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Dr. Elke Umbeck

ist Partnerin der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek und leitet die Praxisgruppe Prozessführung / Schiedsverfahren. Mit über 20-jähriger Berufserfahrung berät und vertritt sie Unternehmen aus verschiedenen Branchen  und ist auch als Schiedsrichterin tätig.

Dr. Jonas Pust

ist Salaried Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er vertritt Mandanten sowohl in nationalen als auch in internationalen Verfahren, einschließlich institutioneller und Ad-hoc-Schiedsverfahren.

Während sich Schiedsverfahren in vielen Bereichen der Wirtschaft als bewährtes Mittel der Konfliktlösung etabliert haben, erscheinen ihre Vorteile in der IT-Branche noch wenig bekannt. Dabei bieten sich Schiedsverfahren gerade für die überwiegend komplexen technischen Sachverhalte in der IT-Branche an.

Die IT-Branche hat in den letzten zehn Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Sie umfasst den gesamten Sektor der technischen und kommunikationsorientierten Informationstechnologie. Derzeit gibt es in Deutschland etwa 100.000 IT-Unternehmen mit über eine Million Erwerbstätigen, die zuletzt einen Umsatz von über EUR 100 Mrd. erwirtschafteten.[1]

Bezüge zum IT-Sektor bestehen in nahezu allen anderen Branchen insbesondere durch die insgesamt stattfindende digitale Transformation, E-Commerce, den Einsatz von Apps, digitalen Plattformen, künstlicher Intelligenz (KI) und die Verarbeitung großer Datenmengen. Ein besonderer Anwendungsfall ist der Streit über Kryptowerte (Kryptodarlehen u.a.), Blockchain und Token.

Umso mehr überrascht es, dass Schiedsverfahren in der IT-Branche bislang nur eine geringe Rolle spielen und Verträge häufig keine Schiedsklausel enthalten.

Schiedsverfahren gehen über Schlichtungsverfahren hinaus

Noch relativ bekannt sind in der IT-Branche in Deutschland sog. Schlichtungsverfahren. Seit 1991 bietet etwa die Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik e.V. (DGRI) eine „Schlichtungsstelle IT” an. Auch bei den regionalen Handelskammern gibt es teilweise spezialisierte Schlichtungsstellen (z.B. Hamburger IT-Schlichtungsstelle eine Kooperation von Hamburg@work und der Handelskammer Hamburg). Zwar steht es den Parteien offen, nach einem erfolglosen Schlichtungsverfahren ein Schiedsverfahren zu betreiben. Die Schlichtungsstellen halten indes selbst keine Schiedsregeln vor, so dass ein Schiedsverfahren separat vertraglich vereinbart werden muss. Ist der Streitfall erst aufgetreten, gelingt es allerdings häufig nicht mehr, eine solche Vereinbarung zu erzielen. Sicherer und zweckmäßiger ist es, von vornherein ein Schiedsverfahren als weitere Eskalationsstufe zu vereinbaren.

Schiedsverfahren sind nicht mit Schlichtungsverfahren zu verwechseln. Schlichtungsverfahren sind ausschließlich auf eine einvernehmliche Streitbeilegung ausgerichtet. Der/die Schlichter/in hat keine Entscheidungsgewalt in der Sache, sondern führt allein eine Einigung der Parteien herbei. Im Gegensatz hierzu ist ein Schiedsverfahren ein echter Ersatz für ein gerichtliches Verfahren. Das Schiedsgericht verfügt nach Maßgabe der Schiedsvereinbarung über die Befugnis und die Pflicht, den Streit verbindlich zu entscheiden. Damit geht einher, dass die Rechte der beteiligten Parteien, insb. auf rechtliches Gehör und Gleichbehandlung, in einem Schiedsverfahren umfassend zu wahren sind. Der am Ende vom Schiedsgericht erlassene Schiedsspruch ist gesetzlich einem gerichtlichen Urteil gleichgestellt.

Deutschland blickt insoweit auf eine lange Schiedsrechtstradition zurück. Nationale und internationale Schiedssprüche werden als vollstreckbare Titel anerkannt. In einem staatlichen Gerichtsverfahren können die Parteien sich auf die Schiedsvereinbarung berufen, was zur Unzuständigkeit des staatlichen Gerichts führt. In der internationalen Wirtschaft gilt ein Schiedsverfahren als bevorzugter Streitbeilegungsmechanismus.

„Oft handelt es sich bei den involvierten Unternehmen um noch junge Unternehmen, die in einem sich schnell verändernden technischen Umfeld tätig sind. Rechtsstreite können sich hier leicht existenzbedrohend auswirken. Dies erfordert eine schnelle und effiziente Streitlösung.“

Dr. Elke Umbeck, Rechtsanwältin und Partnerin bei Heuking Kühn Luer Wojtek

Besonderheiten von Streitigkeiten in der IT-Branche

Technische Komplexität

Charakteristisch für Streitigkeiten in der IT-Branche ist die weitreichende Komplexität der Sachverhalte, die eine hohe technische Kompetenz, Erfahrung und Versiertheit bei der Streitlösung erfordern. Oft handelt es sich bei den involvierten Unternehmen um noch junge Unternehmen, die in einem sich schnell verändernden technischen Umfeld tätig sind. Rechtsstreite können sich hier leicht existenzbedrohend auswirken. Dies erfordert eine schnelle und effiziente Streitlösung. Die IT-Branche ist ferner von zunehmender Internationalität geprägt.

