Inhalt
- Was bedeutet Open Innovation?
- Worin besteht der Vorteil, mit Start-ups zusammenzuarbeiten?
- Wie sieht der Innovationsprozess in der Praxis aus?
- Wie verändert sich die Firmenkultur durch die Zusammenarbeit mit Start-ups?
- Was sind Ihre Lessons Learned für die Zusammenarbeit mit Start-ups?
- ICC Germany: Was kann die Politik tun, damit die deutsche Industrie Innovationsführer bleibt?
Herzlichen Glückwunsch zur dreifachen Auszeichnung! Was bedeutet für Sie Open Innovation?
Bolle: Die Auszeichnung freut uns sehr und liefert zusätzliche Motivation und Ansporn. „Open Innovation“ bedeutet bei Bosch, Innovationen in Kooperation mit Partnern zu realisieren. Das können Start-ups, Universitäten, Institute, Erfinder oder andere Unternehmen sein. Bosch ist ein Technologieunternehmen und Innovationsführer in vielen Domänen. Wir nutzen alle Möglichkeiten der „Open Innovation“ und haben darin eine lange Historie. Innovation ist tief in der DNA unseres Unternehmens verankert. Unser Venture-Arm „Robert Bosch Venture Capital (RBVC)“ wurde 2007 gegründet. Seitdem investieren wir weltweit strategisch und erfolgreich in Start-ups.
Worin besteht der Vorteil, mit Start-ups zusammenzuarbeiten?
Bolle: Bei der Zusammenarbeit mit Start-ups geht es uns vorrangig darum, voneinander zu profitieren, zu lernen und Synergien zu heben. Bosch bekommt auf der einen Seite Zugang zu speziellem Knowhow, Fertigkeiten und grundlegend neuen Ansätzen, die wir in dieser Form innerhalb unseres Unternehmens in einigen Bereichen nicht haben und die uns etwa eine langwierige Eigenentwicklung ersparen. Start-ups auf der anderen Seite profitieren unter anderem von unserer Kompetenz in der Industrialisierung, im Zugang zu Kunden und Märkten und damit verbunden natürlich mit der Möglichkeit, erfolgreiche Ansätze im großen Maßstab zu skalieren. Das ist die grundsätzliche Synergie, von der ich spreche. Da Start-ups meist in hochinnovativen, aber auch risikoreichen Feldern unterwegs sind, können wir gemeinsam lernen und das Risiko teilen. Die Integration in unsere Produkte erfolgt auf verschiedenen Wegen: Zum einen werden Start-up-Technologien oft verwendet, um unsere eigenen Prozesse effizienter zu machen, was uns Wettbewerbsvorteile sichert. Sehr häufig handelt es sich dabei um neuartige KI-Modelle. Zum anderen werden Start-up-Technologien auch als „Features“ in unsere Produkte eingebaut beziehungsweise kombiniert. Umgekehrt beliefert Bosch auch Start-ups mit Produkten wie beispielsweise unsere Sensoren oder entwickelt im Auftrag von Start-ups. Dies passiert regelmäßig unter anderem bei unserer Bosch-Tochter ITK Engineering oder der Robert Bosch Engineering & Business Solutions PVT LTD, Indien.
Wie sieht der Innovationsprozess in der Praxis aus?
Bolle: Unser Innovationsprozess orientiert sich an unserem Bosch Innovation Framework. Darin unterscheiden wir bezüglich der Reifephase einer Idee. Ganz grob gesagt, ändern sich die Methoden und Bewertungskriterien für ein Projekt, je nachdem, ob es sich in einer frühen „Explore“-Phase oder in einer reiferen „Exploit“-Phase befindet. Speziell in der Anbahnungsphase mit den Start-ups greifen wir auf eingeführte Frameworks und Ecosysteme zurück, je nachdem woher der Impuls für eine Partnerschaft stammt. Wenn wir eine genaue Vorstellung davon haben, welchen Partner wir suchen, befinden wir uns in der „Exploit“-Phase und verwenden das Open Bosch Framework, den sogenannten „Venture Client“-Prozess. Damit suchen wir externe Start-ups systematisch anhand interner, klar umrissener Bedarfe, um dann direkt auf die Start-ups zuzugehen. In der „Explore“-Phase dagegen nutzen wir unter anderem Acceleratoren wie etwa den Start-up Harbour in Berlin, in dem wir auf Suchfeldebene nach Partnern und Lösungen suchen.
In manchen Fällen ist es aber unklar, ob eine Zusammenarbeit zielführend ist – vor allem wenn die Ideen radikal neu sind. In diesen Fällen gibt es oftmals noch kein internes Innovationsprojekt und Start-ups suchen den Kontakt zu Bosch, wissen aber, auch aufgrund unserer Unternehmensgröße, oft nicht direkt, an wen sie sich wenden können. Dafür haben wir Andockpunkte geschaffen, die konsolidieren, priorisieren und den persönlichen Kontakt in die entsprechenden Fachabteilungen herstellen. Neben unserer erfolgreichen Wagniskapital-Gesellschaft RBVC, die direkt in Start-ups investiert, haben wir Anbahnungsmöglichkeiten wie zum Beispiel lokale Connectories geschaffen, mit denen wir einen zwanglosen Austausch und Coworking ermöglichen. Eine kontinuierliche Einrichtung ist zudem Innovate-Bosch. Hierüber können potentielle Partner ihre Kooperationsidee einreichen. Sollte es für den Fachbereich dann von Interesse sein, wird ein entsprechendes Innovationsprojekt aufgesetzt.
