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Dr. Reinmar Wolff

forscht und lehrt an der Philipps-Universität Marburg und ist als Schiedsrichter tätig. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit.

Empfiehlt es sich, einen deutschen Schiedsort zu wählen?

Empirische Daten zur Schiedsfreundlichkeit deutscher Gerichte

von Dr. Reinmar Wolff (Universität Marburg)

In grenzüberschreitenden Verträgen mit Schiedsklauseln sollte immer auch ein Schiedsort vereinbart werden. Welche Kriterien spielen dabei eine Rolle und ist ein deutscher Schiedsort eine gute Wahl?

Mit der Wahl des Schiedsorts bestimmen die Parteien, nach welchem nationalen Schiedsverfahrensrecht sich das Schiedsverfahren richtet. Damit geht einher, dass die Gerichte am Schiedsort für die Aufhebung des Schiedsspruchs und für Hilfsverfahren wie die Ersatzbestellung oder die Ablehnung von Schiedsrichtern zuständig sind. Außerdem wird der Schiedsort häufig die erste Wahl für die Durchführung der mündlichen Verhandlung sein.

Die Kriterien für die Wahl des Schiedsorts

Doch nach welchen Kriterien wird der Schiedsort gewählt? Aus Studien[1] ist bekannt, dass der rechtliche Rahmen am Schiedsort die wichtigste Rolle spielt, gefolgt von Schiedsverfahrensinfrastruktur und schiedsverfahrensunabhängigen Kriterien. Bedeutsam sind außerdem Ansehen und Bekanntheit des Schiedsorts, die sich aber im besten Fall daraus speisen, inwieweit der Schiedsort die übrigen Anforderungen in der Vergangenheit erfüllt hat. Der besonders wichtige rechtliche Rahmen am Schiedsort wiederum wird durch die Neutralität und Unparteilichkeit des örtlichen Rechtssystems, das nationale Schiedsverfahrensrecht, die Erfolgsbilanz bei der Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen und Schiedssprüchen (zusammenfassend: die Schiedsfreundlichkeit) sowie die Effizienz örtlicher Gerichtsverfahren abgesteckt. Dabei geht es weniger darum, was das kodifizierte Recht vorsieht, als vielmehr darum, wie die Gerichte das Recht anwenden.

Die Studie

Es lag deshalb nahe, die Eignung des rechtlichen Rahmens am Schiedsort Deutschland anhand der Spruchpraxis der Gerichte zu untersuchen. Nun liegen erstmals belastbare Angaben zur Arbeit der deutschen Gerichte in Schiedssachen vor: In einer Studie wurden alle 573 urteilsersetzenden Beschlüsse deutscher Gerichte in Aufhebungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren, die zwischen 2012 und 2016 anhängig gemacht wurden, zusammengetragen, erfasst und ausgewertet.[2] Diese 573 Beschlüsse überprüften 630 Schiedssprüche und entschieden über 669 Aufhebungs- und Vollstreckbarerklärungsanträge.

Schiedsfreundlichkeit

Der Begriff der Schiedsfreundlichkeit ist in aller Munde, aber schwierig zu bestimmen. Richtigerweise macht ihn im Kern das Vertrauen aus, dass Schiedsgerichtsbarkeit und staatliche Gerichtsbarkeit gleichwertig sind.[3] Fehlt dieses Vertrauen, werden die Gerichte eher der Versuchung erliegen, Schiedssprüche inhaltlich zu hinterfragen. Das wird sich in erhöhten Aufhebungsquoten niederschlagen. Umgekehrt sind die schiedsfreundlichsten Gerichte nicht diejenigen mit der niedrigsten Aufhebungsquote. Denn Schiedsfreundlichkeit bedeutet Vertrauen, nicht aber blindes Vertrauen. Gerade um der Gleichwertigkeit der Schiedsgerichte und der staatlichen Gerichte willen können Schiedssprüche, die elementare Regeln verletzen, keinen Bestand haben.

Um die Aufhebungsquote zu ermitteln, wurden alle Anträge einheitlich am Maßstab eines Aufhebungsantrags gemessen. Entscheidend war danach, wie das Gericht entschieden hätte, wäre ein inländischer Schiedsspruch innerhalb der Aufhebungsfrist angegriffen worden. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wurden so gezählt, als hätten sie unmittelbar über den Aufhebungsantrag (und nicht über die Rechtsbeschwerde) entschieden. Über alle 669 entschiedenen Anträge ergibt sich so eine Quote ganz oder teilweise erfolgreicher Aufhebungsanträge von 4,19 %.

