Die globale Ernährungssituation ist angespannt. Landwirtschaft muss modern und nachhaltig sein.

Volle Regale und eine schier unbegrenzte Vielfalt waren in den westlichen Industrienationen lange eine tagtägliche Selbstverständlichkeit. Lebensmittel standen mengenmäßig in guter Qualität und zu bezahlbaren Preisen für einen Großteil der Verbraucher:innen zur Verfügung. „Das war man so gewohnt.“ Darüber ging jedoch das Verständnis verloren, dass dieser Wohlstand nicht selbstverständlich ist. Ohne eine leistungsfähige Agrarwirtschaft bleiben die Regale nämlich leer bzw. die Produkte werden immer teurer. Landwirtschaft ist eben mehr als nur ein Backup für Spitzenzeiten, sie ist Grundversorgung für den Dauerbetrieb.

Der Krieg auf dem Boden der Ukraine hat diesbezüglich zu schmerzhaften Erkenntnissen geführt. Nicht nur unsere Energieversorgung ist in hohem Maße von sicheren Märkten abhängig. Kriegerische Auseinandersetzungen führen sehr schnell zu massiven Versorgungsproblemen und -engpässen und gefährden die Ernährungssicherung.

Schon lange gibt es mahnende Stimmen, die auf die schlechte Ernährungslage des globalen Südens hinweisen. Die armen Regionen unserer Welt sind nun auch die ersten, die unter der Ukrainekrise massiv leiden. Eine Verbesserung der Situation ist derzeit nicht zu erwarten. Nicht nur, dass bis zum Jahr 2050 ein Bevölkerungswachstum von drei Milliarden Menschen zu erwarten ist, die Zugang zu hochwertigen und nahrhaften Lebensmitteln brauchen werden. Schon heute leiden laut Schätzungen der Vereinten Nationen über 800 Millionen Menschen an Hunger oder Mangelernährung, Tendenz spürbar steigend. Aber auch wir sind betroffen. Hierzulande fehlen wegen des Ukraine-Krieges plötzlich einige Produkte bzw. schießen deren Preise in die Höhe. Eine Inflationsrate von nahezu 8 % (Stand Juli) verschärft die Situation. Die Lebensmittelpreise steigen weiter, je nach Produktgruppe um 20 bis 50 %.

Die Ressourcen sind endlich

Berücksichtigt man zudem die Klimaschwankungen und Starkwetterereignisse sowie den zunehmenden Druck durch teils neue Schädlinge und Krankheiten, wird deutlich: Der Erhalt des Status Quo in der Landwirtschaft und der Wertschöpfungskette für Nahrungsmittel (Food Value Chain) reicht nicht aus. Bis 2050 werden wir einen Anstieg der Lebensmittelproduktion um 70 % benötigen, um die Weltbevölkerung ernähren zu können. Das sind die harten Fakten von Organisationen, wie der Food and Agricultural Organization of the United Nations (FAO).

Die Flächen, die uns dafür zur Verfügung stehen, sind im besten Fall konstant. Lediglich rund 3 % der Erdoberfläche können ackerbaulich genutzt werden. Schätzungsweise werden die nutzbaren Flächen sogar bis 2050 um 17 % zurückgehen. Flächenverluste entstehen etwa durch Zersiedelung, durch Desertifikation oder Erosion.

Das bedeutet, dass wir die vorhandenen Flächen besser nutzen und gleichzeitig dafür sorgen müssen, dass die biologische Vielfalt und unsere natürlichen Ressourcen geschützt werden. Diese Ziele sind anerkannt. Über die Wege dorthin wird jedoch heftig bis ideologisch „gestritten“. An erster Stelle sollten wir uns bewusst machen, dass wir in Deutschland und weiten Teilen Europas auf Gunststandorten wirtschaften. Hierzu gehören stabile politische Rahmenbedingungen, ein eher begünstigtes Klima, gute bis sehr gute Böden, der Zugang zu hochwertigen Betriebsmitteln wie Maschinen, Pflanzenschutz oder Saatgut und der wohl wichtigste Faktor: hervorragend ausgebildete Landwirtinnen und Landwirte. Das müssen wir nutzen, denn die globale und nationale Ernährungssicherung geschieht auch auf unseren Feldern und in unseren Ställen.

