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Dr. Tilman Niedermaier

Dr. Tilman Niedermaier ist Partner bei CMS Hasche Sigle in München. Er vertritt Mandanten in komplexen wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten und verfügt über langjährige Erfahrungen im Bereich der alternativen Streitbeilegung.

Sajanee Arzner

Sajanee Arzner ist Associate bei CMS Hasche Sigle in München.

Der Markt für Produkte im Rahmen von IoT (Internet of Things) soll nach Schätzungen bis 2025 weltweit auf 9 Billion US-Dollar anwachsen. IoT ermöglicht die Interaktion von physischen Gegenständen und elektronischen Systemen. Im Rahmen der Industrie 4.0. soll diese „Vernetzung der Dinge“ für Produktionsprozesse nutzbar gemacht werden. Voraussetzung für diese Entwicklung sind einheitliche industrielle Standards. Diese Standards werden in verschiedenen Bereichen von Standardisierungsorganisationen festgesetzt. Ohne Standardisierungen würden die erforderlichen Kommunikationsprozesse an der fehlenden Kompatibilität scheitern. Bislang war insbesondere der Mobilfunksektor auf einheitliche Standards angewiesen. Zukünftig werden diese Standards aber für die gesamte Industrie und Branchen wie Automobil, Energie oder Maschinenbau wichtig. Die hinter den Standards stehenden Technologien sind durch eine Vielzahl von Patenten geschützt. Teilweise sind Patente der Schlüssel zum Zugang zu bestimmten Märkten. Die für den Marktzugang zwingend erforderlichen Patente werden als standardessenzielle Patente (SEPs) bezeichnet. SEP-Inhaber verfügen daher über erhebliche Marktmacht.

SEPs und FRAND-Verpflichtung

Standardisierungsorganisationen sind darauf bedacht, anderen Marktteilnehmern Zugang zu den SEPs zu gewährleisten. Eine Markzugangskontrolle durch die SEP-Inhaber soll verhindert werden. Als Voraussetzung für die Teilnahme am Standardisierungsprozess werden die Patentinhaber – in der Regel durch gegenüber den Standardisierungsorganisationen abzugebenden Selbstverpflichtungserklärungen – dazu verpflichtet, die für den jeweiligen Standard erforderliche Technologie anderen Marktteilnehmern durch die Einräumung von Lizenzen zugänglich zu machen. Die Konditionen müssen fair (fair), angemessen (reasonable) und (and) nicht diskriminierend (non-discriminatory), kurz FRAND, sein.

Die Einräumung FRAND-konformer Bedingungen ist über nationale Grenzen hinweg für verschiedene Marktteilnehmer von erheblicher Bedeutung. Rechtsstreitigkeiten darüber, was konkret FRAND ist, sind damit vorprogrammiert. Die Schwierigkeit der Entscheidung über solche Rechtsstreitigkeiten besteht darin, dass das FRAND-Erfordernis unscharf ist. Die FRAND-Konformität kann von verschiedenen Faktoren abhängig sein, die unter Umständen divergieren und sich im Laufe der Zeit ändern können. Hinzu kommt, dass das FRAND-Erfordernis in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich verortet ist. Während es in der EU in erster Linie als wettbewerbsrechtliches Erfordernis verstanden wird, wird es in den USA als im Wesentlichen vertragsrechtliche Fragestellung betrachtet.

FRAND-Streitigkeiten und staatliche Gerichte

Nationale Gerichtsverfahren über FRAND-Streitigkeiten werden von den Parteien häufig als unbefriedigend wahrgenommen. Die Reichweite der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegt räumlichen, personellen und gegenständlichen Grenzen. Dies hat zur Folge, dass ein einheitlicher transnationaler Rechtsstreit nicht selten parallel an verschiedenen Gerichtsständen ausgetragen werden muss. Ein solches Vorgehen ist nicht nur zeit- und kostenintensiv, sondern birgt das Risiko widersprechender Entscheidungen. Ausländische Gerichtsentscheidungen werden zudem im internationalen Rechtsverkehr in Ermangelung eines internationalen Übereinkommens nicht ohne weiteres anerkannt und vollstreckt.

