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Rüdiger Geis

Rüdiger Geis ist Head Trade Affairs im Bereich Firmenkunden der Commerzbank AG. In dieser Funktion hält er engen Kontakt mit vielen Beteiligten, die für die Digitalisierung des Handelsgeschäftes benötigt werden. Zudem ist er Mitglied des Executive Boards der ICC-Bankenkommission in Paris.

Bisher sind die in der traditionellen Handelsfinanzierung angewandten papierhaften Instrumente wie Import- und Export-Akkreditive sehr arbeitsaufwendig. Die Kosten für die Bearbeitung sind hoch, der gesamte Prozess ist fehleranfällig, langsam und ineffizient. Unternehmen suchen deshalb nach Lösungen, die eine bessere Kontrolle und Transparenz innerhalb ihrer internationalen Wertschöpfungsketten ermöglichen. Banken wiederum entwickeln Instrumente, die die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften unterstützen und den Einsatz von Kapital optimieren. Proaktiv werden verschiedene Technologien eingeführt, die von der optischen Zeichenerkennung (OCR) über künstliche Intelligenz (KI, englisch: Artificial Intelligence (AI)) bis hin zu Distributed Ledger Technology (DLT) und intelligenten Verträgen, sogenannten „Smart Contracts“ reichen. Solche Lösungen umfassen die Digitalisierung der Ausführungsprozesse und einen kontinuierlichen Datenfluss zwischen allen Beteiligten in der Lieferkette.

Alle Beteiligten, insbesondere auch die Politik, müssen eingebunden werden

Die größte Herausforderung auf dem Weg zu einer durchgängigen Digitalisierung ist die Vielzahl an Dokumenten und Akteuren, wie beispielsweise Banken, Zollbehörden, Verlader oder Versicherer, die an den entsprechenden Transaktionen beteiligt sind. Zwar ist die papiergebundene Bearbeitung bei der Ausstellung und Abrechnung durch die neuen Technologien bereits zurückgegangen, doch bei der Überprüfung und Verifizierung von Dokumenten bleibt der physische Dokumentenaustausch das Maß aller Dinge. Das klassische Beispiel ist die Zollabfertigung, die oft noch papierhafte Dokumente im Original verlangt. Das führt dazu, dass bereits eingeführte technische Lösungen kaum Einsparungen von Zeit und Kosten erzielen.

Supranationaler Masterplan

Zur Schaffung einer einheitlichen regulatorischen Infrastruktur für die Digitalisierung der Handelsfinanzierung ist deshalb ein supranationaler Masterplan erforderlich. Nur so lassen sich die bestehenden Hürden bei der digitalen Transformation der Handelsfinanzierung überwinden. Dazu hat die ICC eine Roadmap erarbeitet, die sich an Unternehmen, Finanzinstitute und vor allem auch an Regierungen sowie zwischenstaatliche Institutionen und Regulierungsbehörden wendet.

Die Roadmap sieht einen acht Punkte umfassenden Aktionsplan vor, der als ersten Schritt die Akzeptanz von verifizierbaren PDF-Dokumenten für den Import und Export über alle Regierungsstellen und angeschlossenen Behörden vorschlägt. Ebenso sollen die Erstellung und Vorlage von Ursprungszeugnissen digital erfolgen.

Im Regulierungsbereich wird unter Anderem die Umsetzung der Vorschläge der UN-Kommission für das internationale Handelsrecht (UNCITRAL) in Bezug auf elektronische übertragbare Aufzeichnungen in nationales Recht sowie die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Handelserleichterungsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) aus dem Jahr 2013 angeregt. Dadurch würde ein Bürokratieabbau über mehr als 150 Länder hinweg erzielt werden.

Systemseitig wird die Einführung eines sogenanntes „Single-Window-Systems“ durch Behörden und Regierungsstellen gefordert – also standardisierte, digitale Informationen und Datensätze für alle import-, export- und transitbezogenen regulatorischen Anforderungen über einen zentralen Kanal einzureichen und auch digital zurückzuerhalten.

Wie Regierungen die Weichen stellen können

Die ICC-Roadmap wurde in den letzten  zwei Jahren entwickelt und anläßlich der Sitzung der ICC-Bankenkommission vom 8. bis 11. April 2019 in Peking verabschiedet. Sie entstand aus der Erkenntnis, dass viel über den digitalen Handel gesprochen wird, aber in einigen Punkten noch eine gemeinsame „Fahrtrichtung“ fehlt. Insbesondere die Einbindung der teils sehr unterschiedlichen Interessen und Anforderungen der Beteiligten bedarf eines gemeinsamen Fahrplans, um die Aufgaben, Rollen und Erwartungen an die einzelnen Gruppen zu verdeutlichen.

Das Engagement nationaler Regierungen und internationaler Organisationen wie der WTO ist für den Erfolg einer Digitalisierung unerlässlich, denn es geht um eine regulatorische Harmonisierung über nationale Grenzen hinweg und ein verlässliches Umfeld, in dem sich neue Regeln und Standards durchsetzen können. Vieles kann von der Industrie oder Interessensvertretungen wie der ICC kommen, für eine Anpassung der Rechtsvorschriften, die Verabschiedung neuer Gesetze im Digitalisierungsbereich, zumeist über Grenzen hinweg, bedarf es einer politischen Unterstützung.

