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Dr. Tilman Niedermaier

Dr. Tilman Niedermaier ist Partner bei CMS Hasche Sigle in München. Er vertritt Mandanten in komplexen wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten und verfügt über langjährige Erfahrungen im Bereich der alternativen Streitbeilegung.

Zu Beginn des Jahres ist nach der Ratifizierung des EPGÜ (Übereinkommen über ein einheitliches Patentrecht) durch Österreich der Startschuss für die Errichtung des EPG-Systems gefallen. Vorgesehen ist u.a. die Errichtung eines Mediations- und Schiedszentrums. Auch wenn zum aktuellen Zeitpunkt noch viele Fragen offen sind, lässt sich bereits jetzt absehen, dass Patentinhaber/innen sich zukünftig mit dem Thema Schiedsgerichtsbarkeit und alternative Streitbeilegung verstärkt auseinandersetzen müssen.

Schiedsklauseln finden sich seit jeher in Verträgen mit IP-Bezug wie z.B. Lizenzverträgen, Geheimhaltungsvereinbarungen (NDAs) und Entwicklungsverträgen (R&D Agreements). Standardmäßig verwendet werden Schiedsklauseln auch in Transaktionsverträgen, die ebenfalls häufig einen engen IP-Bezug aufweisen. Die Schiedsgerichtsbarkeit wird u.a. dann gewählt, wenn es darum geht, Unternehmensinterna und Geschäftsgeheimnisse vor den Augen der Öffentlichkeit zu schützen, oder um zu gewährleisten, dass diejenigen, die über einen eventuellen Rechtsstreit entscheiden, über die hierfür erforderliche Expertise verfügen. Insgesamt haben die Parteien in einem Schiedsverfahren in weit größerem Ausmaß als in einem Zivilprozess die Möglichkeit, das Verfahren selbst zu gestalten. Dieses hohe Maß an Privatautonomie ist zugleich der Grund, weshalb die Schiedsgerichtsbarkeit bislang eine vergleichsweise untergeordnete Rolle gespielt hat, wenn der Bestand gewerblicher Schutzrechte im Streit steht. Nach wie vor ist die Auffassung weit verbreitet, dass private Schiedsgerichte nicht (allgemeinverbindlich) über den Bestand hoheitlich eingeräumter Schutzrechte entscheiden können. Die bevorstehende Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) gibt Anlass dazu, die Entscheidungsbefugnis von Schiedsgerichten über gewerbliche Schutzrechte neu zu diskutieren. Denn neben einem relativ komplexen Instanzenzug verschiedener Spruchkörper sieht das EPGÜ die Einrichtung eines Mediations- und Schiedszentrums für Einheitspatentsachen vor. Insoweit wird u.a. zu klären sein, für welche Rechtsstreitigkeiten dieses Zentrum zuständig sein wird. Unabhängig davon, ist zu erwarten, dass die Schiedsgerichtsbarkeit und andere alternative Streitbeilegungsmethoden (ADR) außerhalb des EPG-Systems eine zunehmende Rolle bei der Streitbeilegung im IP-Bereich spielen werden.

Beginn der Errichtung des EPG-Systems

Nach der Ratifizierung des EPGÜ durch Österreich am 18. Januar 2022 ist nach einer langen Hängepartie, die vor allem dem BREXIT und einer Verfassungsbeschwerde in Deutschland geschuldet war, das Protokoll zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht betreffend die vorläufige Anwendung in Kraft getreten. Damit ist der Startschuss für den Aufbau und die Inbetriebnahme des EPG-Systems gefallen. Neben der Errichtung und Ausstattung des Gerichtsapparats und der Auswahl und Ernennung der Richterinnen und Richter steht damit auch der Erlass des für die Umsetzung des EPGÜ erforderlichen Sekundärrechts durch die zuständigen Organe an.

Zum erforderlichen Sekundärrecht gehört insbesondere die EPG-Verfahrensordnung, welche derzeit in der 18. Entwurfsfassung aus dem Jahr 2017 vorliegt. Was das Mediations- und Schiedszentrum anbelangt, so ist vorgesehen, dass dieses sich eine Mediations- und Schiedsordnung geben wird. Während die Mediationsregeln in der fünften Entwurfsfassung aus dem Jahr 2015 öffentlich zugänglich sind, ist über die Ausgestaltung der Schiedsordnung bislang wenig bekannt.

Ausgestaltung und Kompetenzweite des Mediations- und Schiedszentrum

Die Grundzüge des zukünftigen Mediations- und Schiedszentrums ergeben sich aus Art. 35 EPGÜ. Sitz des Zentrums ist Lissabon und Ljubljana. Ferner ist festgehalten, dass im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens der zuständige Berichterstatter zusammen mit den Parteien die Möglichkeit eines Vergleichs prüft, ausdrücklich auch im Wege der Mediation und/oder eines Schiedsverfahrens unter Inanspruchnahme des Zentrums. Im EPGÜ ist zudem geregelt, dass ein Patent in Mediations- und Schiedsverfahren weder für nichtig erklärt noch beschränkt werden darf.[1] Diese sehr restriktive Regelung wird in Ziffer 11 Abs. 2 des Entwurfs der Verfahrensregeln indes relativiert. Dort heißt es in der englischen Fassung:

Pursuant to Rule 365 the Court shall, if requested by the parties, by decision confirm the terms of any settlement or arbitral award by consent (irrespective of whether it was reached using the facilities of the Centre or otherwise), including a term which obliges the patent owner to limit, surrender or agree to the revocation of a patent or not to assert it against the other party and/or third parties.”