Gemessen an den in Deutschland üblichen Verfahrenskosten können Gerichtsverfahren im Ausland ferner enorm kostspielig sein. Gleichzeitig fehlt es in vielen Ländern an spezialisierten Gerichten. Teilweise wirken Laienrichter oder Juries an der Entscheidung mit. Eine vertiefte Sachkenntnis der Richter ist aber gerade in FRAND-Streitigkeiten wichtig. Neben Rechtskenntnissen sind vertiefte Marktkenntnisse und ein Verständnis der in Frage stehenden Technologie erforderlich. In rechtlicher Hinsicht muss der Richter in der Lage sein, die Lizenzstreitigkeit unter Berücksichtigung ihrer vertraglichen und wettbewerbsrechtlichen Verankerung vor einem internationalen Hintergrund zu entscheiden. Über die materiellen Rechtskenntnisse hinaus ist Erfahrung in der Leitung komplexer Verfahren erforderlich. Die spezialisierten Patentkammern in Deutschland verfügen über ausgeprägte Expertise. Diese ist im internationalen Vergleich jedoch bei weitem nicht repräsentativ und hilft zudem nicht über die Schwierigkeiten bei der Anerkennung und Vollstreckung im Ausland hinweg.

FRAND-Schiedsgerichtsbarkeit und -ADR als Alternative

Damit stellt sich die Frage nach Alternativen zur staatlichen Gerichtsbarkeit, insbesondere der Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit in IP-Streitigkeiten. Bis in die jüngere Vergangenheit wurde die Schiedsfähigkeit von IP-Streitigkeiten kritisch bewertet. Inzwischen befindet sich die generelle Ablehnung gegenüber IP-Schiedsgerichtsbarkeit jedoch auf dem Rückzug. Sowohl die EU-Kommission als auch die amerikanische Federal Trade Commission haben alternative Streitbelegungsformen, einschließlich der Schiedsgerichtbarkeit, ausdrücklich als geeignete Instrumente für die Beilegung von FRAND-Streitigkeiten anerkannt [vgl. auch Mitteilung der Europäischen Kommission über den Umgang der EU mit standardessenziellen Patenten, November 2017].

Der EuGH hat in der Huawei-Entscheidung [EuGH, Urteil vom 16.7.2015 – C-170/13] klargestellt, dass es den Parteien offen stehe, „im gegenseitigen Einvernehmen zu beantragen, dass die Lizenzgebühren durch einen unabhängigen Dritten (…) festgelegt werden“ wenn sie „keine Einigung über die Einzelheiten der FRAND-Bedingungen erzielt“ haben [GRUR 2015, 764 (767)]. Als „unabhängige Dritte“ dürften nicht nur Schiedsgutachter, sondern  auch Schiedsgerichte zu qualifizieren sein. In verschiedenen Jurisdiktionen wurden Schiedssprüche, in denen FRAND-konforme Bedingungen bestimmt wurden, zuletzt problemlos anerkannt.

Die geplante Einrichtung eines Mediations- und Schiedszentrums für Patentsachen in einem europäischen Einheitspatentsystem ist weiterer Beleg für die zunehmende Akzeptanz und Bedeutung von alternativen Streitbeilegungsmethoden im IP-Bereich. Das Einheitspatentpaket enthält in Art. 35 EPÜ, mit dem darin vorgesehenen Mediations- und Schiedszentrum für Patentsachen (MSZ), ein eindeutiges Bekenntnis zur alternativen Streitbeilegung. Grund für die steigende Akzeptanz und Bedeutung der alternativen Streitbeilegung im IP-Bereich ist die zunehmend Raum greifende Erkenntnis, dass diese verschiedene Vorteile gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit aufweist, die gerade bei IP-Streitigkeiten zum Tragen kommen können. Das gilt insbesondere für die Schiedsgerichtsbarkeit.

Schiedssprüche sind nach dem New Yorker Übereinkommen von 1958 weltweit in allen rund 160 Vertragsstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken. Zu den Vertragsstaaten gehören auch China und die USA. Zudem besteht die Möglichkeit, einheitliche Schiedsverfahren über Streitigkeiten betreffend Patente verschiedener Rechtsordnungen auszutragen. Die Parteien haben aufgrund des in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit geltenden Grundsatzes der Privatautonomie großen Gestaltungsspielraum. Sie können das anwendbare Recht in weiten Bereichen frei wählen und Regelungen über das Verfahren treffen. Schließlich haben die Parteien im Schiedsverfahren Einfluss auf die Person des Schiedsrichters und können so die für die angemessen Streitentscheidung erforderliche Expertise sicherstellen.

