Im Folgenden wird kurz in das Thema der Traditionspapiere eingeführt. Sodann werden die rechtlichen Rahmenbedingungen des geltenden Rechts sowie die Bemühungen privater Anbieter skizziert, digitale Lösungen anzubieten. Im Anschluss wird ein Ausblick auf zukünftige Regelungsmöglichkeiten gegeben.
Das Konnossement
Anders als bei üblichen Transportdokumenten (Ladeschein oder Frachtbrief) kann mithilfe von Traditionspapieren das Eigentum an Ware übertragen werden. Das Traditionspapier des internationalen Seetransports heißt Konnossement, englisch „Bill of Lading“. Es handelt sich um eine vom Verfrachter ausgestellte Urkunde, die den Auslieferungsanspruch des legitimierten Inhabers verbrieft, damit dieser im Bestimmungshafen die Herausgabe der Ware verlangen kann. Das Konnossement hat mithin eine Vielzahl von Funktionen: Es stellt eine Quittung dar. Denn der Verfrachter bestätigt, dass er die Ladung zur Beförderung übernommen hat. Es hat eine Beweisfunktion. Denn es belegt, dass der Verfrachter die Güter so übernommen hat, wie sie im Konnossement beschrieben sind. Es hat Legitimitätsfunktion. Denn das Gesetz stellt die widerlegbare Vermutung auf (§ 519 Absatz 1 Satz 2 Handelsgesetzbuch (HGB)), dass der legitimierte Besitzer des Konnossements aus dem Konnossement berechtigt ist. Die oben erwähnte Traditionswirkung des Konnossements führt schließlich dazu, dass durch Begebung des Konnossements das Eigentum an der Ware übertragen wird. Diese Funktion ist elementar. Denn sie erlaubt den Handel mit Waren, die sich noch an Bord eines Schiffes befinden. Die Traditionswirkung von Konnossementen wird, nicht zuletzt aufgrund ihrer jahrhundertelangen Verwendung, von den meisten Staaten der Welt anerkannt.
Rechtslage in Deutschland: Digitalisierung des Konnossements
In Deutschland befinden sich die Vorschriften zum Seetransport im fünften Buch des Handelsgesetzbuchs (HGB). Dieses wurde erst im Jahre 2013 im Rahmen der Seerechtsreform umfassend novelliert. Regelungen zum Konnossement finden sich in den §§ 513 ff. HGB.
Im Zuge der Reform wurde § 516 HGB eingeführt. Gemäß § 516 Absatz 1 HGB ist das Konnossement vom Verfrachter zu unterzeichnen, wobei – wie auch nach altem Recht – die Nachbildung der eigenhändigen Unterschrift durch Druck oder Stempel genügt. Das Formerfordernis in Bezug auf die Ausstellung eines Konnossements ist somit geringer als das Schriftformerfordernis des Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dies erscheint auf den ersten Blick verwunderlich: Warum ist die Schriftform bei der Kündigung einer Mietwohnung erforderlich, bei der Ausstellung eines handelbaren Wertpapiers aber nicht, obwohl mit ihm zum Beispiel die Eigentumsübertragung der Gesamtladung eines Öltankers ermöglicht wird? Die einfache Erklärung der insoweit nachvollziehbaren Entscheidung des Gesetzgebers ist das Massengeschäft des Transportgewerbes. Allein im Hamburger Hafen sind im Jahr 2018 rund 8,7 Millionen TEU (20-Fuß-Standardcontainer) umgeschlagen worden. Diese Zahl gibt eine Vorstellung davon, wie viele Konnossemente tagtäglich ausgestellt werden. Es versteht sich daher von selbst, dass eine elektronische Ausstellung und Weitergabe von Konnossementen den Rechtsverkehr erheblich vereinfachen und den Dokumententransfer beschleunigen würde.
Mit § 516 Absatz 2 HGB wurde eine rechtliche Grundlage für die Verwendung elektronischer Konnossemente geschaffen. Danach sollen elektronische Konnossemente den nach Absatz 1 ausgestellten Konnossementen gleichgestellt werden, „sofern sichergestellt ist, dass die Authentizität und die Integrität der Aufzeichnung stets gewahrt bleiben (elektronisches Konnossement)“. Zu den Funktionen, die das elektronische Konnossement ebenso wie das bisherige, papiergebundene Konnossement erfüllen muss, zählen etwa die oben erläuterte Beweisfunktion, die Traditionsfunktion, die Quittungsfunktion und die Legitimationsfunktion.
In § 516 Absatz 3 HGB wird das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ermächtigt, „die Einzelheiten der Ausstellung, Vorlage, Rückgabe und Übertragung eines elektronischen Konnossements sowie die Einzelheiten des Verfahrens einer nachträglichen Eintragung in ein elektronisches Konnossement zu regeln“. Bisher hat das BMJV von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht. Ein Grund hierfür liegt darin, dass laut Gesetzesbegründung (Deutscher Bundestag Drucksache (BT-Drs.) 17/10309, S. 93) die Frage, inwieweit überhaupt von der Ermächtigung aus § 516 Absatz 3 HGB Gebrauch gemacht werden soll, davon abhängt, ob sich geeignete Formen und Verfahren in der Praxis abzeichnen. Anders formuliert: Der Gesetzgeber überlässt die Herausforderung, praxisgerechte und rechtlich einwandfreie Lösungen für die Schaffung und Übertragung elektronischer Konnossemente zu finden, (zunächst einmal) der Privatwirtschaft.