Neben dieser internationalen, übergreifenden Initiative sind parallel nationale Maßnahmen mit allen Beteiligten in der Handelskette anzustreben, um eine zügige, durchgehende digitale Datenkette im Handelsverkehr zu erreichen. Die heute sehr oft mehrfach stattfindende Konvertierung von Daten zu Papier und erneute Datenerfassung durch die nächste Partei kann so hoffentlich auf ein Minimum reduziert werden, was sowohl die Fehleranfälligkeit senkt als auch die Bearbeitungszeiten verkürzt.

Dabei ist die Roadmap kein statisches Dokument. Sie wird zeitnah an sich rasch entwickelnde Trends und Innovationen angepasst. ICC Germany und andere nationale Komitees haben zur Roadmap beigetragen und sind in die Umsetzung auf nationaler Ebene eingebunden.

Neue Regeln in Vorbereitung

Neben der Roadmap, die eine langfristige, strategische Vision aufzeigt, entwickelt die ICC regelmäßig ihre eigenen Standards und Richtlinien weiter. So wird es in Kürze ein Update der Regeln für die elektronische Dokumentenvorlage unter Akkreditiven (e UCP – e Uniform Customs and Practices for documentary credits) und erstmals eine Regelung für elektronische Dokumente unter Inkassos (e URC – e Uniform Rules for Collections) geben, über die in der nächsten Ausgabe des ICC Germany Magazins berichtet wird. Hierbei geht es unter anderem um die Akzeptanz von digitalen Import- und Export-Dokumenten, beispielsweise die Zulassung papierloser Ursprungszertifikate.

Angesichts neu aufkommender Technologien wie DLT ist auch ein genereller Rahmen für die verstärkt in Erscheinung tretenden digitalen Plattformen nötig. Zurzeit gibt es mindestens acht Konsortien, die an diversen Neuerungen in der elektronischen Dokumentenabwicklung und im Supply-Chain-Finance-Bereich arbeiten. Jede von ihnen ist datengesteuert und erfordert die Festlegung/Definition von bedingten und unbedingten Zahlungsverpflichtungen. Anstatt separat in jedem Konsortium Regelbücher zu entwickeln, die sich mit der Art und Weise, wie sich die Teilnehmer engagieren, ihren Rollen und Verantwortlichkeiten und den Situationen, in denen eine Zahlungsverpflichtung bestehen kann, auseinander setzen, hat das Executive Committee der ICC Banking Commision eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um ein gemeinsames, generelles Regelwerk namens „Uniform Rules for Digital Trade“ zu erarbeiten. Ziel ist es, einen Rahmen zu entwickeln, in dem die oben genannten Konsortien tätig werden können, indem sie sich bei der Festlegung und Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen auf diese Regeln in ihren Prozess- und Technologiekonstrukten beziehen. In diesen Arbeitsgruppen sind Vertreter diverser deutscher Banken, unter anderem auch von der Commerzbank, vertreten.

Commerzbank beschleunigt Compliance-Prüfungen

Bis eine komplette Abwicklung von internationalen Handelstransaktionen komplett digital möglich sein wird, bedarf es einiger Zwischenschritte und -lösungen. Neben der Schaffung von gemeinsamen Standards für die Datensätze muss auch an einer effektiveren Bearbeitung der derzeit in weiten Bereichen manuellen Abwicklung gearbeitet werden. Auch die in den letzten Jahren deutliche Verschärfung der Regeln zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismus-Finanzierung erfordern einen verstärkten Technologieeinsatz. Um Abwicklungszeiträume gerade vor diesem Hintergrund zu verkürzen, wird die Commerzbank ausgewählte Compliance-Vorabprüfungen bei der Abwicklung von Handelsfinanzierungsgeschäften bis 2020 automatisieren.

Durch eine intelligente Automatisierung kann damit eine Prüfung der bislang papierhaften Akkreditiv-Dokumente deutlich beschleunigt werden. Im Oktober 2018 hat die Bank eine Pilotphase zur Automatisierung der Antigeldwäsche-Prozesse (AML) gestartet, die einen wesentlichen Teil der Vorabprüfung jedes Handelsfinanzierungsgeschäfts ausmachen. Dafür kooperiert die Bank seit Kurzem mit dem Fintech Conpend. Hierzu wird ein Schrifterkennungsprogramm (OCR) mit maschinellen Lernverfahren kombiniert, um Daten aus papierhaften Dokumenten zu extrahieren, Muster zu erkennen und Abweichungen festzustellen.

Fazit

Bis zu einer vollständigen Digitalisierung im Handelsbereich wird sicherlich noch einige Zeit vergehen, die ICC legt mit ihrer digitalen Roadmap aber ein gutes Fundament, um hier gemeinsam nach Vorne zu kommen. Die ICC wird sowohl auf internationaler und über ICC Germany auf nationaler Ebene das Gespräch mit den Regulierern und Behörden suchen. Gerade für das Exportland Deutschland sollte eine schnelle und effiziente Abwicklung internationaler Geschäfte Priorität haben.

 

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 08, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.

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