Zunehmender Protektionismus, geopolitische Risiken, gestiegene Preise – die Folgen der Corona-Pandemie und des russischen Kriegs in der Ukraine verändern die Weltwirtschaft. Die export- und importstarke deutsche Wirtschaft ist besonders auf multilaterale Handelsregeln und funktionierende Lieferketten angewiesen. Mit einer Außenhandelsquote von rund 90 % ist Deutschland die offenste Volkswirtschaft der G7-Staaten. Zum Vergleich: In den USA stellt die Summe der Exporte und Importe in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) lediglich 26 % dar.

Infolge der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist es insbesondere in den Jahren 2021 und 2022 zu erheblichen Lieferkettenstörungen und Preissteigerungen gekommen. Steigende Handelsbarrieren, wie z.B. lokale Zertifizierungsvorgaben, Local-Content-Vorschriften oder Exportkontrollen von Rohstoffen sowie zunehmende regulatorische Vorgaben für Lieferketten, machen es für Unternehmen immer planungsaufwändiger und teurer ihre Auslandsgeschäfte abzuwickeln. Laut der Umfrage „Going International“, die von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) initiiert wird, haben im vergangenen Jahr 56 % der international tätigen Betriebe eine Zunahme von Handelshemmnissen registriert – ein neuer Höchststand in der Umfrage.[1]

Die Welthandelsorganisation (WTO) und der Internationale Währungsfonds (IWF) sehen erste Anzeichen einer Fragmentierung der Weltwirtschaft, das heißt eine Entkopplung („Decoupling“) einzelner Regionen voneinander. Während die WTO eher ein schwächeres Wachstum des Handelsvolumens zwischen theoretisch rivalisierenden Handelsblöcken als innerhalb der Blöcke erkennt,[2] sieht der IWF eine beginnende Fragmentierung auf den globalen Rohstoffmärkten.[3] Eine zunehmende Distanz zwischen einzelnen Blöcken, die weniger miteinander handeln, erhöht die Kosten im internationalen Handel und führt zu Wohlstandsverlusten.

Infolge der Lieferkettenunterbrechungen und gestiegenen geopolitischen Risiken werden kritische Abhängigkeiten von Rohstoffen und Vorprodukten von einzelnen Ländern von Politik und Wirtschaft stärker unter die Lupe genommen. Die Unternehmen treiben mit der Diversifizierung ihrer Lieferketten ein „Derisking“ voran. Dieser Prozess ist nicht nur mit zahlreichen Herausforderungen verbunden, auch politische Vorhaben können die Diversifizierungsbemühungen erschweren.

Geopolitische Risiken aus Sicht der Unternehmen

Die Überlappung multipler Krisen – Corona-Pandemie, russischer Krieg in der Ukraine – stellt eine neue Situation für Unternehmen dar. Mittelfristig gehen sie davon aus, dass zahlreiche geopolitische Herausforderungen ihre Geschäftstätigkeit beeinflussen werden, wie Abbildung 1 zeigt.

Abb.1: Geopolitische Herausforderungen in den kommenden fünf Jahren aus Sicht der Unternehmen (Quelle: AHK World Business Outlook Frühjahr 2023)

Laut des AHK „World Business Outlook Frühjahr 2023“, einer Umfrage unter weltweit mehr als 5.100 Mitgliedsunternehmen der Deutschen Auslandshandelskammern, rechnet mehr als die Hälfte (54 %) der international aktiven Betriebe demnach damit, dass die aktuelle Inflation, geldpolitische Rahmenbedingungen und Verwerfungen im Währungs- und Finanzierungsgeschäft zu den größten geopolitischen Herausforderungen für die Wirtschaft gehören werden.[4] Noch immer sind die Inflationsraten in wichtigen Absatzmärkten der deutschen Wirtschaft hoch, das gestiegene Zinsniveau verteuert die Finanzierung und hemmt die weltweite Nachfrage.

Jedes dritte der weltweit befragten Unternehmen (34 %) blickt mit Sorge auf Fragmentierung der Weltwirtschaft, also Abkopplungstendenzen zwischen bisherigen Handelspartnern. Ein Jahr zuvor waren es noch 27 %. Diese Entwicklung führt schon jetzt zu steigenden Kosten und wachsenden Unsicherheiten bei den Planungen der Unternehmen.