Dies ist nicht zwingend negativ. Denn dies beflügelt nicht nur den Wettbewerb um die beste Lösung. Auch wird vermieden, dass eine gesetzliche Regelung geschaffen wird, die den Erfordernissen der Praxis nicht gerecht wird. Die Zurückhaltung des Gesetzgebers kann auch damit erklärt werden, dass bereits seit Jahren daran gearbeitet wird, entsprechende Verfahren für elektronische Konnossemente zu entwickeln. So hat das Comité Maritime International (CMI) bereits in den 1990er Jahren ein Regelwerk für die elektronische Ausstellung von Konnossementen ausgearbeitet (CMI Rules for Electronic Bills of Lading). Mittlerweile gibt es private Anbieter, die die Verwendung elektronischer Konnossemente im Rahmen geschlossener Systeme anbieten. Beispielhaft zu nennen sind insoweit das BOLERO (Bill of Lading Electronic Registry Organisation) System (www.bolero.net) sowie das ESS (Electronic Shipping Solutions) Databridge System (www.essdocs.com). Bolero und ESS unterliegen ihren eigenen privatrechtlichen Rahmenbedingungen – dem Bolero Rulebook und dem ESS-Databridge Services and Users Agreement. Danach müssen die am Seehandel Beteiligten mit den genannten Privatanbietern Verträge schließen, um die Systeme nutzen zu können.
Die Regelwerke, zum Teil 50 Seiten stark, sind äußert komplex. Zudem unterliegen sie englischem Recht. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist durchaus fraglich, ob die Regelwerke der genannten Anbieter den Anforderungen der Übertragung eines Konnossements nach deutschem Recht genügen. So bestehen zum Beispiel Zweifel in Bezug auf die in der Praxis wichtige Übertragung eines Orderkonnossements. Gemäß § 519 Satz 3 Nr. 3 HGB ist der Konnossementsinhaber nur dann berechtigt, die Herausgabe der Ware zu verlangen, wenn er eine lückenlose Reihe von Indossamenten nachweisen kann. Das Indossament ist ein Vermerk auf der Rückseite des Konnossements, wonach der bisherige Inhaber (Indossant) sein Eigentum an dem Papier mit den damit verbundenen Rechten an den im Indossament Genannten (Indossatar) überträgt. Unter dem Bolero System erfolgt die Übertragung indes mithilfe einer Novation. Rechtsfolge einer Novation ist, dass das ursprüngliche Konnossementsrechtsverhältnis endet und ein neues Rechtsverhältnis mit identischen Rechten und Pflichten begründet wird. Eine Novation entspricht mithin nicht der Übertragung eines Orderkonnossements nach deutschem Recht. Denn es fehlt an einer lückenlosen Reihe von Indossamenten.
Wegen dieser Rechtsunsicherheit, aber auch wegen der komplex erscheinenden Vertragsbedingungen schrecken viele am Seetransport Beteiligten vor der Verwendung der genannten Systeme zurück.
Forschung zum Thema Digitalisierung des Konnossements
Umso interessanter ist, dass mittlerweile auch in Deutschland an Verfahren für E-Konnossemente geforscht wird. Ein Verbundprojekt unter Leitung des Zentrums für Recht der Informationsgesellschaft der Universität Oldenburg untersucht, wie digitale Konnossemente aussehen könnten, die systemäquivalent zu Papier-Konnossementen sind. Das Projekt ist Teil der Förderlinie „Smarte Datenwirtschaft“ des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Der Anspruch ist, eine Software zu entwickeln, die mit dem deutschen Recht in Einklang steht. Technisch soll die Aufgabe durch Schaffung eines Blockchain-Konnossements gelöst werden. Die Idee ist, dass der Verfrachter einen token erstellt und der Software sodann den Befehl erteilt, die gemäß § 515 Absatz 1 HGB vorgeschriebenen Informationen aufzunehmen. Technische Folge wäre, dass diese Informationen dann untrennbar mit dem token verbunden sind und dieser unmittelbar an den „aus dem Papier“ Berechtigten ausgestellt werden kann. Für den Eigentumsübergang an Ware, über die ein token ausgestellt wurde, genügt es sodann, eine Transaktion des tokens an den Erwerber auf der Blockchain vorzunehmen.
Anders als bei den Privatanbietern wird im Rahmen des Forschungsprojekts ein neutraler Ansatz verfolgt. Es soll keine profitorientierte Organisation die Software verwalten. Vielmehr soll die Datensouveränität den Akteuren überlassen werden. Im Hinblick auf die in jüngerer Zeit immer wieder publik gewordenen Datenschutzskandale scheint dies ein guter Ansatz zu sein. (Für weitere Informationen hierzu siehe: www.uol.de/privatrecht/projekt-haptik)
Fazit und Ausblick: Digitalisierung des Konnossements
Es bleibt abzuwarten, ob es angesichts der weiteren technischen Entwicklung gelingt, ein elektronisches Dokument zu erstellen, welches den Anforderungen des § 516 HGB gerecht wird. Bis geeignete Lösungen im Sinne des § 516 Absatz 2 HGB gefunden sind, bleibt Unternehmen nach deutschem Recht die Verwendung elektronischer Konnossemente verwehrt.
Die ICC-Publikation „The legal status of electronic bills of lading“ untersucht die rechtlichen Herausforderungen bei der Digitalisierung des Konnossements in unterschiedlichen Rechtsordnungen wie z.B. Deutschland, USA, Großbritannien, China, Indien, Russland, Brasilien sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten, und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur internationalen Vereinheitlichung.
Der Beitrag zur „Digitalisierung des Konnossements“ ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 08, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.