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Dr. Elke Umbeck

ist Partnerin der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek und leitet die Praxisgruppe Prozessführung / Schiedsverfahren. Mit über 20-jähriger Berufserfahrung berät und vertritt sie Unternehmen aus verschiedenen Branchen  und ist auch als Schiedsrichterin tätig.

Dr. Jonas Pust

ist Salaried Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er vertritt Mandanten sowohl in nationalen als auch in internationalen Verfahren, einschließlich institutioneller und Ad-hoc-Schiedsverfahren.

Die neue ICC-Schiedsordnung 2021 ist am 1. Januar 2021 in Kraft getreten und finden damit auf Schiedsverfahren Anwendung, die nach diesem Datum eingeleitet werden.  Ein Überblick zu den wichtigsten Änderungen:

Digitalisierung der Verfahrensführung

Virtuelle mündliche Verhandlungen

Das Recht der Schiedsparteien auf eine mündliche Verhandlung gehört zu den Grundprinzipien internationaler Schiedsverfahren. Die neuen Regeln stellen ausdrücklich klar, dass nach Anhörung der Parteien eine mündliche Verhandlung auch durch eine Videokonferenz, per Telefon oder ein anderes geeignetes Kommunikationsmittel stattfinden kann (Art. 26 (1)). Während Schiedsgerichte ohne Zustimmung der Parteien zuvor nur zurückhaltend entsprechend verfahren sind, bedeutet die ausdrückliche Erlaubnis eine erfreuliche Klarstellung für die Verfahrensbeteiligten. Schiedsgerichte erhalten damit eine sichere Grundlage, um ein sog. „remote hearing“ abzuhalten, auch wenn eine Partei dem nicht zustimmen sollte. Art. 26 (1) sieht die fernmündliche Verhandlung nicht als Ausnahme vor, sondern stellt diese auf eine Stufe neben die Präsenzverhandlung. Besondere Umstände, wie beispielsweise die Covid-19 Pandemie, sind ausdrücklich nicht gefordert, vielmehr soll eine umfassende Abwägung aller Belange des Verfahrens (Streitgegenstand, Notwendigkeit einer Beweisaufnahme, Verfügbarkeit von Zeugen & Experten, Kosten, Besonderheiten des am Schiedsort anwendbaren Schiedsrechts etc.) erfolgen. Die Parteien haben damit keinen Anspruch auf eine Präsenzverhandlung und Schiedsrichter werden animiert, gegenüber beiden Formen offen zu sein.

Bewertung: In der Praxis empfiehlt es sich, bereits bei Beginn des Verfahrens (etwa im Rahmen der Case Management Konferenz) zu überlegen, ob und in welcher Form eine mündliche Verhandlung erfolgen soll, auch wenn eine endgültige Festlegung unter Abwägung aller Umstände erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich und sinnvoll sein wird.

Elektronische Einreichung der Schiedsklage

Die Verfahrenseinleitung durch Einreichung der Schiedsklage erfolgt nach dem neuen Art. 3 (1) und 4 (4) b grundsätzlich nur elektronisch, ohne dass Schriftsätze samt Anlagen an die ICC übermittelt werden müssen. Allerdings haben die Parteien weiterhin die Möglichkeit eine förmliche Zustellung zu beantragen (Art. 4 (4) b)) und müssen dann – wie gehabt – für jede weitere Partei, jeden Schiedsrichter und das Sekretariat entsprechende Exemplare bereitstellen. Die Regelungen geltend identisch auch für die Klageantwort.

Bewertung: Die Vorschrift bietet eine erfreuliche Flexibilisierung des Verfahrens, ist aber mit Bedacht zu handhaben. Denn das ordnungsgemäße Inkenntnissetzen von der Verfahrenseinleitung ist Voraussetzung für eine spätere Vollstreckbarkeit, da andernfalls die Aufhebung des Schiedsspruchs droht (Art. V (1) b) des New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche sowie § 1059 (2) Nr. 1 b) ZPO). Es ist daher stets sorgsam zu prüfen, ob insbesondere im Zustellungsstaat erhöhte formelle Anforderungen bestehen.

Mehrparteien- und Mehrvertragsschiedsverfahren

Ein Schiedsverfahren ist grundsätzlich auf die Parteien der Schiedsvereinbarung begrenzt. Dennoch kann beispielsweise bei Lieferketten oder Subunternehmerverträgen eine Einbindung Dritter sachlich sinnvoll sein. Durch die ausdrückliche Anerkennung des Schiedsgerichts und des Schiedsauftrags durch einen Dritten, ist ein Antrag auf Einbeziehung eines Dritten auch in einem späteren Verfahrensstadium zulässig (Art. 7 (5)). Zuvor war nach der Konstituierung des Schiedsgerichts die Zustimmung sämtlicher Parteien notwendig. Nunmehr entscheidet das Schiedsgericht über die Einbeziehung unter Berücksichtigung u.a. des Verfahrensstands und der prima facie Zuständigkeit des Schiedsgerichts betreffend die dritte Partei.

