Die Begriffe „höhere Gewalt“ und „Force Majeure“

Das deutsche Recht kennt nur den Begriff der „höheren Gewalt“. Damit werden ungewöhnliche, schadensverursachende Ereignisse beschrieben, die eine Vertragspartei ohne ihr Verschulden an der Vertragserfüllung hindern. Der Begriff wird zwar von der Rechtsbesprechung eingesetzt, er ist jedoch gesetzlich nicht definiert.[1] Den Begriff „Force Majeure“ kennt das deutsche Recht überhaupt nicht, gleichwohl ist er in Verträgen unter deutschem Recht durchaus zu finden, wo er einen Fall höherer Gewalt beschreiben soll.[2] Im Common Law steht der Begriff „Force Majeure“ für ein unvorhersehbares Ereignis. Es liegt außerhalb der Kontrolle der Parteien und verhindert oder behindert die Leistungserbringung.

Im deutschen Recht fehlt eine gesetzliche Definition „Force Majeure“

Häufig finden sich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Klauseln, welche unvorhersehbare Ereignisse höherer Gewalt wie folgt regeln: „In Fällen höherer Gewalt ist die hiervon betroffene Vertragspartei für die Dauer und im Umfang der Auswirkung von ihren Leistungspflichten befreit.“[3]

Der Begriff „höhere Gewalt“ ist gesetzlich nicht definiert. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verwendet ihn unkommentiert im Rahmen seiner Regelung der Kündigung eines Reisevertrags wegen höherer Gewalt vor, der Gastwirtshaftung und dem Recht der Verjährung. Der Bundesgerichtshof versteht unter höherer Gewalt ein von außen kommendes, keinen betrieblichen oder persönlichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis.[4]  Nach der Rechtsprechung fallen darunter etwa Krieg, terroristische Anschläge, massive gewalttätige Unruhen oder ein Reaktorunfall.[5]  Nach diesen Grundsätzen dürfte der Ausbruch einer Epidemie wie SARS und damit die SARS-COV-2 Pandemie durchaus als höhere Gewalt angesehen werden und – wenn die einschlägige Klausel dies vorsieht – die jeweiligen Leistungspflichten der Vertragsparteien entfallen lassen.[6]

Enthält der Vertrag allerdings keine Regelung zu Ereignissen höherer Gewalt, bleibt es im deutschen Recht bei den gesetzlichen Bestimmungen über Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB) sowie Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Eine Vertragspartei kann sich danach auf Unmöglichkeit (§ 275 BGB) berufen, wenn der Lieferant wegen höherer Gewalt zum vereinbarten Zeitpunkt nicht liefern kann, weil notwendige Vorprodukte wegen unterbrochener Lieferketten oder Handelsbeschränkungen nicht mehr verfügbar sind. Als Konsequenz wird er von seiner Leistungspflicht befreit.

Die Auflösung des Vertrages oder die Anpassung einzelner vertraglicher Regelungen wie des Preises oder der Lieferfristen an veränderte Umstände darf eine Partei fordern, wenn ihr ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann. Rechtsgrundlage hierfür ist ein Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Dieser ist anzunehmen, wenn sich Umstände, die Grundlage des Vertrags sind, nach Vertragsschluss derart schwerwiegend ändern, dass einer Vertragspartei das Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann.

Die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage kommen allerdings nur subsidiär zur Anwendung, wenn kein Fall der Unmöglichkeit der Leistung nach § 275 Abs. 1 BGB vorliegt.[7]  Sie unterliegen zudem strengen Anforderungen, denn die Annahme einer weggefallenen Geschäftsgrundlage widerspricht dem Grundsatz, dass Verträge grundsätzlich wie geschlossen einzuhalten sind („pacta sunt servanda“).[8]

„Frustration of purpose“ und „Impossibility“ im Common Law

Im Common Law System regeln die Grundsätze der „frustration of purpose“ und „impossibility“ Voraussetzungen und Folgen einer Leistungsverweigerung wegen unvorhersehbarer Ereignisse. Diese erfordern ein unvorhersehbares Ereignis, das die Vertragserfüllung unmöglich macht oder zumindest den Zweck des Vertrags vereitelt. Folge ist in beiden Fällen die Beendigung des Vertrags.[9]