Dynamisches Umfeld

In rechtlicher Hinsicht weisen Streitigkeiten in der IT-Branche aus der Sicht des deutschen Rechts einen Bezug zu sehr unterschiedlichen Vertragstypen auf. Die Überlassung von einer Standard-Software zur Nutzung beim Kunden/bei der Kundin (on premise) ist kaufvertraglicher Natur. Anders ist dies, wenn die Software as a Service (SaaS) dem Kunden über das Internet zur Verfügung gestellt wird. Eine solche Softwarenutzung wird mietvertraglich behandelt, die Erbringung der Supportservices unterliegt dem Dienstvertragsrecht. Je nach Ausgestaltung weist ein diesbezüglicher Softwarenutzungsvertrag mithin als typengemischter Vertrag (neben werkvertraglichen Elementen bei der Wartung und Implementierung u.a.) auch dienst- und mietvertragliche Elemente auf.

Softwareerstellungsverträge, d.h. Verträge über die Erstellung von Individualsoftware, sind als komplizierte Langzeitverträge grundsätzlich werkvertraglicher Natur. Rechtsstreite in komplexen Softwareprojekten weisen durchaus Bezüge zum Bauprozess auf. Dies gilt auch für die Anpassung von Standardsoftware an die Bedürfnisse des Kunden, sofern die Anpassungsleistung nicht gänzlich untergeordnet ist. Nach der herkömmlichen sog. Wasserfall-Methode wird auf Grundlage eines Lastenhefts des Auftraggebers ein Pflichtenheft erstellt, welches der Leistungsbeschreibung dient. Demgegenüber steht bei sog. agilen Softwareprojekten am Anfang lediglich eine Produktvision, während die Einzelanforderungen und speziellen user stories iterativ in gemeinsamen Workshops erarbeitet werden, die dann in sog. sprints umgesetzt werden können. Hier stellt sich die Frage, inwieweit der Projektvertrag dienstvertragliche Elemente enthält, was je nach Ausgestaltung der Verträge zu beantworten ist. Die gesetzlichen Vertragstypen passen insofern nur teilweise zu den digitalen Produkten der IT-Branche.

Andere Phänomene, wie Blockchain-Transaktionen, treffen auf einen Rechtsrahmen, welcher für die analoge Welt geschaffen wurde und bieten keine unmittelbar passenden Lösungen an. Die Juristen ringen hier noch um Lösungen.

IT-Recht als Querschnittsmaterie und zunehmende Regulierung

Das IT-Recht gilt zudem als Querschnittsmaterie und IT-Streitigkeiten weisen häufig einen Bezug zu unterschiedlichen Rechtsgebieten auf. Neben dem IT-Vertragsrecht stellen sich ggf. Fragen des Urheber- und Patenrechts, Telekommunikationsrechts, Geschäftsgeheimnisrechts, Datenschutzrechts, IT-Sicherheitsrechts, Wettbewerbs- und Kartellrechts sowie gesellschaftsrechtliche Fragen, etwa im Fall von Joint Ventures oder sonstigen Kooperationen. Insgesamt zeigt sich eine zunehmende Regulierung dieses Sektors. Jüngst wird komplementär zum Kartellrecht und zum Gesetz über digitale Dienste (Digital Service Act – DSA) auf EU-Ebene u.a. an einem Gesetz über digitale Märkte (DMA) gearbeitet.

„Unternehmen in der IT-Branche tun gut daran, sich mit den Vorteilen der Schiedsgerichtsbarkeit zu befassen. In internationalen Verträgen sind Schiedsklauseln in der Regel gut durchsetzbar und wegen der Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen eine gute Wahl.“

Dr. Jonas Pust, Salaried Partner, Dispute Resolution bei Heuking Kühn Luer Wojtek

Vorteile von Schiedsverfahren

Expertise der Schiedsrichter/innen

Ein wesentlicher Vorteil von Schiedsverfahren gegenüber staatlichen Gerichtsverfahren liegt darin, dass die Parteien Einfluss auf die Auswahl der Schiedsrichter/innen haben. Bei einem Dreierschiedsgericht bestimmt in der Regel jede Partei eine/n Schiedsrichter/in, die sich dann regelmäßig ihrerseits auf einen Vorsitzenden einigen. Bei der Auswahl der Kandidaten sind die Parteien völlig frei, solange diese unparteiisch und unabhängig sind. Das bedeutet, dass die Parteien eine versierte Person mit speziellem Knowhow auswählen können. Die Darstellung komplexerer technischer Zusammenhänge kann damit Vorwissen voraussetzen und das Verfahren kann sich auf das Wesentliche konzentrieren. Es ist nicht erforderlich, einen im IT-Sektor unerfahrenen Richter zunächst mit den Grundlagen vertraut zu machen. Das Fachwissen erhöht damit die Qualität und Schnelligkeit der Entscheidungen und das Vertrauen in die Entscheidungsfindung.

