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Dr. Jan Kraayvanger

ist Rechtsanwalt und Partner in der Frankfurter Schiedspraxis der internationalen Anwaltskanzlei Mayer Brown LLP.

Am 18. Mai 2021 hat das russische Justizministerium dem Internationalen Schiedsgerichtshof der ICC den Status einer „ständigen Schiedsinstitution“ verliehen. Der ICC-Schiedsgerichthof gehört damit nunmehr zu einem kleinen, exklusiven Kreis von internationalen Schiedsorganisationen, die diesen Status vom Russischen Justizministerium zuerkannt bekommen haben. Zeitgleich mit dem ICC-Schiedsgerichtshof wurde auch das Singapore International Arbitration Centre (SIAC) zur ständigen Schiedsinstitution ernannt. Zuvor hatten diesen Status lediglich das Hong Kong International Arbitration Centre (HKIAC) und das Vienna International Arbitration Centre (VIAC). Darüber hinaus bestehen nur fünf russische Schiedsorganisationen mit demselben Status. [1]

Als ständige Schiedsinstitution kann der ICC-Schiedsgerichtshof nun auch internationale Handelsschiedsverfahren mit Sitz in Russland sowie bestimmte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten administrieren. Ein Handelsschiedsverfahren gilt nach der gesetzlichen Definition als „international“, wenn ihm eine der folgenden Streitigkeiten zugrunde liegt[2]:

  • Streitigkeiten, bei denen mindestens eine der Parteien ihren Geschäftssitz im Ausland hat, der streitige Vertrag im Wesentlichen im Ausland zu erfüllen ist oder die Streitigkeit mit einem Ort im Ausland eng verbunden ist; sowie
  • Streitigkeiten im Zusammenhang mit einer ausländischen Investition in Russland oder einer russischen Investition im Ausland.

Darüber hinaus könnte der ICC-Schiedsgerichtshof als ständige Schiedsinstitution grundsätzlich auch nationale Handelsschiedsverfahren[3] administrieren. Hierzu müsste aber zunächst eine Geschäftsstelle in der Russischen Föderation eröffnet werden,[4] was zumindest bislang noch nicht erfolgt ist.

Zudem kann der ICC-Schiedsgerichthof bestimmte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten im Rahmen eines internationalen Schiedsverfahrens administrieren, etwa Streitigkeiten um Eigentumsrechte an Geschäftsanteilen aus Anteilskaufverträgen und Streitigkeiten aus Stimmbindungsverträgen und sonstigen Gesellschaftervereinbarungen über die Verwaltung der Gesellschaft. [5] Für andere gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten – soweit diese überhaupt schiedsfähig sind – müsste der ICC-Schiedsgerichtshof zunächst eine spezielle Schiedsordnung entwickeln und beim russischen Justizministerium registrieren lassen.[6] Auch dies ist (noch) nicht erfolgt.

Hintergrund

Am 1. September 2016 trat das Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“ zusammen mit einem Begleitgesetz in Kraft, das unter anderem Änderungen an dem Gesetz „Über die internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit“ vornahm. Das Gesetzeswerk sieht vor, dass die meisten Schiedsverfahren mit Sitz in Russland sowie bestimmte, insbesondere gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren auch mit Sitz im Ausland nur von einer sogenannten „ständigen Schiedsinstitution“ administriert werden dürfen.[7] Fehlt einer Schiedsorganisation dieser Status, gilt das von ihr administrierte Schiedsverfahren als ein ad hoc Schiedsverfahren.[8] Hieraus können sich erhebliche Unsicherheiten bei der Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs in der Russischen Föderation ergeben.[9]