„Höhere Gewalt” im UN-Kaufrecht

Bei internationalen Warenkaufverträgen kann die Haftung des Lieferanten nach Artikel 79 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) entfallen. Das CISG ist grundsätzlich immer dann anwendbar, wenn die Parteien eines internationalen Liefervertrages dessen Anwendbarkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben (Art. 1, 6 CISG). Nach Art. 79 Abs. 1 CISG muss eine Partei für eine Nichterfüllung ihrer Pflichten nicht einstehen, wenn sie die Nichterfüllung wegen eines Hinderungsgrundes beweisen kann, der außerhalb ihres Einflussbereichs liegt und den sie weder bei Vertragsschluss kennen noch verhindern konnte. Als Hinderungsgründe im Sinne des Art. 79 Abs. 1 CISG werden danach auch Fälle der höheren Gewalt angesehen.[10]

Force Majeure Klauseln in Liefer- und Projektverträgen

Im internationalen Wirtschaftsverkehr werden Force Majeure-Klauseln vor allem in Lieferverträgen und internationalen Projektverträgen vereinbart. Sie sollen sicherstellen, dass Leistungspflichten in Fällen unvorhersehbarer und unabwendbarer Ereignisse nicht unter allen Umständen erfüllt werden müssen. Zu diesem Zweck sehen sie bei Vorliegen höherer Gewalt das Recht zur Leistungsverweigerung, Auflösung oder Anpassung des Vertrages vor. Die Parteien konkretisieren den Begriff der höheren Gewalt oftmals, indem sie konkrete Anwendungsfälle im Vertrag selbst regeln.

Die internationalen Standardwerkverträge der FIDC nutzen weder den  Begriff der „höheren Gewalt“ noch denjenige der „Force Majeure“. Stattdessen werden die Folgen eines „ungewöhnlichen Ereignisses oder Umstandes“ geregelt.[11]

Force Majeure-Klauseln werden häufig in Form von sogenannten MAC-Klauseln (Matrial Adverse Change Klauseln) in Unternehmenskaufverträgen vereinbart. Die aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammenden und dort seit jeher stark verbreiteten Klauseln gewähren dem Käufer im Falle einer wesentlichen nachteiligen Veränderung das Recht, sich unter bestimmten Voraussetzungen vom bereits unterzeichneten aber noch nicht vollzogenen Kaufvertrag zu lösen oder Garantieansprüche geltend zu machen.[12]

Klauseln zu Force Majeure können zur Leistungsverweigerung berechtigen

Eine Vertragspartei kann ihre Leistung verweigern, wenn eine Force Majeure-Klausel vereinbart wurde, welche eben diese Rechtsfolge enthält. Regelmäßig verlangt eine solche Force Majeure-Klausel ein unvorhersehbares Ereignis, welches die Parteien nicht kontrollieren konnten. Ist die Covid-19 Pandemie ein solches unvorhersehbares, nicht kontrollierbares Ereignis? Das dürfte eine der Streitfragen sein, mit der sich die Gerichte zusehends beschäftigen werden.

Die Antwort ist tatsächlich gar nicht so einfach zu finden: Gingen dem Vertragsschluss erste Berichte über die Verbreitung des Corona-Virus voraus, dürfte die Unvorhersehbarkeit der Pandemie bestritten werden können. Hingegen wird die leistungsverweigernde Partei bei Vertragsschluss vor Ausbruch der Pandemie wohl mit Aussicht auf Erfolg darlegen können, Pandemie und deren Auswirkungen seien nicht vorhersehbar gewesen. Die Frage danach, welche weiteren Anforderungen an ein Force Majeure-Ereignis zu stellen sind, richtet sich nach der jeweiligen Klausel. Typischerweise verlangen Force Majeure-Klauseln, dass das Ereignis (1.) die Partei daran gehindert hat, ihre Leistung zu erbringen, (2.) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht hinreichend vorhersehbar war, und (3.) dass die Auswirkungen des Hindernisses von der betroffenen Partei nicht angemessen hätten vermieden oder überwunden werden können.[13]

Ein Leistungsverweigerungsrecht setzt damit ein auslösendes Ereignis als unmittelbare Ursache für das Unvermögen der Vertragspartei voraus, die in Frage stehende vertragliche Verpflichtung zu erfüllen. Die Leistung muss verhindert oder zumindest erschwert worden sein, um eine Verweigerung der Gegenleistung zu begründen. Wirtschaftliche Gründe und eine Erschwerung der Leistungserbringung hingegen begründen kein Leistungsverweigerungsrecht. Dies gilt selbst dann, wenn wirtschaftliche Gründe wie gestiegene Gestehungskosten unmittelbare Folge des Force Majeure-Ereignisses sind.