Knapp oberhalb von 10 % der Konsumausgaben bezahlt ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland für den Einkauf von Nahrungsmitten. Auch wenn dieser Wert jüngst etwas gestiegen ist; in vielen Entwicklungsländern liegt der Anteil wesentlich höher und kann 60 bis 70 % betragen. Gleichzeitig importieren wir bereits heute mehr Agrarprodukte aus Drittländern als wir exportieren. Zwei Drittel und mehr der deutschen Agrarimporte außerhalb der Europäischen Union stammen aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Das bedeutet aber auch für Menschen in ärmeren Regionen: Wir nutzen ihre Landflächen, um unseren Bedarf an Agrargütern zu decken. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Land Grabbing“. Die Fläche geht dann für die Menschen vor Ort mit geringerer Kaufkraft verloren. Und je extensiver die Landnutzung hierzulande erfolgt, desto mehr muss importiert werden. Solch eine Entwicklung geht auch zulasten schützenswerter Naturräume im Ausland – ein Beispiel hierfür ist das Roden von Regenwald zur Gewinnung von Ackerland.

Die Zeichen der Zeit sind modern und nachhaltig

Trotz des geschilderten Drucks auf der Ressource Boden sind die Produktionsbedingungen für deutsche (und europäische) Landwirte aber alles andere als einfach. Auflagen und Regulierungen, die einhergehen mit einer überbordenden Bürokratie, erschweren es den Betrieben sowie den vor- und nachgelagerten Bereichen, ihren Beitrag zu leisten.

Politische und gesellschaftliche Rufe nach einem Weniger sind angesichts der kritischen Weltlage kontraproduktiv bis zynisch. „Eine Landwirtschaft mit geringeren Umweltwirkungen muss extensiver wirtschaften“ – das ist der Blick nach hinten. Denn dies würde zwangsläufig zu geringeren Erträgen führen. Dürfen wir uns das in der jetzigen Situation guten Gewissens leisten? Ich sage nein, und es ist auch nicht verantwortbar. Es ist an der Zeit, den Weg für innovative Alternativen und damit für eine moderne, nachhaltige Landwirtschaft freizumachen.

Was verstehen wir darunter? Modern steht für den Einsatz innovativer Technologien und Verfahren. Es steht für Professionalität und ganzheitliches Denken im Pflanzenbau. Noch immer aber sehen viele Menschen Nachhaltigkeit nur durch eine ökologische Brille und vergessen dabei soziale und ökonomische Aspekte. Wir verstehen unter moderner, nachhaltiger Landwirtschaft das Wirtschaften mit einem innovativen Portfolio, bestehend aus dem chemischen und dem biologischen Pflanzenschutz, Saatgut und Digitalisierung. Das sind die besten Werkzeuge, einen geringeren Fußabdruck mit Blick auf das Klima und die Umwelt zu hinterlassen und gleichzeitig die landwirtschaftliche Erzeugung auf hohem Niveau sicherzustellen.

Der landwirtschaftliche Strukturwandel wird dadurch zwar nicht aufzuhalten sein. Einige landwirtschaftliche Betriebe werden ihn nicht ohne Blessuren überstehen. Andere aber könnten unternehmerisch frei ihre eigene Zukunft gestalten. Dafür brauchen sie verlässliche und zukunftsorientierte Rahmenbedingungen, moderne Werkzeuge und wissenschaftlich basierte Lösungen. Wer ehrlich will, dass die Agrarbranche den neuen Herausforderungen gerecht wird und auch die neu hinzugekommenen Krisen bewältigt, muss sie auch dazu in die Lage versetzen.

