ICC Germany-Mitglied Dr. Natalie Kirchhofer ist Patentanwältin und Partnerin bei Cohausz & Florack und wurde kürzlich vom World IP Review zum „Diversity Champion“ gekürt – u.a. auch für ihr Engagement als Mentorin für Frauen im IP-Bereich. Wir haben bei ihr nachgefragt, wo sie derzeit noch die größten Herausforderungen, aber auch das meiste Potenzial sieht, um mehr Diversität und Chancengleichheit zu schaffen!

Seit Generationen haben Frauen die Welt mit ihrem Einfallsreichtum und ihrer Kreativität geprägt. Dennoch sind zu wenige von ihnen im IP-System vertreten. Auch in Kanzleien sind Frauen zumindest auf Partnerebene stark unterrepräsentiert. Woran liegt das und was hat das für Folgen?

Natalie Kirchhofer: In der Tat haben Frauen als Erfinderinnen im Laufe der Geschichte Beachtliches geleistet. Denken Sie nur an Marie Curie, an die Biophysikerin Rosalind Franklin oder auch an die CRISPR/Cas Erfinderinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier! Aber leider sind Frauen unter den Erfindern, aber auch in der IP-Welt immer noch deutlich weniger stark vertreten als ihre männlichen Kollegen. Nach einer aktuellen Studie des Europäischen Patentamts (EPA) sind nur 13,2 Prozent der Erfinderpersönlichkeiten in Europa weiblich. Die Quote ist zwar angeblich in den letzten Jahrzehnten gestiegen, aber die Kluft zwischen den Geschlechtern ist nach wie vor groß. Dieses enorme Missverhältnis hat meines Erachtens verschiedene Ursachen: So ist der Frauenanteil in den MINT-Fächern, die ja für eine Forschungslaufbahn und Erfindungen (aber auch eine Karriere im IP-Bereich) von Bedeutung sind, nach wie vor sehr gering.

Hinzu kommen strukturelle Probleme, vor allem was eine akademische Laufbahn oder auch den Partnertrack in Kanzleien angeht. Hier haben sich Männer seit Jahrzehnten gut eingerichtet und das Umdenken in Richtung einer paritätischen Besetzung findet nur selten statt. Anders bei den Unternehmen, die hier bereits viel weiter sind: So ist es bei den meisten meiner Mandanten, gerade im Chemie- und Life Sciences-Bereich, gelebte Normalität, dass Teams und Führungspositionen gleichermaßen mit Frauen besetzt sind. Das gilt auch für wichtige Patentabteilungsleitungsfunktionen in der Industrie. Aber insgesamt herrscht bei der Geschlechterverteilung im IP-Bereich leider immer noch eine deutliche Schieflage. Die möglichen Folgen sehe ich in einer schwindenden Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit – und das in einer Zeit, in der Arbeitskräfte und Innovationssprünge immer wichtiger werden!

Wie ließe sich das ändern? Was müsste getan/angestoßen werden, um mehr Diversität und Chancengleichheit im IP-Bereich zu gewährleisten?

Natalie Kirchhofer: Da gibt es eine Menge an Möglichkeiten. Angefangen bei der Bildung: So sollten Mädchen meiner Ansicht nach schon im Kindergarten und in der Schule für MINT-Fächer begeistert werden. Einige starke Initiativen auf Regional-, Landes- und Bundesebene existieren bereits. Diese gilt es zu unterstützen. Frauen, die MINT-Fächer studieren, sollten motiviert werden, eine Forschungskarriere zu verfolgen. Und auch der Beruf der Patentanwältin hat es verdient, stärker beworben zu werden, damit es mehr Frauen in die Kanzleien und langfristig auch auf die Partnerebene schaffen. Außerdem spielen weibliche Vorbilder, mit denen man sich als Berufsanfängerin identifizieren kann, eine wichtige Rolle. Ebenfalls von Bedeutung sind Netzwerke wie das Women-in-IP-Netzwerk und dessen Mentoring-Programm, das ich gern hervorheben möchte. Hiervon habe ich selbst am Anfang meiner Karriere durch eine tolle Mentorin profitiert. Inzwischen bin ich selbst Mentorin und kann meine eigenen Erfahrungen an andere Frauen weitergeben. Auch die Arbeitsbedingungen in Kanzleien gilt es zu hinterfragen: Familie und Karriere sollten sich sehr wohl miteinander vereinbaren lassen! Hierfür braucht es eine Unternehmenskultur, die das fördert. Unsere Kanzlei-Kita, in die ich meine eigenen Kinder guten Gewissens bereits im Alter von drei Monaten gegeben habe, ist hierfür ein gutes Beispiel.

Auch auf formaler Ebene gilt es umzudenken: So scheint es mir völlig überholt, dass sowohl das deutsche Patentgesetz als auch das Europäische Patentübereinkommen in seiner deutschen und französischen Fassung etwa bei den Bestimmungen zur erfinderischen Tätigkeit vehement vom „Fachmann“ oder „L’homme du Metier“ statt zum Beispiel von der „Fachperson“ sprechen.

 Mehr Frauen in IP bedeutet …

… selbstverständlich mehr Vielfalt. Und das hat positive Konsequenzen: Wenn sich Teams diverser aufstellen, also unterschiedliche Perspektiven mit einbeziehen, kommen sie zu besseren und nachhaltigen Arbeitsergebnissen und sind auf lange Sicht innovativer. Wenn wir von Diversität und Chancengleichheit sprechen, würde ich im Übrigen nicht nur die Frauenförderung, sondern unbedingt auch das Thema LGBTIQ+ miteinbeziehen. In den Räumlichkeiten unserer Kanzlei hat hierzu 2022 eigens ein Kick-Off-Event stattgefunden, bei dem sich insbesondere queere Menschen aus dem Bereich Legal und IP kennenlernen und austauschen konnten. Aus dieser Idee ist ein eigenes Netzwerk entstanden, das sich dem wichtigen Thema LGBTIQ+ in Zukunft weiter widmen wird. Es gilt also die Voraussetzungen zu schaffen, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt auch im IP-Bereich widerspiegelt. Das halte ich für ein lohnenswertes Ziel.