Wirtschaft als Teil der Lösung globaler Herausforderungen  

Urs Ruth kann zum Klimawandel vieles sagen. Als Chief Expert Energy and Climate Change bei Bosch hat er an Klimakonferenzen teilgenommen, darunter an der wegweisenden „COP 21“ in Paris. Er kann aber auch über einen Klimawandel anderer Art berichten: Die Atmosphäre für Wirtschaftsvertreter wie ihn hat sich auf dem politischen Parkett in den letzten Jahren verbessert.

Auch dieser Klimawandel ist menschengemacht. „Die Zielsetzungen der Wirtschaftsvertreter ändern sich gerade“, sagt Ruth. „Sie wollen zunehmend zeigen, dass sie hinter den Klimazielen stehen und darin Geschäftspotenziale sehen.“ Immer mehr Unternehmer sehen sich demnach als Partner der Politik, nicht als Gegner. Auch Politiker haben ihre Einstellung überdacht. „Sie selbst können nur Regeln setzen, aber nichts in der materiellen Welt umsetzen. Das muss die Wirtschaft leisten“, begründet Ruth den gemeinsamen Ansatz, wie er vermehrt zu beobachten ist.

Der Klimaschutz ist nur eine der internationalen Großbaustellen, auf denen sich Politik, Gesellschaft und Wirtschaft an Problemlösungen versuchen. Welthandelsbarrieren, Korruptionsbekämpfung, Nachhaltigkeit, Steuerhinterziehung: Jeweils werden Unternehmen verstärkt als Teil der Lösung betrachtet und eingebunden. Ihre Vertreter nutzen eine Plattform, um sich länderübergreifend Einblick und Gehör zu verschaffen: die International Chamber of Commerce (ICC).

Weltweite Wurzeln in der Wirtschaft

Andrew Wilson

Vereinte Nationen, G20, OECD: Wo immer die Politik internationale Gremien geschaffen hat, sucht sie sich auch Ansprechpartner in der Wirtschaft. Dabei ist auch die ICC gefragt. Die WTO beispielsweise bittet ICC-Vertreter bei Fachfragen um den „Reality Check“ und will von ihnen „die globale Perspektive der Geschäftswelt kennenlernen“, sagt WTO-Sprecher Bernard Kuiten. Für diese Funktion qualifiziert die Kammer-Organisation mit Sitz in Paris die Zahl ihrer direkten und indirekten Mitglieder, die mehr als 45 Millionen Unternehmen mit rund einer Milliarde Beschäftigten umfasst.

Diese breite Verankerung ist neben der langjährigen Zusammenarbeit der Grund, warum die Vereinten Nationen der ICC Ende 2016 den UN-Beobachterstatus zuerkannt haben – als einziger Wirtschaftsorganisation. „Die ICC repräsentiert die reale Wirtschaft, bestehend aus dem formellen und informellen Sektor, großen und kleinen Unternehmen, in jeder Branche, in jedem Land“, begründet Andrew Wilson den exponierten Status. Als Ständiger Beobachter bei den Vereinten Nationen leitet er das globale ICC-Team für Politik und externe Angelegenheiten mit mehr als 40 Mitarbeitern in New York, Genf, Brüssel, Singapur und Paris. Die Erwartung an die ICC ist praktischer Natur: „Oft werden wir gebeten, Einblicke in die Realwirtschaft zu geben oder die Mitgliedstaaten zu informieren, wie sie den Privatsektor am besten in die Umsetzung ihrer Verpflichtungen einbinden können.“ Diese Verpflichtungen sind internationale Verträge vieler Art.

Klimaschutz mitgestalten

Dr. Urs Ruth

Bei den UN-Klimakonferenzen spielt die ICC eine besondere Rolle. Als „Focal Point“ fungiert sie als Bindeglied zur Wirtschaftswelt. Mitglieder der ICC-Kommission Umwelt und Energie wie Urs Ruth werden in „Briefings & Hearings“ über den Stand der Verhandlungen informiert oder um Stellungnahmen gebeten. „Die Teilnahme ist für Bosch als Unternehmen und für die Business Community insgesamt sehr wertvoll“, urteilt Ruth. Durch den unmittelbaren Eindruck bei der COP 21 in Paris im Jahr 2015 „haben wir schneller begriffen, was auf uns zukommt.“ Direkt im Anschluss verfasste er für ICC Germany eine Zusammenfassung der Beschlüsse als „Klartext in Laiensprache“. Aus dem Ziel „Klimaneutralität in der 2. Hälfte des Jahrhunderts“ leitete er konkret ab, was das heißt: „Schon 2050 soll die Welt CO2-neutral sein.“ Das ist keine Wortklauberei. „Auch für Bosch hat das unmittelbare Folgen“, sagt Ruth. Dies zeigt sich beispielsweise besonders deutlich beim Wandel der Mobilitätsbranche vom Verbrennungsmotor zur Elektromobilität. Um möglichst viele Beschäftigte bei diesem Wandel mitzunehmen, braucht es laut Bosch einen gleitenden Übergang. Dabei können und müssen alle Antriebsalternativen dazu beitragen, ehrgeizige Klimaziele zu erreichen. Mit der Klimaneutralstellung seiner weltweit 400 Standorte leistet Bosch zu den Zielen bereits einen Beitrag und hinterlässt nach internen Berechnungen seit 2020 als erstes globales Industrieunternehmen weltweit keinen CO2-Fußabdruck mehr. Bis 2030 hat Bosch zudem das Ziel, die gesamte Wertschöpfungskette möglichst klimaneutral zu gestalten und damit verbundene Emissionen sowie die Emissionen in der Nutzungsphase der Produkte um 15 Prozent zu senken.