Die Verbindung von Verfahren (Konsolidierung) ist nunmehr auch möglich, wenn in den Verfahren Ansprüche aus mehreren gleichlautenden Schiedsvereinbarungen geltend gemacht werden (Art. 10 (b)). Dies ermöglicht eine Verbindung von Verfahren mit unterschiedlichen Parteien vorausgesetzt, diese sind sämtlich Parteien derselben Schiedsvereinbarungen.

Bewertung: Beide Ergänzungen stellen eine sinnvolle Fortentwicklung der vorhandenen Regelungen zu Mehrparteienschiedsverfahren dar. Der sorgfältige Entwurf der Schiedsklauseln bei einer Mehrzahl von Verträgen gewinnt hierdurch zusätzlich Bedeutung.

Transparenz bei Drittfinanzierungen und Parteivertretungen

Wechsel der Parteivertreter

Parteien müssen Änderungen in ihrer Vertretung unverzüglich gegenüber dem Sekretariat und dem Schiedsgericht sowie weiteren Parteien anzeigen (Art. 17 (1)). Nach Anhörung der Parteien kann das Schiedsgericht Parteivertreter ablehnen, die nach Bildung des Schiedsgerichts hinzukommen, wenn hierdurch Interessenkonflikte entstehen (Art. 17 (2)). Hierdurch soll die böswillige Torpedierung des Verfahrens durch die künstliche Herbeiführung von Interessenskonflikten unterbunden werden.

Bewertung: Die Regelung ist für absolute Ausnahmefälle bestimmt.

Offenlegungspflicht bei Prozessfinanzierung

Die Parteien sind nunmehr ausdrücklich verpflichtet, eine Prozessfinanzierung durch einen Dritten offenzulegen (Art. 11 (7)).

Bewertung: Hierdurch sollen relevante Interessen Dritter am Ausgang des Verfahrens erkennbar werden, sodass Schiedsrichter ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit umfassend beurteilen können.

Weitere Neuerungen

Beschleunigte Verfahren bis drei Millionen Dollar

Die Bestimmungen zum beschleunigten Verfahren in Anhang VI der ICC Schiedsordnung kommen nunmehr bei einem Streitwert bis USD 3.000.000 zur Anwendung (Artikel 30 und Anhang VI). Für Schiedsvereinbarungen die zwischen dem 1. März 2017 und dem 31. Dezember 2020 geschlossen wurden, gilt weiterhin der alte Schwellenwert von USD 2.000.000. Wie bisher kommen die Regeln automatisch zur Anwendung, wenn die Parteien diese nicht ausdrücklich ausschließen (Art. 30 (3) b)) oder der Gerichtshof diese (auf Antrag einer Partei) im konkreten Fall für unangemessen hält (Art. 30 (3) c)).

Bewertung: Durch die Anhebung des Streitwerts reagiert die ICC richtigerweise auf die geforderte Kosteneffizienz bei geringeren Streitwerten. Beschleunigte Verfahren werden stets von einem Einzelschiedsrichter geführt und sind grundsätzlich binnen sechs Monaten zu beenden.

Ergänzender Schiedsspruch

Sollte ein Schiedsgericht – trotz der Prüfung des Schiedsspruchs durch den Schiedsgerichtshof – nicht abschließend über sämtliche Anträge entschieden haben, kann nunmehr nach Art. 36 (3) ein ergänzender Schiedsspruch ergehen. Damit wird neben der Berichtigung und Auslegung des Schiedsspruchs eine weitere Möglichkeit für eine nachträgliche „Korrektur“ des Schiedsspruchs geschaffen, die in Deutschland auch bei staatlichen Urteilen ähnlich besteht. Der Antrag ist binnen 30 Tagen ab Zustellung des Schiedsspruchs an das Sekretariat (nicht das Schiedsgericht) zu richten.

Bewertung: Es ist zu begrüßen, dass nunmehr nicht nur formelle Fehler, sondern auch Auslassungen in der Entscheidungsfindung nachträglich korrigiert werden können.

Fazit

Die punktuellen Neuerungen tragen der Fortentwicklung der Streitbeilegung durch weitere Flexibilisierungen und mehr Transparenz Rechnung. Die modernisierten Regelungen erfordern informierte Entscheidungen der Verfahrensbeteiligten, beispielsweise bei der elektronischen Übermittelung der Schiedsklage, um die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen sicherzustellen und im Einzelfall Nachteile aufgrund von fernmündlichen Schiedsverhandlungen zu verhindern.

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 12, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.

Bildnachweis: ICC