Neben der Schiedsgerichtsbarkeit stehen den Parteien weitere ADR-Instrumente zur Verfügung. Der Gestaltungsfreiraum besteht insoweit sowohl hinsichtlich der Wahl des Streitbeilegungsinstruments als auch der Kombination verschiedener Instrumente. Die Parteien können beispielsweise Eskalationsmodelle vorsehen, wonach zunächst ein einvernehmlicher Lösungsversuch im Rahmen einer Mediation oder Schlichtung unternommen und erst im Falle des Scheiterns ein Schiedsgericht angerufen wird. Ebenso ist es möglich, bestimmte Aspekte eines laufenden streitigen Verfahrens diesem zu entziehen und durch einen Schiedsgutachter mit Bindungswirkung für die Parteien und den (Schieds-)Richter entscheiden zu lassen. Entsprechende Vereinbarungen können vorab oder nach Entstehung der Streitigkeit „ad hoc“ getroffen werden.

BU: Der Best-Practice-Leitfaden für FRAND-Streitigkeiten des Munich IP Dispute Resolution Forum gibt Hinweise zum Einsatz von Schiedsverfahren und ADR in diesem Bereich. Bereits aktuell betreffen mehr als fünf Prozent der ICC-Verfahren IP-Fragen.

Neuer Leitfaden für FRAND-Streitigkeiten veröffentlicht

Vor diesem Hintergrund hat das beim Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb angesiedelte Munich IP Dispute Resolution Forum (IPDR) auf FRAND-Streitverfahren zugeschnittene Case ManagementGuidelines entwickelt. Diese sollen den Parteien, gerade auch dem Mittelstand, der solche Verfahren bislang noch weniger anwendet, ebenso wie Mediatoren, Schiedsrichtern und staatlichen Richtern als Best-Practice Leitfaden für FRAND-Streitigkeiten dienen. Die Guidelines zeigen mögliche Wege in die alternative Konfliktlösung auf und geben Hinweise zur effizienten und zweckmäßigen Verfahrensgestaltung. Den Guidelines beigefügt sind insgesamt vier Anlagen. Anlage I enthält einen Überblick über Gerichtsentscheidungen, denen unterschiedliche Methoden zur Bestimmung FRAND-konformer Lizenzbedingungen zugrunde liegen. Anlage II enthält einen Überblick über Soft Law im Bereich Arbitration und SEP. Im Sinne der Rechtsfortbildung und Förderung der Transparenz enthält Anlage III eine Musterklausel, in der die isolierte Veröffentlichung derjenigen Parameter vorgesehen ist, die für die Bestimmung FRAND-konformer Bedingungen relevant waren. Hierdurch sollen die Wahrung der Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsinteressen der beteiligten Parteien einerseits mit den Marktinteressen und dem Interesse der Öffentlichkeit an einer Strukturierung und Konkretisierung von FRAND-Kriterien andererseits in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Schließlich enthält Anlage IV eine Musterklausel für eine – ohne entsprechende Vereinbarung nicht eröffnete – Berufungsinstanz. Insgesamt sind die Guidelines nicht an die Anwendbarkeit bestimmter Verfahrensregeln gebunden und können daher insbesondere auch in ICC-Verfahren verwendet werden.

Fazit und Ausblick

Angesichts der Vorteile, die Schiedsgerichtsbarkeit und andere ADR-Instrumente gerade im Kontext transnationaler IP-Streitigkeiten bieten, ist zu erwarten, dass die alternative Streitbeilegung weiterhin an Bedeutung gewinnen wird. Die Vorteile kommen jedoch nur zur Geltung, wenn die Instrumente zielgerichtet eingesetzt werden. Hierzu ist die Kenntnis ihrer Handhabung unerlässlich. Regelwerke wie die FRAND ADR Case Management Guidelines leisten hierzu einen wichtigen Beitrag.

 

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 07, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.

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