Die vereinheitlichte Aufhebungsquote von 4,19 % lässt sich am besten im Vergleich zu anderen Erfolgsquoten einordnen, nämlich denen vergleichbarer anderer Entscheidungen deutscher Gerichte und den Aufhebungsquoten ausländischer Gerichte. Als inländischer Vergleichsmaßstab bieten sich die Vollstreckbarerklärungen gerichtlicher Entscheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten nach der Brüssel-I-Verordnung an, von denen in Deutschland 12 % von 1.638 Vollstreckbarerklärungsanträgen erfolglos waren.[4] Dass deutsche Gerichte gerichtliche Entscheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten fast drei Mal so häufig beanstandet haben wie Schiedssprüche, spricht klar für ihr Vertrauen in die Gleichwertigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit.

Für einen Vergleich mit anderen Schiedsorten bietet sich die als schiedsfreundlich anerkannte Schweiz an. Dort wurden von 1989 bis 2019 6,47 % der angegriffenen internationalen Schiedssprüche ganz oder teilweise aufgehoben.[5] Diesen Wert der deutschen vereinheitlichten Aufhebungsquote von 4,19 % gegenüberzustellen hieße aber Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Denn dem schweizerischen Wert liegen nur Aufhebungsanträge zugrunde, mit denen ein internationaler Schiedsspruch angegriffen wird. Will man weitergehende Vergleichbarkeit herstellen, so darf man nur auf die Entscheidungen deutscher Gerichte über internationale Schiedssprüche, denen mindestens ein Aufhebungsgrund entgegengehalten wurde, sehen. Für sie ergibt sich eine vereinheitlichte Aufhebungsquote von 6,82 %, die sich von der schweizerischen Aufhebungsquote von 6,47 % praktisch nicht unterscheidet.

Unter dem Gesichtspunkt der Schiedsfreundlichkeit lohnt zudem ein Blick darauf, wie erfolgreich die verschiedenen Einwendungen gegen Schiedssprüche waren (Abbildung 1). Ein besonderes Augenmerk verdient dabei der Verstoß gegen den ordre public, weil er besonders konturschwach ist und sich damit als Einfallstor schiedsunfreundlicher Wertungen anbietet. Vor deutschen Gerichten waren ordre-public-Einwände mit einer Erfolgsquote von 2,73 % freilich deutlich weniger erfolgreich als andere Einwendungen, so dass auch insoweit keine Zweifel an der Schiedsfreundlichkeit aufkommen. Gleiches gilt für das rechtliche Gehör, das sich ebenfalls für eine – bei der Überprüfung von Schiedssprüchen durch die Gerichte unzulässige – verdeckte Inhaltskontrolle eignen würde: Zieht man die Gehörsrügen aus allen Aufhebungsgründen zusammen, so stellen sie ein Drittel aller Einwendungen gegen Schiedssprüche, haben aber lediglich zu 1,86 % Erfolg.

Abbildung 1 : Erfolgsquoten nach Einwendungstatbeständen

Neutralität

Neutral und unparteilich ist ein Rechtssystem, wenn es keinen Unterschied zwischen in- und ausländischen Schiedssprüchen sowie in- und ausländischen Parteien macht. Deutsche Gerichte haben ausländische Schiedssprüche mit einer vereinheitlichten Aufhebungsquote von 3,94 % seltener beanstandet als inländische (4,24 %, Abbildung 2). Ausländische Schiedssprüche werden also nicht schlechter gestellt – im Gegenteil. Auch den kritischen Aufhebungsgründen, allen voran ordre public und rechtlichem Gehör, sind anteilig weniger ausländische als inländische Schiedssprüche anheimgefallen.

Abbildung 2 : Aufhebungsquoten in- und ausländischer Schiedssprüche

Komplizierter ist die Lage bei den Erfolgsaussichten in- und ausländischer Parteien. Hier muss danach unterschieden werden, ob die ausländische Partei den Schiedsspruch angegriffen oder ihn verteidigt hat. Denn danach richtet sich, ob eine angenommene Aufhebung des Schiedsspruchs zugunsten oder zu Lasten der Partei geht. Die Verfahren, in denen (auch) ausländische Parteien den Schiedsspruch verteidigt haben, waren als Aufhebungsverfahren mit 4,11 % praktisch genauso erfolgreich wie die Gesamtheit der Verfahren mit 4,19 % (Abbildung 3).