Die Alternativen sind vorhanden

Bayer als weltweit agierendes Unternehmen kann dazu konkret beitragen. Unsere unternehmerischen Schwerpunkte und Ziele sind aktueller und richtiger denn je. Wir erforschen und entwickeln Pflanzenschutzmittel, die zielgenauer wirken, geringere Umweltwirkungen haben und sich hervorragend in digitale Schadprognose- und Applikationskonzepte einfügen lassen. Mithilfe von klimaresilientem, auch biotechnologisch entwickeltem Saatgut ist es möglich, den Input von Pflanzenschutz zu reduzieren, ohne die Ertragssicherheit zu gefährden. Heute stehen den Pflanzenzüchter:innen über die Kenntnis der pflanzlichen Genetik neue Methoden, wie CRISPR/Cas und andere zur Verfügung, die es ihnen ermöglichen, Züchtung immer genauer, zielgerichteter und damit effizienter zu machen. Aufgrund fehlender Regulierung wird sich das Potenzial dieser neuer Züchtungsmethoden vor allem im deutschen und europäischen Raum nicht entfalten können – mit nachteiligen Konsequenzen für Landwirtschaft und Gesellschaft. Und ja, auch die Wiederzulassung von Glyphosat halten wir für absolut erforderlich. Dieser sehr gut geprüfte und sichere herbizide Wirkstoff eröffnet im Ackerbau Bewirtschaftungsverfahren, die mit Blick auf den Klima- und Bodenschutz konkurrenzlos sind.

Kombiniert mit dem weitreichenden Wissen des ökologischen Landbaus, etwa bei der Fruchtfolgestaltung, lässt sich eine Landwirtschaft entwickeln, die zum echten Problemlöser wird. Ohne innovative Entwicklungen werden wir dieses Ziel nicht erreichen. Wir müssen die bisher dogmatisch geführte Diskussion ökologisch versus konventionell hinter uns lassen und den Fokus auf eine moderne, nachhaltige Landwirtschaft legen.

Alltag ist jedoch, dass gesetzliche Restriktionen und praxisfremde Regulierungen zunehmen. Der bürokratische Aufwand für die Landwirtinnen und Landwirte wächst, übrigens auch für Maßnahmen, die eigentlich der Biodiversität zugutekommen sollen. Die aktuelle Diskussion in Europa und im Besonderen in Deutschland um die massive Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln in großen Landschaftsgebieten, bringt die Landwirtinnen und Landwirte gerade an den Rand ihrer Belastbarkeit. Die Vorgaben sind oftmals kaum umsetzbar. Sie sind praxisfremd bis existenzbedrohend und Gefährden die Ernährungssicherung. Alternativen werden nicht aufgezeigt. Innovationen treffen auf Haltungen, die in landwirtschaftsfernen urbanen Lebenswelten gewachsen sind. Es muss gelingen, die Gesellschaft mitzunehmen, dass wir auf dem wissenschaftlichen Weg besser unterwegs sind. Und dass Innovationen die effektiveren Problemlöser sind als Vorstellungen aus der Vergangenheit. Früher war eben längst nicht alles besser. Ich sehe es auch als Verantwortung von Politik, die Kommunikation zu technischem Fortschritt in der Landwirtschaft zu führen, statt Verunsicherung hervorzurufen.

Aus den Fehlern der anderen lernen

Eine funktionierende Landwirtschaft und eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln ist auch Friedenspolitik. Dort, wo Menschen hungern müssen, gehen sie auf die Straße, um ihr Recht einzufordern. Wie weit das führen kann, haben wir gerade erst in Sri Lanka erlebt. Die Idee, der Landwirtschaft 100 % Bio von oben zu verordnen, aus welchen Gründen auch immer, war eine denkbar schlechte Entscheidung. Die Erträge auf den Feldern der Kleinbäuer:innen brachen ein, es wurde zunehmend schwierig, die Schädlinge zu kontrollieren. Die Menschen revoltierten und das gesamte politische System brach zusammen.

Fazit

Grundsätzlich gilt, dass es in der Landwirtschaft keine Pauschallösungen gibt. Und vor allen Dingen gibt es nicht die EINE Lösung. Regulierungswut und Technologiefeindlichkeit sind die schlechtesten Ratgeber. Wer nur verbietet, ohne echte Alternativen zuzulassen, gefährdet die globale Ernährungssicherheit und die nationale Existenzgrundlage der produzierenden Landwirt:innen.

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