen Exportkontrollrecht erfasst sein, bspw. die Übertragung von (mit Genehmigung) nach Deutschland transferierter Technologie an einen französischen Mitarbeiter.

Erfasste Güter und Genehmigungsverfahren

Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ist der Anwendungsbereich erweitert worden. Neben Dual-Use Gütern, Rüstungs- und Nukleargütern unterfallen jetzt auch Waren, Technologien (d. h. spezifische technische Informationen) und Dienstleistungen, die den Erhalt der nationalen Sicherheit und der nationalen Interessen betreffen, der Exportkontrolle. Eine erste veröffentliche Liste betrifft Produkte mit Verschlüsselungstechnologie. Unbestimmte Rechtsbegriffe wie „nationale Sicherheit und nationale Interessen“ eröffnen den Exportkontrollbehörden einen weiten rechtlichen Spielraum, der auch politischer Einflussnahme Tür und Tor öffnet. Hier könnten essentielle nationale Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen einfließen, nicht minder allerdings handels- und industriepolitische Erwägungen.

Die Genehmigungsbedürftigkeit einer Ausfuhr beurteilt sich in erster Linie anhand von Exportkontrolllisten, soweit veröffentlicht. Allerdings enthält das chinesische Exportkontrollgesetz eine Ermächtigungsklausel, die es den Exportkontrollbehörden erlaubt, auch nicht gelistete Güter exportkontrollrechtlichen Beschränkungen in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren zu unterwerfen. Davon dürften vor allem Emerging Technologies betroffen sein.

Für die Ausfuhr kontrollierter Güter besteht ein verpflichtendes Genehmigungsverfahren. Neu ist, dass in Abhängigkeit vom Wissen oder Wissenmüssen mittels einer Catch-All-Klausel auch nicht gelistete Güter eine Genehmigungspflicht auslösen können, wenn nämlich der Ausführer wusste, hätte wissen müssen oder von den Exportkontrollbehörden informiert wurde, dass die Güter die nationale Sicherheit oder nationale Interessen gefährden, im Zusammenhang mit Massenvernichtungswaffen stehen oder für terroristische Zwecke genutzt werden.

Ausführer können eine Überprüfung der exportkontrollrechtlichen Klassifizierung eines Gutes bei den chinesischen Exportkontrollbehörden beantragen. Das Gesetz verpflichtet die Behörden zu einer zeitnahen Beantwortung. Davon abgesehen liegt die Klassifizierung selbstredend in der Verantwortung des ausführenden Unternehmens.

Weitere Kernpunkte

1. Keine gesetzliche Verpflichtung zur Einführung eines ICP

Im Gegensatz zum Gesetzentwurf des Jahres 2019 sieht die nun verabschiedete Version des Exportkontrollgesetzes keine Verpflichtung zur Einführung eines Internal Compliance Programs (ICP) mehr vor. Ungeachtet dessen ist die Einführung eines ICP unbedingt zu empfehlen, zumal angesichts der neuen Herausforderungen des chinesischen Exportkontrollgesetzes.

2. Endverbleibserklärung notwendig

Ähnlich anderer Exportkontrollregime verlangt das neue Gesetz vom Ausführer, dem Genehmigungsantrag eine Erklärung über den Endverwender und die Endverwendung in Bezug auf das jeweils kontrollierte Gut beizufügen. Das Gesetz verpflichtet den Endnutzer, die Endnutzung des kontrollierten Gutes nicht zu ändern oder es nicht an Dritte zu übertragen ohne vorherige Genehmigung durch die chinesischen Exportkontrollbehörden. Einführer und Ausführer müssen eine Änderung des Endnutzers oder der Endnutzung unverzüglich den Behörden melden, sobald sie davon Kenntnis erlangen.

3. Achtung: Black List

Mit dem neuen Gesetz werden auch personen- und länderbezogene Elemente in das chinesische Exportkontrollregime eingeführt. So verweist das Gesetz insbesondere auf die kürzlich erstellte Unreliabe Entity List, in die Einführer oder Endnutzer, die gegen die Verpflichtungen aus der Endverbleibserklärung verstoßen, die nationale Sicherheit oder nationale Interessen gefährden oder kontrollierte Güter zu terroristischen Zwecken nutzen, aufgenommen werden.

Betroffene Unternehmen außerhalb Chinas wären von der Versorgung mit chinesischen Gütern abgeschnitten. Auch dieses personenenbezogene Element wurde dem (Re-)Exportkontrollrecht der USA nachgebildet. Nicht wenige Beobachter sehen darin die Vorbereitung zu Gegenmaßnahmen bezüglich der Aufnahme Huaweis auf die US-amerikanischen Entity List.

Das chinesische Exportkontrollgesetz: Bewertung

Für Empfänger von chinesischen Waren und für Unternehmen, die in China tätig sind, stellt das Exportkontrollgesetz einige Hürden auf – die zumindest partiell sicherlich auch den politischen Spannungen der letzten Jahre, speziell im Verhältnis zu den USA, und dem machtpolitischen Armdrücken auf der Weltbühne geschuldet sind. Fest steht leider, dass Unternehmen mit China-Geschäft den neuen Vorgaben des chinesischen Exportkontrollgesetzes erhöhte Aufmerksamkeit widmen sollten, sollen doch Verstöße empfindliche Bußgelder und Sanktionen sowie ein weitreichendes behördliches Untersuchungs- und Eingriffsinstrumentarium nach sich ziehen.

Unternehmen mit Niederlassung in China sollten vorbehaltlich noch ausstehender Konkretisierungen ihre Compliance-Systeme dem neuen chinesischen Exportkontrollregime anpassen, um Compliance-Risiken zu vermeiden. Dies gilt besonders für Klassifizierungsfragen und Deemed Exports. Für deutsche und europäische Unternehmen mit Handelsbeziehungen zu China im Allgemeinen gilt es in erster Linie die weitere Entwicklung hinsichtlich der Regeln zur Re-Exportkontrolle zu beobachten.

Ausblick

Das im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung ohnehin schon sehr schwierige Thema Exportkontrolle nimmt damit an Komplexität weiter zu. Folgen weitere Staaten den Beispielen der USA und Chinas, wäre eine weltweite exportkontrollrechtliche Compliance kaum noch zu beherrschen. Ähnliche Kopfschmerzen dürfte auch eine weitere Reaktion Chinas auf extraterritoriale Maßnahmen der USA – diesmal im Sanktionsbereich – hervorrufen: Erst im Januar erließ die Wettbewerbsbehörde MOFCOM ein Blocking Statute, die Rules on Counteracting Unjustified Extra-territorial Application of Foreign Legislation and Other Measures, das in erster Linie das Befolgen von US-Sekundärsanktionen verbietet – und auch für in China tätige europäische Unternehmen einige Herausforderungen bereithält.

Der Beitrag zum Thema „Chinesisches Exportkontrollgesetz“ der Rubrik „Außenhandel“ ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 12, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.

Bildnachweis: www.istockphoto.com/Evgeny Gromov