Die aktuelle Version der International Commercial Terms, Incoterms® 2020, feiert dieses Jahr ihr fünfjähriges Bestehen. Sie wurden im September 2019 von der Internationalen Handelskammer (ICC) veröffentlicht.
Aus diesem Anlass werfen wir einen Blick zurück auf fünf Jahre, die für den internationalen Handel sehr herausfordernd waren. Wie sind FCA, DPU und Co. in dieser Zeit bei den Unternehmen angekommen, welche Herausforderungen haben sich in der täglichen Praxis ergeben? Und welche Anforderungen zeichnen sich bereits jetzt für die nächste Version – die Incoterms® 2030 – ab?

Welche Rolle spielen die Incoterms® in Ihrer täglichen Arbeit? Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten fünf Jahren mit der Anwendung der Regeln in Bezug auf Klarheit, Praktikabilität und Effektivität gemacht? Auf welche Herausforderungen sind Sie dabei vielleicht gestoßen?

„Ich begegne in meiner Rolle als Beraterin vielen Wirtschaftsbeteiligten im Bereich der Incoterms® – den Spediteuren, sogar dem Zoll und den Steuerexperten, obwohl diese in den entsprechenden Gesetzesgrundlagen gar nicht verankert sind – weder im Zollrecht, noch im Steuerrecht noch im Transportrecht. Nur sehr wenige Personen haben eine Ahnung davon, wie Incoterms® vertragsrechtlich funktionieren, welche Details wirklich relevant sind und wann die Klauseln effektiv zur Anwendung kommen. Oft sind auch sehr viele grafische Darstellungen der Incoterms® im Umlauf, die fehlerhaft sind und viele wichtige Aspekte der Incoterms® nicht abdecken. Welches Gesetz lässt sich schon auf ein Bild übertragen? Das führt zu vielen Missverständnissen und Auslegungsfehlern in der Praxis. Das beste Beispiel dazu ist die EXW-Klausel, die immer noch viel zu oft im Einsatz ist im grenzüberschreitenden Verkehr – oder die Anwendung der Seefrachtklauseln im Seefracht-Containerverkehr. “

Die Incoterms® 2020 sind in einer Zeit in Kraft getreten, in der der internationale Handel bereits durch Pandemie und gestörte Lieferketten unter Druck stand. Hinzukamen steigende Kosten/ Inflation und zunehmende internationale Konflikte. Hat sich in dieser Zeit die Standardisierung der Lieferbedingungen mit Hilfe der Incoterms® bewährt?

„In den erwähnten volatilen Umständen sind vor allem Fragestellungen entstanden, wie bei Preisanpassungen besser kalkuliert werden und das Risiko geschmälert werden kann. Die Incoterms® definierten dabei lediglich, wer diese Kosten und Risiken trägt, konnten den Ablauf jedoch nicht beeinflussen. Incoterms® boten während dieser Zeit mehrheitlich eine stabile Aufteilung der Kosten, Rechten, Aufgaben und Pflichten zwischen Käufer und Verkäufer. “

Ein Blick auf die Incoterms® 2030: Lassen sich aus der praktischen Anwendung schon jetzt neue Trends, Handelspraktiken oder auch Herausforderungen ableiten? Wenn ja, welche? Wo muss gegebenenfalls nachgeschärft werden?

„Mit Blick auf Trends und Herausforderungen können sich einige Entwicklungen abzeichnen, die ggf. in den Incoterms® berücksichtigt werden könnten.
1.  Nachhaltigkeit und Umweltaspekte
Es ist zu überlegen, ob Nachhaltigkeit bei den Incoterms® 2030 eine größere Rolle spielt, etwa durch Regelungen zu umweltfreundlicher Verpackung und Transportmethoden.
2.  Digitalisierung und Effizienzsteigerung
Digitale Technologien, wie Blockchain und automatisierte Dokumentenverarbeitung, nehmen einen immer größeren Platz in der Handelslogistik ein. Die Incoterms® 2030 müssen möglicherweise spezifischer auf diese Technologien eingehen, um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Datenübertragung und -sicherung zu klären.
Die stärkere Integration von elektronischen Transportdokumenten und die Verbindlichkeit digitaler Unterschriften könnten ggf. berücksichtigt werden.
3.  Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
Die wachsende Bedeutung von Just-in-Time- und Just-in-Sequence-Lieferungen erfordert eine flexiblere Handhabung der Incoterms® in Bezug auf Lieferzeiten und Kostenverteilung.
Spezielle Bedingungen für flexible Lieferketten und alternative Routen könnten dabei helfen, um auf unvorhergesehene Störungen wie Naturkatastrophen oder geopolitische Spannungen schneller reagieren zu können.
4.  Zollverfahren und Handelsbarrieren
Mit der zunehmenden Komplexität von Export- und Zollvorschriften, insbesondere in multilateralen Handelsabkommen, steigt der Bedarf an klareren Regelungen für die Zuweisung von Verantwortlichkeiten bei besonderen Vorschriften.
Unternehmen wünschen sich generell eine eindeutige Zuordnungsmöglichkeit der Verantwortung für Zolldokumente und Import-/Exportkosten, insbesondere bei DDP- (Delivered Duty Paid) und DAP- (Delivered at Place) Klauseln.
5.  Compliance
Da die Sicherheitsanforderungen in der Lieferkette immer strenger werden, könnte eine klarere Definition von Verantwortlichkeiten im Bereich der Compliance erforderlich sein.
Das Risiko von Cyberangriffen und Datenverlust erfordert ggf. eine genauere Regelung der Verantwortlichkeiten, insbesondere bei der Handhabung von sensiblen Daten während des Transports.

Einheitliche Standards für digitale Dokumente und Prozesse: Da die Digitalisierung weltweit unterschiedlich fortgeschritten ist, könnten standardisierte Vorgaben für elektronische Frachtbriefe und digitale Zollabfertigungsmöglichkeiten eingeführt werden.

Die Incoterms® 2030 stehen also vor der Herausforderung, den aktuellen Trends gerecht zu werden und gleichzeitig die zunehmenden rechtlichen Anforderungen und Marktanforderungen effizient abzudecken. Dabei müssen Sie aber für sämtliche globalen Märkte funktionieren und nicht zu komplex werden.“

Herzlichen Dank für diesen markanten Schlusssatz und das Interview!