Die EU ist Vorreiter beim Klimaschutz. Die Umsetzung des Europäischen Green Deals und damit der Jahrhundertaufgabe, Europa zu einem klimaneutralen Wirtschaftsraum der Zukunft zu machen, nimmt immer konkretere Züge an. Herzstück des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums ist die 2020 beschlossene EU-Taxonomie. Sie klassifiziert Wirtschaftsaktivitäten gemäß den Umweltzielen der EU. Seit April liegen die verbindlichen Kriterien für die ersten beiden Ziele „Anpassung an den Klimawandel und Klimaschutz“ vor. Anfang August wurde auch ein Vorschlag für die Kriterien der verbleibenden vier Ziele „Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen“, „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling“, „Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ und „Biodiversität und Schutz gesunder Ökosysteme“ veröffentlicht.  Und auch wenn die EU-Taxonomie-Kriterien noch nicht final feststehen, zeigt die Entwicklung dennoch klar: Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden für Unternehmen in Deutschland mehr und mehr zum Gesetz. Dies gilt insbesondere für Nachhaltigkeit im Mittelstand. Mit den Nachweisen über die Einhaltung neuer Vorgaben geht wiederum ein zusätzlicher Aufwand einher.

Beim Thema Nachhaltigkeit geraten zudem die Lieferketten immer stärker ins Blickfeld. Das Mitte Juni 2021 vom Bundestag verabschiedete Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu sorgen – und stellt damit viele Firmen vor Herausforderungen. Einer HypoVereinsbank-Studie zufolge rechnet ein Viertel der Unternehmen damit, dass das Lieferkettengesetz negative Auswirkungen auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit haben wird. Vor allem kleinere Betriebe mit einem Jahresumsatz von 5 bis 50 Millionen Euro und Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe befürchten, dass ihre Konkurrenzfähigkeit unter dem Gesetz leiden wird. Um die Anforderungen des Gesetzes in allen Punkten zu erfüllen, müssen die meisten Unternehmen zudem ihre Geschäftsprozesse anpassen oder sogar zusätzliche Maßnahmen ergreifen, etwa die Berichterstattungspflicht und die Vertragsgestaltung mit Lieferanten.

Nachhaltigkeit im Mittelstand eröffnet neue Geschäftschancen

Dabei trifft jede Regulierung, die auf große kapitalmarktorientierte Unternehmen abzielt, über kurz oder lang auch die mittelständischen Unternehmen. Denn jedes Unternehmen ist immer auch Teil einer Handels- oder Lieferkette. Viele Großunternehmen nehmen bereits jetzt ihre mittelständischen Zulieferer in die Pflicht, selbst nachhaltig zu wirtschaften. Und auch wenn kleine und mittelständische Unternehmen keine Lieferanten, sondern selbst Produzent und Händler oder Dienstleister sind, erleben sie doch die mit Regulierungen und Transparenzanforderungen einhergehende Sensibilisierung, beispielsweise in den Erwartungen von Nachwuchskräften, Kundinnen und Kunden sowie Finanzinstituten, für die Nachhaltigkeit ebenfalls eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Mittelständische Unternehmen müssen ihre Geschäftsaktivitäten daher künftig nachhaltiger und klimaschonender ausrichten. Zugleich bietet ihnen das Thema Nachhaltigkeit aber auch große Geschäftschancen.

Viele Mittelständler können ihre Vorreiterrolle bei innovativen Technologien im Bereich nachhaltiger und ressourcensparender Wertschöpfung weiter ausbauen. Zulieferer, die sich selbst nachhaltig aufstellen, stärken die Beziehungen zu ihren Abnehmern und verschaffen sich gegenüber Wettbewerbern einen Vorteil. Auch mit Blick auf die eigene Belegschaft kann sich die nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens lohnen. Sie unterstützt die Mitarbeitermotivation und macht den Arbeitgeber attraktiver für den Nachwuchs. Trotz der mit neuen Vorschriften einhergehenden Herausforderungen hat daher ein Großteil der Unternehmen die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit und des Potenzials nachhaltigen Wirtschaftens bereits erkannt. Laut der HypoVereinsbank-Studie haben sich neun von zehn Firmen schon mit den Auswirkungen der eigenen Unternehmenstätigkeit auf Aspekte wie Menschenrechte, Arbeitnehmerbedingungen und Verbraucherschutz auseinandergesetzt – über die Hälfte bereits intensiv. Dabei ist die Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen der erste Schritt in der Transition hin zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell.