Ständige Schiedsinstitutionen können ausschließlich von nichtkommerziellen Organisationen gegründet werden und bedürfen einer staatlichen Genehmigung. Diese kann auf Empfehlung eines vom russischen Justizministerium einzurichtenden Rates für die Entwicklung der Schiedsgerichtsbarkeit erteilt werden. Auch ausländische Schiedsorganisationen können als ständige Schiedsinstitutionen zugelassen werden. Voraussetzung ist, dass sie über eine weithin anerkannte internationale Reputation verfügen.[10] Kriterien hierfür sind die Dauer des Bestehens der Institution, Fallzahlen, Aufnahme in anerkannte Ratings und eine positive Anerkennungspraxis von Schiedssprüchen der betreffenden Organisation in verschiedenen Staaten.[11]

Auswirkungen auf die Schiedspraxis

Nunmehr können ICC-Schiedsverfahren auch für internationale Schiedsverfahren mit Schiedssitz innerhalb der Russischen Föderation vereinbart werden, ohne per se die Aufhebung solcher Schiedssprüche riskieren zu müssen. Die Parteien können die Durchführung eines Aufhebungsverfahrens vor den staatlichen Gerichten sogar vertraglich ausschließen.[12] Beim Abfassen einer Schiedsklausel sollte dennoch genau geprüft werden, welche möglichen Streitigkeiten von ihr erfasst sein sollen und ob diese nach russischem Schiedsrecht von einer ständigen Schiedsinstitution ohne Geschäftsstelle in der Russischen Föderation und ohne genehmigter Schiedsordnung für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten administriert werden können. Gerade bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten erscheint eine vertiefte Analyse angebracht, denn die gesetzlichen Regelungen zur Schiedsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten gelten als ein „undurchdringliches Dickicht“[13], das zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führt.

Fazit

Die Verleihung des Status einer ständigen Schiedsinstitutionen an den ICC-Schiedsgerichtshof stärkt die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Es ist begrüßenswert, dass sich die Optionen bei der Wahl der Schiedsinstitution für Verträge mit Russlandbezug mit der Ernennung des ICC-Schiedsgerichtshofs und des SIAC deutlich erweitert haben. Verknüpft ist damit zugleich die Hoffnung, dass eine stärkere Präsenz der ICC im russischen Markt eine unabhängige, rechtsstaatlichen Grundsätzen folgende Schiedsgerichtsbarkeit fördern wird.

 

[1]             Hierbei handelt es sich um das internationale Handelsschiedsgericht (MKAS) und die Meeres-Arbitragekommission (MAS) bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation sowie das Schiedszentrum der Russischen Vereinigung Industrieller und Unternehmer, das Russische Schiedszentrum des Russischen Instituts für moderne Schiedsgerichtsbarkeit und das Nationale Zentrum für Sportschiedsgerichtsbarkeit der Schiedsgerichtskammer für Sportwesen.

[2]              Art. 2 Abs. 6 Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“ i.V.m. Art. 1 Abs. 3 Gesetz „Über die internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit“.

[3]              Ein Schiedsverfahren gilt als „national“, wenn es nicht die Voraussetzungen eines „internationalen Handelsschiedsverfahrens“ erfüllt, Art. 2 Abs. 4 Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“.

[4]              Art. 44 Abs. 12 Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“.

[5]              Art. 45 Abs. 7 und 7.1 Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“.

[6]              Dies betrifft etwa Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Gründung, Umorganisation und Liquidation einer Gesellschaft sowie Streitigkeiten über die Bestellung und Abberufung von Gesellschaftsorganen.

[7]              Artikel 45 Abs. 7 Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“.

[8]              Art. 44 Abs. 3 Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“.

[9]              Heger/Yousif/Tarasiuk, SchiedsVZ 2021, 215 (217 f.).

[10]            Art. 44 Abs. 12 Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“.

[11]            Vgl. Heger/Yousif/Tarasiuk, SchiedsVZ 2021, 215 (218).

[12]            Art. 40 Gesetz „Über die Schiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation“.

[13]            Heger/Yousif/Tarasiuk, SchiedsVZ 2021, 215 (222).

Bildnachweis: Mordolff/iStock