Maßgeschneidertes Verfahren

Ferner folgt das Verfahren weniger starren Regeln als ein staatlicher Gerichtsprozess und kann flexibel auf die Bedürfnisse des Rechtsstreits angepasst werden. So können mündliche Verhandlungen einschließlich einer Zeugenvernehmung länderübergreifend online durchgeführt werden. Schriftsätze und Dokumente, die dem Schiedsgericht vorgelegt werden, lassen sich über einen FTP-Server teilen und stehen damit allen Beteiligten gleichermaßen zur Verfügung.

Als anwendbares Recht können die Parteien für ein Schiedsverfahren neben dem nationalen Recht eines Staates auch auf internationale Regelwerke, wie z.B. das UN-Kaufrecht oder die sog. Unidroit Principles verweisen. Die Parteien können auch die Verfahrenssprache frei wählen. In internationalen Schiedsverfahren ist Englisch als Verfahrenssprache üblich. Das vermeidet unnötige Übersetzerkosten, wenn die Unternehmenskommunikation auf Englisch erfolgt und vorzulegende Dokumente auf Englisch verfasst wurden. Entsprechend können Zeugen (ohne kostspielige Simultanübersetzung) auf Englisch vernommen werden.

Auch die Beweiserhebung unterliegt nicht den strengen Vorgaben der staatlichen Prozessordnung. Im Hinblick auf technische IT-Sachverhalte gibt es hier die Möglichkeit, z.B. bestimmte Funktionalitäten am Bildschirm präsentieren zu können. Auch können – wenn spezielles Wissen geschützt werden muss – flexible Vorkehrungen getroffen werden, sodass eine komplette Offenlegung gegenüber dem Vertragspartner nicht notwendig wird. Soweit Sachverständige zur Aufbereitung des Streitstoffs notwendig werden, nutzen die Parteien oftmals jeweils einen eigenen Sachverständigen, um ihren Vortrag zu untermauern. Das Schiedsgericht hört diese Sachverständigen dann an, ohne zwingend einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen. Das vermeidet, dass ein/e durch ein Gericht bestellte/r Sachverständige/r nicht hinreichend mit den Spezialfragen bzw. dem zugrunde liegenden Sachverhalt vertraut ist.

Möglich sind in Schiedsvereinbarungen auch Abreden zum einstweiligen Rechtsschutz. Eine Schiedsvereinbarung schließt indes nicht aus, vor oder nach Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens eine vorläufige oder sichernde Maßnahme durch ein staatliches Gericht zu beantragen.

Zeit- und Kostenersparnis sowie Vertraulichkeit

Zeit und Kosten können (neben dem Wegfall von Übersetzerkosten) auch dadurch gespart werden, dass Schiedsverfahren in einer Instanz erledigt werden, ohne dass es Möglichkeiten der Berufung und Revision gibt.

Schiedsverfahren sind darüber hinaus nicht öffentlich. Parteien und Schiedsrichter sind meist an strikte Vertraulichkeitsregeln gebunden. Dadurch können Betriebsgeheimnisse und sensible Informationen vor der Öffentlichkeit, den Medien und/oder Konkurrenten geschützt werden.

Internationale Vollstreckbarkeit

Schließlich sind Schiedssprüche in Deutschland und im Ausland vollstreckbar. Auf Grundlage des UN New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 ist die Vollstreckung von Schiedssprüchen in vielen Ländern leichter als die Vollstreckung von Urteilen staatlicher Gerichte. Schiedsklauseln sind daher insbesondere in internationalen Verträgen fast unumgänglich.

Im Bereich der Investmentschiedsgerichtsbarkeit dürfte es auch für Unternehmen der IT-Branche zunehmend bedeutsam sein, sich der Schutzmechanismen von Investitionsschutzabkommen bewusst zu sein, da dieser Sektor einer zunehmenden Regulierung (u.a. im Bereich Datenschutz, Kartellrecht, Cyber Security, Telekommunikation) unterliegt und Investitionen im Ausland damit potentiell staatlichen Eingriffen ausgesetzt sein können.

Fazit

Unternehmen in der IT-Branche tun gut daran, sich mit den Vorteilen der Schiedsgerichtsbarkeit zu befassen. In internationalen Verträgen sind Schiedsklauseln in der Regel gut durchsetzbar und wegen der Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen eine gute Wahl. Im nationalen Kontext sind Schiedsklauseln evtl. gepaart mit einer Schlichtungsklausel eine gute alternative Streitbeilegungsmethode, um den technischen und rechtlichen Besonderheiten umfassend und „userfriendly“ gerecht zu werden.