40 % der deutschen Unternehmen mit Standort im Ausland stellen sich darauf ein, dass der politische Einfluss auf die globalen Lieferketten weiter zunimmt; ein Jahr zuvor hatten dies noch 34 % erwartet. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist seit Anfang des Jahres 2023 in Kraft, eine europäische Richtlinie dazu befindet sich in der Abstimmung. Darüber hinaus müssen Unternehmen auf Grundlage weiterer Richtlinien und Verordnungen der EU, wie den kürzlich in Kraft getretenen CO2-Grenzausgleichmechanismus CBAM oder die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, die den Import von Produkten aus entwaldeten Gebieten verbietet, zusätzliche Berichtspflichten über ihre Lieferketten abgeben. Auch Handelshemmnisse nehmen Einfluss auf Lieferketten. Ein Beispiel sind Local-Content-Vorschriften, die Unternehmen zur Produktion eines bestimmten Anteils der Wertschöpfung in einem Land verpflichten, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden.

Unternehmen sind auf funktionierende Lieferketten angewiesen. 37 % der Unternehmen sehen jedoch Schwierigkeiten bei der Versorgungssicherheit mit Rohstoffen und Energie.

„Jedes dritte der weltweit befragten Unternehmen (34 %) blickt mit Sorge auf jene Fragmentierung der Weltwirtschaft, also Abkopplungstendenzen zwischen bisherigen Handelspartnern, für die die WTO und der IWF in ihren Studien bereits erste Anzeichen sehen. Ein Jahr zuvor waren es noch 27 %. Diese Entwicklung führt schon jetzt zu steigenden Kosten und wachsenden Unsicherheiten bei den Planungen der Unternehmen.“

Neben den Veränderungen in den Handelsströmen und der internationalen Arbeitsteilung, auf die sich der vorliegende Artikel konzentriert, muss die grüne und digitale Transformation bewältigt werden. In diesem Zusammenhang sehen 28 % der deutschen Unternehmen an ihren internationalen Standorten Herausforderungen bei der digitalen Transformation sowie ein Viertel bei der Transformation der Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen Produktion und Energieversorgung.

Unternehmen treiben die Diversifizierung voran – aber stoßen auf viele Hürden

Aufgrund der Erfahrungen von unterbrochenen Lieferketten und der gestiegenen geopolitischen Risiken treibt ein Großteil der Unternehmen die Diversifizierung in ihren Lieferketten weiter voran.

Viele suchen neue oder zusätzliche Lieferanten für ihre Produkte. Zudem verlagern sie Teile der Produktion oder ganze Produktionsstätten und Niederlassungen an neue Standorte. Oftmals werden Lieferanten oder neue Standorte in regionaler Nähe zu bisherigen Betriebsstätten gesucht, damit kurze Lieferwege garantiert werden können. Dennoch spielt die Risikostreuung eine bedeutende Rolle, sodass Lieferanten und Standorte auf mehrere Länder verteilt werden. So suchen bspw. deutsche Unternehmen, die in China tätig sind, in weiteren asiatischen Ländern, um so eine „China + 1 Strategie“ umzusetzen.

Auch wenn viele Unternehmen an der Diversifizierung arbeiten, ist der Prozess mit Herausforderungen verbunden (siehe Abbildung 2). Knapp die Hälfte (47 %) der Unternehmen, die bei der Diversifizierung generell Herausforderungen sehen, berichten davon, Probleme bei der Suche nach passenden Geschäftspartner:innen bzw. Lieferanten zu haben. Auch die Identifizierung geeigneter Absatz- oder Beschaffungsmärkte (29 %) und die Suche nach Standorten mit geeigneter Infrastruktur (14 %) ist mit einem hohen Planungsaufwand verbunden. Bei der Erschließung neuer Märkte und Suche passender Geschäftspartner:innen kann etwa das Netzwerk der Deutschen Auslandshandelskammern (AHKs) an 150 Standorten in 93 Ländern unterstützen.