Diese Regelung dürfte so zu verstehen sein, dass im Rahmen des EPGÜ ein Vergleich, der in einem Mediations- oder Schiedsverfahren geschlossen wurde (ggf. in Form eines Schiedsspruchs mit vereinbartem Wortlaut), auch dann anerkannt wird, wenn dieser indirekt den Bestand eines Einheitspatents betrifft, z.B. indem er einer Partei die Berufung hierauf untersagt oder sie zur Rücknahme verpflichtet. Dies gilt zudem unabhängig davon, ob die Mediation oder das Schiedsverfahren unter Einschaltung des Zentrums stattgefunden hat. Wenn aber ein Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut anerkannt wird, so spricht dies dafür, Schiedsgerichten im Rahmen des EPGÜ insgesamt eine entsprechende Entscheidungskompetenz einzuräumen. Denn auch ein Schiedsspruch, der aufgrund eines kontradiktorischen Verfahrens erlassen wurde, entfaltet wie ein Vergleich Rechtswirkung grundsätzlich nur zwischen den Parteien.[2] Folgt man dem, so wären nicht nur im Schieds- oder Mediationsverfahren erzielte Vergleiche (englisch: settlement; französisch: règlement), sondern Schiedssprüche (mit intra partes-Wirkung) insgesamt gemäß Art. 35 Abs. 2 i.V.m. Art. 82 EPGÜ vollstreckbar.[3]

“Insgesamt ist damit zu rechnen, dass die alternative Streitbeilegung, Schiedsgerichtsbarkeit ebenso wie Mediation, für Rechtstreitigkeiten mit IP-Bezug weiter an Bedeutung gewinnen werden.“

Dr. Tilman Niedermaier, Partner und Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle

Eine der Reichweite der schiedsgerichtlichen Kompetenz vorgelagerte Frage ist, wann der Weg zum Mediations- und Schiedszentrum überhaupt eröffnet ist. Art. 35 EPGÜ verweist insoweit auf den Anwendungsbereich des Übereinkommens. Welche konkreten Voraussetzungen sich hieraus ergeben, bleibt aber unklar. Anhaltspunkte ergeben sich aus Art. 3 EPGÜ (Geltungsbereich) und Art. 32 EPGÜ (Zuständigkeit des Gerichts). Offen ist, ob dies bedeutet, dass andere als die dort genannten Fragen grundsätzlich keiner Klärung durch das Mediations- und Schiedszentrums zugänglich sind. Soweit Patentstreitigkeiten neben rein einheitspatentrechtlichen Fragen zusätzliche Fragen aufwerfen, würde eine starre Zuständigkeitsbegrenzung des Mediations- und Schiedszentrums auf einheitspatentrechtliche Fragen zu einer Rechtswegzersplitterung führen. Dies würde die Attraktivität des Zentrums erheblich schmälern. Umgekehrt ist nicht davon auszugehen, dass die Vertragsstaaten des EPGÜ mit der Zurverfügungstellung begrenzter Ressourcen in Patentsachen ein uneingeschränktes Angebot für die Beilegung von Streitigkeiten unterbreiten wollen, die mit dem Einheitspatent unter Umständen in überhaupt keinem Verhältnis stehen. Es darf daher mit Spannung erwartet werden, wo hier zukünftig die Grenzen gezogen werden.

Die zukünftige Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit außerhalb des EPG-Systems

Die Ausgestaltung und Kompetenzweite des Mediations- und Schiedszentrums wird auch Auswirkungen auf die alternative Streitbeilegung jenseits des EPG-Systems haben. Das EPGÜ geht als selbstverständlich davon aus, dass Mediations- und Schiedsverfahren im Zusammenhang mit Einheitspatenten auch außerhalb des EPG-Systems geführt werden können. Ausdrücklich vorgesehen ist, dass in solchen Verfahren geschlossene Vergleiche durch das EPG bestätigt werden können.[4]

Insgesamt ist damit zu rechnen, dass die alternative Streitbeilegung, Schiedsgerichtsbarkeit ebenso wie Mediation, für Rechtstreitigkeiten mit IP-Bezug weiter an Bedeutung gewinnen werden. Damit rechnen auch die Verfasser der ICC IP Road Map 2020.[5] Die Erweiterung des Angebots alternativer Streitbeilegung dürfte der bestehenden Entwicklung zusätzlichen Schub geben.

Anders als das Mediations- und Schiedszentrum im EPGÜ, sehen institutionelle Schiedsordnungen wie die ICC Rules keine Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs vor. Sie kommen, vorbehaltlich vorrangigen zwingenden Rechts, zur Anwendung, wenn die Parteien ihre Anwendbarkeit vereinbaren. In Anbetracht der Vielzahl von offenen Fragen im Zusammenhang mit dem Mediations- und Schiedszentrums des EPGÜ und noch bestehenden Unsicherheiten ist das derzeit ein erheblicher Vorteil.

Fazit

Noch sind viele Fragen im Zusammenhang mit dem Mediations- und Schiedszentrum des EPGÜ offen. Viele dieser Fragen werden anhand praktischer Fälle geklärt werden. Richtungsweisend wird sein, wie sich das Mediations- und Schiedszentrum im Verhältnis zu anderen Institutionen im Bereich Schiedsgerichtsbarkeit und ADR positionieren wird. Wird der Fokus auf der fachlichen Spezialisierung in Einheitspatensachen liegen oder geht es darüber hinaus um das Angebot eines alternativen Streitbeilegungsmechanismus für Rechtsstreitigkeiten mit (Einheits-)Patentbezug allgemein? Unabhängig davon ist im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung des Wirtschaftslebens zu erwarten, dass Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit in IP-Sachen an Bedeutung gewinnen werden.

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