Wie verändert sich die Firmenkultur durch die Zusammenarbeit mit Start-ups?
Bolle: Unsere Unternehmenskultur entwickelt sich ständig weiter. Vor allem die Digitalisierung, künstliche Intelligenz, aber auch neue Produktfelder wie das AIoT halten uns und unser Umfeld in ständiger Bewegung. Um unsere Kunden und Märkte bestmöglich zu bedienen, brauchen wir Partnerschaften, für die unsere Kultur vorbereitet sein muss. Mit jeder erfolgreichen Partnerschaft senden wir dabei auch wichtige, sichtbare Signale in die Organisation und erzeugen Leuchttürme, an denen sich unsere Kolleginnen und Kollegen orientieren können. Damit vervielfachen wir die Offenheit für externe Impulse und verändern so die Kultur in Breite und Tiefe. Das ist auch der Grund, warum wir jährlich den Open Bosch Award auf der Bosch Connected World (BCW) vergeben, bei dem erfolgreiche Kooperationen mit Start-ups ausgezeichnet und sichtbar gemacht werden.
Wie und wie viel investieren Sie mit der Wagniskapitaltochter RBVC?
Bolle: RBVC investiert weltweit bereits seit 2007 in innovative Technologie- und Geschäftsmodelle, die potenziell eine wichtige strategische Rolle für Bosch spielen können. Ein Team aus internen und externen Venture Capital-Spezialisten mit viel Erfahrung arbeitet wie ein institutioneller Fund und investiert vor allem in die folgenden vier Technologiefelder: Automatisierung & Elektrifizierung, Energieeffizienz, Softwaretechnologien und Medizintechnik. Hierbei schaut sich RBVC jährlich mehr als 2.500 Start-ups weltweit an. Investitionsaktivitäten reichen von der Seed-Phase, in der wir initial bis zu einer halben Million Euro investieren, bis hin zu Later-Stage sowie Folgerunden. Der Sweet Spot ist bei RBVC die Serie A und B mit Größen von bis zu 10 Millionen Euro initialem Investment. Über vier Fonds verteilt beträgt das Investitionsvolumen heute 620 Millionen Euro. Die Investitionsaktivitäten brachten auch bereits einige erfolgreiche Exits hervor. Beispiele sind Movidius, ein Hersteller von Bildverarbeitungsprozessoren, der von Intel übernommen wurde, und der Funktechnologie-Anbieter Greenpeak, der eine neue Heimat beim Halbleiterproduzenten Qorvo gefunden hat. Mit dem Medizintechnikunternehmen Optomed sind wir an die Börse gegangen. RBVC ist weltweit vertreten mit Büros in Deutschland, USA, Israel und China.
ICC Germany: Was sind Ihre Lessons Learned für die Zusammenarbeit mit Start-ups und das Thema Open Innovation?
Bolle: Die Zusammenarbeit mit Start-ups hat – wenn es richtig gemacht wird – einen positiven Einfluss aufs Geschäft, die Attraktivität für Top-Talente und die Öffentlichkeitsarbeit. Bereits heute und verstärkt in der Zukunft zieht die Konkurrenz um die besten Start-ups an. Das erleben wir in der Praxis, sehen es aber auch in Studien, wie zum Beispiel „The State of Art of Open Innovation – 2020 Report“ von Mind the Bridge. Daher ist es wichtig, für exzellente Start-ups attraktiv zu bleiben. Diese Einsicht und Offenheit brauchen wir über alle Hierarchien hinweg. Interne Prozesse müssen für eine effiziente Arbeit mit Start-ups angepasst werden, zum Beispiel im Einkauf. Letztendlich ist es wichtig, sich klar zu machen, was genau in der Zusammenarbeit mit Start-ups erreicht werden soll. Start-ups befinden sich in unterschiedlichen Reife- beziehungsweise Finanzierungsphasen, und diese müssen zu dem entsprechenden Ziel passen.
ICC Germany: Was kann die Politik tun, damit die deutsche Industrie Innovationsführer bleibt und Open Innovation fördert?
Bolle: Für uns als innovationsstarkes Technologieunternehmen ist wichtig, dass sich die Politik wirklich auf die Schaffung von innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen konzentriert, uns nur ein Ziel vorgibt und nicht etwa vorschreibt, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Das sollten wir der Kreativität und dem Erfindergeist unserer Ingenieure, übrigens nicht nur bei Bosch, sondern im ganzen Land, überlassen.
Über wettbewerbsübergreifende Zusammenarbeit zum Beispiel in öffentlich geförderten Projekten, kann die Politik das Herausbilden von Standards und Normen fördern. Denn es gibt Bereiche, in denen die Technologie weit vorangeschritten ist, es aber noch an einem rechtlichen Rahmen für deren Zulassung fehlt. Das automatisierte Fahren in der Kategorie „Level 2 – handsfree“ ist ein Beispiel hierfür. In den USA und China ist es bereits geregelt und damit erlaubt. In Deutschland fehlt eine entsprechende Regelung. In einigen Bereichen sind gezielte Investments und Förderprogramme gefordert, um zum Stand der Technologie in anderen Kontinenten aufzuschließen und nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten. Die künstliche Intelligenz ist so ein Beispiel. Wenn wir die KI-Investments in den USA, in China und in Europa vergleichen, dann müssen wir klar feststellen: In Summe tun wir als Kontinent noch zu wenig. Ich bin der Meinung, die Bundesregierung und die EU-Kommission müssen ihre Anstrengungen weiter verstärken.