Abbildung 3 : Aufhebungsquoten bei Beteiligung in- und ausländischer Parteien

Waren ausländische Parteien dagegen unter denen, die den Schiedsspruch angegriffen haben, waren sie nur etwa halb so häufig erfolgreich wie alle Angreifer (Abbildung 3). Dieses Ergebnis ist aus zwei Gründen unplausibel: Zum einen ist kaum denkbar, dass die Gerichte ausländische Parteien nur in einer Parteirolle benachteiligt, sie in der anderen Parteirolle aber vollkommen gleich behandelt haben. Zum anderen wäre eine Benachteiligung ausländischer Parteien am ehesten in Verfahren zu erwarten gewesen, in denen sie Schiedssprüche gegen heimische Parteien für vollstreckbar erklären lassen. Ein parteiisches Gericht wird in diesem Fall dazu neigen, die heimische Partei vor der Vollstreckung zu schützen. Die ausländische Partei ist dann aber in der Verteidigerrolle, in der gerade vollkommene Gleichbehandlung herrscht. Daher bleibt lediglich die Erklärung als zufällige Abweichung. Sie wurde durch die geringe Zahl von Verfahren mit (auch) ausländischen Parteien in der Angreiferrolle begünstigt: An nur 86 Verfahren waren ausländische Parteien als Angreifer beteiligt, so dass bereits ein zusätzliches erfolgreiches Aufhebungsverfahren (1,16 %) die Schieflage weitgehend beseitigt hätte.

Effizienz

Bei der Effizienz örtlicher Gerichtsverfahren geht es in erster Linie um die Verfahrensdauern. Je Instanz hat ein Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren vor deutschen Gerichten durchschnittlich 5,68 Monate gedauert, der Median – also der Wert in der Mitte, wenn man alle Verfahrensdauern ihrer Länge nach sortiert – liegt bei 3,58 Monaten (Abbildung 4). Diese Abweichung erklärt sich durch verhältnismäßig wenige sehr lang dauernde Verfahren, in denen häufig im Ausland zuzustellen war. Nimmt man die vollständigen Instanzenzüge in Blick, so verlängert sich die durchschnittliche Verfahrensdauer leicht, während sich der Median etwas verringert. Ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, hat erheblichen Einfluss auf die Verfahrensdauern (Abbildung 4).

Abbildung 4 : Verfahrensdauern in Monaten

Mit durchschnittlich 5,68 Monaten je Instanz liegen die deutschen Gerichte im internationalen Vergleich im Mittelfeld.[6] Die Verfahrensdauer ist damit kein entscheidendes Argument für die Wahl eines deutschen Schiedsorts, aber auch keines dagegen.

Fazit

Wählen deutsche und ausländische Parteien einen Schiedsort in einem ihrer Länder, so war dies häufiger das Land der ausländischen Vertragspartei als Deutschland. Die Zahlen belegen aber, dass kein Grund bestand, deutsche Schiedsorte zu meiden. Im Gegenteil: Die Wahl des Schiedsorts sollte in erster Linie von der Rechtsprechung der dortigen Gerichte in Schiedssachen abhängen. Und die Schiedsfreundlichkeit, Neutralität und Effizienz der deutschen Gerichte sprechen klar für die Wahl eines deutschen Schiedsorts.

[1] Queen Mary, University of London/White & Case (Hrsg.), 2018 International Arbitration Survey: The Evolution of International Arbitration, S. 10, abrufbar unter http://www.arbitration.qmul.ac.uk/research/2018 (zuletzt abgerufen am 21.02.2022).

[2] Die Studie, deren Ergebnisse hier zusammengefasst werden, wurde durch das Bundesministerium der Justiz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert. Die Ergebnisse der Studie erscheinen unter dem Titel „Schiedsstandort Deutschland – Eine Erhebung zur Schiedsgerichtsbarkeit und zur Spruchpraxis der Gerichte“ im Verlag C. H. Beck.

[3] Wolff, in de Vries (Hrsg.), Die Förderung der Rule of Law durch außergerichtliche Streitbeilegung, 2018, S. 37, 41 f.

[4] European Commission, Directorate General for Justice, Final Report, Data Collection and Impact Analysis – Certain Aspects of a Possible Revision of Council Regulation No. 44/2001 on Jurisdiction and the Recognition and Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters (‘Brussels I’), 17 December 2010, S. 37, abrufbar unter https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/4c132bf6-5627-4da8-bab5-ffa60edc45ce (zuletzt abgerufen am 21.02.2022).

[5]  38 ganz oder teilweise aufgehobene Schiedssprüche (Dasser/Wójtowicz, ASA Bull. 2021, 7, 15) bei 90 als unzulässig und 497 in der Begründetheit entschiedenen Anträgen (Dasser/Wójtowicz, ASA Bull. 2021, 7, 10).

[6] Wolff, SchiedsVZ 2021, 328, 338.