Um die Leistung verweigern zu können, muss die betroffene Partei zudem beweisen, dass sie  die Auswirkungen der höheren Gewalt nicht verhindern konnte. Hätte die säumige Partei einen wirtschaftlich vernünftigen Ersatz beschaffen können, hat dies aber versäumt, entfällt ihre Pflicht zur Leistung nicht. Und schlussendlich muss die Partei darlegen und beweisen, dass ihr keine zumutbare Alternative zur Leistungsverweigerung zur Verfügung stand.[14]

Notifizierungspflichten

Doch damit nicht genug: Regelmäßig enthalten die Verträge an anderer Stelle Notifizierungspflichten und Fristen. Danach hat die Partei ihrem Vertragspartner innerhalb einer „angemessenen Frist“ oder binnen einer festgelegten Anzahl von Tagen über das die Leistung verhindernde Ereignis anzuzeigen. Ziffer 18.2 des Yellow Books der FIDIC 2017 (Contract Plant and Design Built) sieht für Fälle außergewöhnlicher Ereignisse (dem Äquivalent unter FIDIC für Force Majeure oder höhere Gewalt) eine Frist für die Mitteilung über das Leistungshindernis vor.[15]

„Diese Mitteilung erfolgt innerhalb von 14 Tagen, nachdem die betroffene Partei von dem außergewöhnlichen Ereignis Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, und die betroffene Partei wird dann von der Erfüllung der verhinderten Verpflichtungen ab dem Zeitpunkt entschuldigt, zu dem diese Erfüllung durch das außergewöhnliche Ereignis verhindert wird. Geht diese Mitteilung nach dieser Frist von 14 Tagen bei der anderen Vertragspartei ein, so ist die betroffene Vertragspartei erst ab dem Zeitpunkt, zu dem diese Mitteilung bei der anderen Vertragspartei eingeht, von der Erfüllung der verhinderten Verpflichtungen befreit.

Dies wirft schwierige Fragen nach dem Beginn der relevanten Frist und danach auf, ob es sich bei der Mitteilungspflicht um eine Bedingung für das Leistungsverweigerungsrecht oder eine gesonderte vertragliche Pflicht handelt.

Sieht der Vertrag vor, dass die betroffene Partei ein Leistungshindernis „so bald wie möglich“ mitzuteilen hat, kann es zwischen den Parteien streitig werden, bis wann eine Anzeige in diesen Fällen noch rechtzeitig erfolgen konnte. In einer kürzlich ergangenen Entscheidung des Englischen High Court gab das Gericht hilfreiche Hinweise zur Auslegung des Erfordernisses im Vertrag, eine Partei „so bald wie möglich“ („as soon as possible“) zu benachrichtigen, und insbesondere dazu, wann dieses Erfordernis ausgelöst wird.[16] Das Gericht entschied im Rahmen des in Streit stehenden Freistellungsanspruchs, dass die Klägerin bereits bei gewisser Kenntnis eines möglichen Anspruchs die Beklagte so bald wie möglich benachrichtigen musste. Mithin setzte das Gericht eine niedrige Schwelle für die Auslösung der Pflicht zur Benachrichtigung der anderen Partei. Diese Entscheidung verdeutlicht die Wichtigkeit, die Erfüllung der vertraglichen Mitwirkungspflichten sicherzustellen, insbesondere wenn diese als aufschiebende Bedingung formuliert sein sollten.

Empfehlungen für die Praxis

Liegt ein Fall von höherer Gewalt, auch wenn als Force Majeure oder außergewöhnliches Ereignis bezeichnet vor, ist entscheidend, welche Regelungen der Vertrag für diesen Fall konkret aufstellt. Es empfiehlt sich, wegen der fehlenden gesetzlichen Definition das Schicksal von Leistungspflichten bei unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignissen im Vertrag zu regeln und hierbei folgende Punkte zu beachten:

  • Der Begriff oder „höhere Gewalt“ oder „Force Majeure“ sollte im Vertrag genau definiert werden;
  • Die vertragliche Regelung sollte zudem aufzählen, welche Ereignisse hierunter fallen und ob diese Aufzählung abschließend ist, um Missverständnisse zu vermeiden;
  • Die Vertragsparteien sollten den Mitteilungspflichten im Falle von unvorhersehbaren Ereignissen die notwendige Beachtung schenken und festlegen, welche Fristen gelten und ab wann diese beginnen und wann sie enden;
  • Der Vertrag sollte zudem Regelungen zu den Folgen eines Force Majeure-Ereignisses enthalten; etwa: Beabsichtigen die Parteien ein vorübergehendes oder dauerhaftes Recht zur Leistungsverweigerung? Kann die betroffene Partei den Vertrag kündigen?
  • Insbesondere bei internationalen Projektverträgen sollte zudem geregelt werden, welche Auswirkungen Ereignisse höherer Gewalt auf Ausführungsfristen haben und ob diese zur Verlängerung vereinbarter Fristen führen;
  • Es empfiehlt sich, die von verschiedenen Institutionen bereitgestellten und international anerkannten Muster-Klauseln zu verwenden. Diese sollen auf internationale Verträge unabhängig von der jeweils dem Vertrag zugrunde liegenden Rechtsordnung anwendbar sein. Die ICC hat im März 2020 überarbeitete Muster-Klauseln in Kurz- und Langform veröffentlicht.

Fazit

Force Majeure-Klauseln sind fester Bestandteil internationaler Verträge. Die COVID-19-Pandemie hat allerdings die Grenzen vieler Klauseln aufgezeigt. So müssen u.a.  Folgen unvorhersehbarer und unabwendbarer Ereignissen auf die Leistungspflichten der Parteien klar geregelt werden. Deshalb empfiehlt sich, in internationalen Verträgen die u.a. von der ICC bereitgestellten Force-Majeure-Klauseln (Download) und höherer Gewalt zu verwenden.

HINWEIS:  ICC Germany veranstaltet regelmäßig Seminare zum Thema Außenhandel. Die Webinarreihe zur „Internationalen Vertragsgestaltung“ unterstützt Unternehmen dabei, ihre Ansprüche auch in schwierigen Situationen durchsetzen zu können. Wichtige Themen sind die rechtliche Absicherung – wie auch Force Majeure – und die Finanzierung des Geschäfts.

 

[1] BGHZ 2015, 81 = NJW 2017, 2677; vgl. auch AG Augsburg vom 7.7.2016, Az. 14 C 4608/03.

[2] Goßler, Unmöglichkeit und Force Majeure – Mögliche rechtliche Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie, https://www.noerr.com/de/newsroom/news/unmoglichkeit-und-force-majeure—mogliche-rechtliche-auswirkungen-der-coronavirus-epidemie.

[3] Vgl. etwa Musterklausel im BeckFormB BHW, Form. III. A. 2. Anm. 1-17 Rn. 1-17, beck-online

[4] BGHZ 2015, 81 = NJW 2017, 2677; vgl. auch AG Augsburg vom 7.7.2016, Az. 14 C 4608/03.

[5] BGHZ 109, 224;  AG Augsburg vom 7.7.2016, Az. 14 C 4608/03; LG Frankfurt a. M., RRa 2015, 8; ebenfalls BT-Drs. 8/2343, S. 12.

[6] Vgl. AG Augsburg zum Ausbruch des SARS-Virus, Urteil vom 9.11.2004 – 14 C 4608/03, BeckRS 2004, 16212.

[7] BGH NJW-RR 1995, 854.

[8] Beyer/Hoffmann, NJOZ 2020, 609, 612.

[9] Rüscher, EuZW 2018, 937, 942.

[10] Beyer/Hoffmann, NJOZ 2020, 609, 610.

[11] 1999 Fidic-Musterklauseln kostenpflichtig abrufbar unter https://fidic.org

[12] Deloitte, MAC-Klauseln in Unternehmenskaufverträgen und die COVID-19 Pandemie, abrufbar unter

https://www2.deloitte.com/dl/de/pages/legal/articles/covid-19-mac-klausel.html.

[13] Vgl. etwa Musterklausel der ICC, abrufbar unter

https://www.iccgermany.de/fileadmin/user_upload/Content/Handelsrecht_und_praxis/icc-forcemajeure-hardship-clauses-marc h2020.pdf

[14] Beyer/Hoffmann, NJOZ 2020, 609, 610.

[15] Gelbbuch der Fidic 2017 abrufbar unter https://idoc.pub/download/fidicyellow2017-fidic-yellow-book-conditions-of-contract-for-plant-pdf-2nv8xmk97olk.

[16] Urteil des Englischen High Court, Towergate Financial Limited v Hopkinson, [2020] EWHC 984 (Comm).

 

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 11, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.