Abb. 2: Herausforderungen bei der Diversifizierung (Quelle: AHK World Business Outlook Frühjahr 2023)

Sind dann erstmal geeignete Geschäftspartner:innen und Standorte gefunden, sehen sich Unternehmen mit erhöhten Rechts- und Regulierungsproblemen (34 %) sowie mit Handelshemmnissen (24 %) konfrontiert. Nicht nur die bereits oben beschriebenen Berichtspflichten aufgrund verschiedener Lieferketten-Regularien stellen einen erhöhten Bürokratieaufwand dar, auch müssen die lokalen Rechtsvorschriften der jeweiligen Länder beachtet werden. Hinzu kommen Handelshemmnisse wie lokale Zertifizierungsvorgaben. Diese können die notwendige Diversifizierung hemmen, indem sie Geschäftsanbahnungen und Vereinbarungen komplexer machen.

Wie die Politik helfen kann: Abschluss von Handelsabkommen, Abbau von Bürokratie

Änderungen von Lieferketten sind grundsätzlich unternehmerische Entscheidungen. Der Staat sollte wenig in diese Entscheidungen eingreifen und dabei sicherstellen, dass Unternehmen möglichst frei agieren können.

Für die Reduzierung kritischer Abhängigkeiten (wie sie etwa die EU-Kommission für ihre Industriestrategie analysiert hat) sowie die Diversifizierung sowohl von Lieferanten als auch von Absatz- und Beschaffungsmärkten brauchen die Betriebe jedoch auch politische Unterstützung. Auf diese Weise können bislang eher verschlossene oder auch schwierige Märkte möglichst rechtssicher und mit einem vertretbaren betriebswirtschaftlichen Aufwand bearbeitet werden. Dazu braucht es eine Stärkung des multilateralen Handelssystems sowie Freihandelsabkommen mit wichtigen Partnern, wie Indien, Indonesien oder den Mercosur-Staaten. Denn: Verlässliche Handelsabkommen bauen Handelshemmnisse ab und schaffen gemeinsame Standards sowie Rechts- und Planungssicherheit.

Um die Diversifizierung nicht zusätzlich zu erschweren, ist eine praxistaugliche Anwendung von Regulierungen, die Berichtspflichten für Unternehmen entlang der Lieferketten beinhalten, unbedingt notwendig – das gilt etwa für das LkSG oder CBAM. Zudem bleiben die Finanzierungsinstrumente der Bundesregierung, wie Exportkredit- und Investitionsgarantien, die das Auslandsgeschäft in risikoreichen Ländern absichern, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen ein wichtiger Bestandteil der Außenwirtschaftsförderung. Diese Instrumente werden aktuell an klimapolitische Leitlinien und Diversifizierungsziele angepasst. Hierbei sollte das Motto „Wo entmutigt wird, muss auch ermutigt werden” gelten. Wenn die Instrumente für bestimmte Länder und Sektoren nicht mehr oder nicht im gleichen Maße vergeben werden sollen, dann ist es umso wichtiger, dass an anderen Stellen mehr oder bessere Konditionen gelten. Bei allen Anpassungen dürfen Diversifizierungsbestrebungen, Versorgungssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen nicht außer Acht gelassen werden.

Fazit

Die Weltwirtschaft ist im Wandel. Unternehmen preisen geopolitische Risiken stärker in ihre Geschäftsstrategien ein und erhöhen durch die Diversifizierung die Widerstandsfähigkeit in ihren Lieferketten. Der Prozess kostet Zeit und Geld und ist häufig durch Handelshemmnisse und Bürokratie in der Außenwirtschaft erschwert. Offene Märkte und der Abschluss von Handels- und Rohstoffabkommen sind für die international aktiven deutschen Unternehmen daher von großer Bedeutung. Gemeinsam können Wirtschaft und Politik so zur Resilienz des außenwirtschaftlich orientierten Geschäftsmodells Deutschland beitragen.

[1] Siehe Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK): Going International 2023: https://www.dihk.de/resource/blob/92236/7ce62b483ee5af6c41993df86bc5effb/going-international-2023-data.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2023).

[2] Siehe Welthandelsorganisation (WTO): World Trade Report 2023: Re-globalization for a secure, inclusive and sustainable future. Abzurufen unter: https://www.wto.org/english/res_e/publications_e/wtr23_e.htm (zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2023).

[3] Siehe Internationaler Währungsfonds (IWF): World Economic Outlook October 2023, Chapter 3: Fragmentation and commodity markets: vulnerabilities and risks. Abzurufen unter: https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2023/10/10/world-economic-outlook-october-2023 (zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2023).

​[4] Siehe DIHK, AHK World Business Outlook Frühjahr 2023 (Fn. 1).

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