Nachhaltige Finanzierungen stehen bereit

Mit diesem Transitionsprozess geht neben einem hohen Finanzierungs- auch ein großer Beratungsbedarf einher. Denn insbesondere bei mittelständischen Unternehmen besteht beim Thema Sustainable Finance nach wie vor Informationsbedarf. Das hängt auch damit zusammen, dass sich viele Unternehmen während der Covid-19-Pandemie auf ihr Kerngeschäft konzentrieren mussten. Zudem sind die Kapazitäten, sich mit neuen Regularien und Gesetzen zu beschäftigen, durch kleinere Nachhaltigkeits- und Finanzabteilungen begrenzt. Das zeigt, wie wichtig es für Banken beim Thema Nachhaltigkeit ist, keinen One-Size-fits-All-Ansatz zu verfolgen, sondern auf die individuellen Anforderungen des Mittelstands einzugehen. Neben einer Beratung, welche den Mittelstand gezielt adressiert, braucht es einen branchenspezifischen Beratungsansatz. So spielt etwa die Reduktion von CO2-Emissionen in der Industrie eine wesentlich größere Rolle als in der Elektronik- oder IT-Branche. Speziell dem Bausektor kommt eine Schlüsselrolle für das Erreichen der nationalen Klimaschutzziele zu. Die Chemie- und Pharmabranche ist dagegen entscheidender für die Nachhaltigkeit der internationalen Lieferketten. Um diesen Branchenspezifika gerecht zu werden, hat etwa die HypoVereinsbank mit dem ESG Branchenbarometer ein spezielles Beratungstool für Nachhaltigkeit im Mittelstand entwickelt. Mit diesem Diagnoseinstrument lässt sich systematisch erfassen, wo es bei Unternehmen noch Defizite oder versteckte Risiken gibt, um gezielt anzusetzen. Die Firmen erhalten dabei schnell einen Überblick, wo sie derzeit stehen – auch im Vergleich zu anderen Unternehmen aus ihrer Branche

Für anstehende Investitionen in Nachhaltigkeitsprojekte steht ein breites Spektrum an nachhaltigen Finanzierungsinstrumenten bereit. Multinationale Unternehmen und gehobene Mittelständler greifen neben ESG-gebundenen Konsortialkrediten etwa auf ESG-Anleihen oder Schuldscheine zurück. Auch nachhaltige Absicherungsinstrumente wie ESG-gebundene Zinsswaps oder Nachhaltigkeitskomponenten in der Lieferantenfinanzierung spielen für sie eine wachsende Bedeutung. Im breiten Mittelstand bleiben Förderkredite – etwa von der KfW – ein wichtiges Instrument im Werkzeugkasten nachhaltiger Finanzierungen. Daneben braucht es punktuell weitere Produktinnovationen. Damit auch Mittelständler die Möglichkeit erhalten, ihr Geschäftsmodell Jahr für Jahr nachhaltiger auszurichten und von Zinsvorteilen zu profitieren, hat die HypoVereinsbank einen ESG-gebundenen Kontokorrentkredit speziell für mittelständische Unternehmen entwickelt. Dabei wird der Zins an das Nachhaltigkeitsrating des Unternehmens gekoppelt. Für Unternehmen, die noch über kein Nachhaltigkeitsrating verfügen, ist diese Finanzierungsoption zudem ein Anreiz, sich mit der Thematik zu befassen. Sie erhalten durch Fortschritte bei ihrem Nachhaltigkeitsrating attraktivere Finanzierungskonditionen und können ihr Nachhaltigkeitsengagement gleichzeitig glaubhaft gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Partnern belegen.

Nachhaltiges Mindset ist entscheidend

Mindestens genauso wichtig wie ein nachhaltig ausgerichtetes Geschäftsmodell und entsprechende Finanzierungsinstrumente ist das Mindset der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens. Für die HypoVereinsbank ist beispielsweise entscheidend, dass alle Beraterinnen und Berater selbst überzeugt von der Bedeutung von E, S und G sind. Nur so können sie die Unternehmerinnen und Unternehmer entsprechend beraten und mit ihnen auf Augenhöhe über notwendige Änderungen im Geschäftsmodell diskutieren. Unbedingte Voraussetzung für dieses Mindset ist fundiertes Basis- und Spezialwissen bei den Themen Nachhaltigkeit und Sustainable Finance. Um dieses Wissen zu verankern, hat die HypoVereinsbank zusammen mit der EBS Executive School 230 Berater und zu Sustainable Finance Experts geschult. Ihre Aufgabe ist es, Mittelständler beim Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft zu begleiten und gemeinsam nachhaltige Finanzierungstrategien zu entwickeln. Sie fungieren als Botschafter des Nachhaltigkeitsgedankens und überzeugen gegenüber Kunden und Partnern durch hohe Nachhaltigkeitskompetenz.

Mittelständische Unternehmen, die sich stärker mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen möchten, sollten das Vorhaben zudem systematisch angehen und die gesamte Unternehmensplanung mit einbeziehen. Auch hier helfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aus unseren Gesprächen wissen wir, dass die sich sehr häufig bereits mit Fragestellungen im Bereich Nachhaltigkeit beschäftigen und schon viele interessante Ansätze und Ideen haben, auf denen die Geschäftsleitung aufsetzen kann.

Fazit: Nachhaltigkeit im Mittelstand

Das Thema Nachhaltigkeit im Mittelstand ist eine Riesen-Herausforderung, aber auch eine Riesen-Chance für Europa. Insbesondere deutsche Mittelständer sind mit ihrem Innovationsgeist, ihrem langfristig angelegten unternehmerischen Wirken und ihrem Einsatz für den Erhalt von Arbeitsplätzen prädestiniert, den nachhaltigen Wandel zu prägen und mit dem Thema Nachhaltigkeit einhergehende Geschäftschancen zu nutzen.

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