Gegen Korruption aktiv werden

Sabine Zindera

In der Korruptionsbekämpfung engagiert sich die Siemens AG mit Sabine Zindera auch für die ICC. Stand das Unternehmen ursprünglich selbst einmal im Fokus staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, wurde der Konzern, vor zehn Jahren Vorreiter im Kampf gegen Korruption. Unter dem Motto „Collective Action“ sucht Zindera weltweit Verbündete. „Wir bauen Allianzen und Kooperationen, weil einer allein es nicht schafft“, sagt Zindera, Vice President Legal and Compliance und Leiterin der Abteilung Collective Action & External Affairs. Das Engagement nutze nicht nur Siemens: „Ein fairer Markt hilft uns allen.“

Diesem Ziel widmet sie sich auch in der sogenannten „B20“. Als „Business20“ arbeiten Firmenvertreter der G20 zu dem politischen Zirkel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Zindera nimmt für die Siemens AG und in Verbindung mit der ICC-Kommission Corporate Responsibility & Anti-Korruption seit vielen Jahren an den Beratungen teil. Rund 120 Vertreter der globalen Wirtschaft entwickeln dabei Vorschläge an die Politik zur Korruptionsbekämpfung. Die Empfehlungen der Taskforce landen im Recommendation Booklet oder „Empfehlungsbuch“, wie Zindera es nennt. Im Jahr 2020 enthält es eine Vielzahl an Vorschlägen etwa zur transparenten Auftragsvergabe oder zur Ermittlung der Hintermänner von Briefkastenfirmen. Die Umsetzung ist den Ländern überlassen. So sehr Zindera Wert legt auf exakte Formulierungen im Schlussdokument, so sehr weiß die Siemens-Managerin auch: „Papier setzt sich nicht selbst um.“ Korruptionsbekämpfung brauche umsichtige und tatkräftige Leute. Deren Netzwerk bilde sich aus persönlichen Beziehungen. „Darum sind Plattformen wie die ICC enorm wichtig“, sagt Zindera.

Nachhaltigen Worten Taten folgen lassen

Thorsten Pinkepank

Die Vereinten Nationen haben weitreichende Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs). An der Ausarbeitung dieser 17 Ziele, die bis 2030 umgesetzt werden sollen, haben auch Unternehmen mitgewirkt. Koordiniert hat diese Mitarbeit die ICC, die sich mit dem SDG Business Forum auch bei der Umsetzung der Ziele engagiert. Auf so eine internationale Bühne zu treten, fällt großen Unternehmen leichter als kleineren. Doch gerade für die sei es sinnvoll, sich Netzwerken wie der ICC oder dem Deutschen Global Compact Netzwerk anzuschließen, sagt Thorsten Pinkepank, Director Sustainability Relations bei BASF: „Sie können ihre Sichtweise einbringen, ohne eigene Ressourcen aufbauen zu müssen.“

Neben Netzwerken, die sich der Nachhaltigkeit in breiter Form annehmen, gibt es zunehmend solche, die sich auf eine Facette konzentrieren. So streben Firmen etwa in der Value Balancing Alliance nach einer Bilanzierungsmethode, die Nachhaltigkeit als Steuerungsgröße praxistauglich verankert. Pinkepank betrachtet die thematische Ausdifferenzierung als Zeichen höherer Reife: „Nachhaltigkeitsmanagement kommt immer mehr in der Breite der Unternehmenslandschaft an.“

Für den höheren Reifegrad spricht auch, dass Manager den Vorwurf „Greenwashing“ oder „Bluewashing“ (bei UN-Beteiligung) inzwischen seltener zu hören bekommen. Bei der Imagepflege trennt sich laut Pinkepank nämlich inzwischen die Spreu vom Weizen: „Die Gesellschaft und die Beteiligten lernen zunehmend besser, ernst gemeinte von aufgesetzten Initiativen zu unterscheiden.“ Indem die Luft für Greenwashing dünner wird, stoßen seriöse Firmenengagements auf positive Resonanz. „Das ist ein guter Trend einer lernenden Gesellschaft.“

Sicht der Unternehmen bei der Regulierung einbringen

Dr. Christian Kaeser

Die ICC wäre keine globale Wirtschaftsorganisation, wenn im Zentrum ihrer Aktivitäten nicht der regelbasierte globale Handel stehen würde. Dazu gehört der Abbau von Handelshindernissen im Großen wie im Kleinen. „Jedes Unternehmen, das grenzüberschreitend aktiv ist, hat ähnliche Probleme“, sagt Christian Kaeser, Global Head of Taxes bei Siemens. Als Vorsitzender der ICC Steuer-Commission ist er an Debatten über Steuerfragen beteiligt, aktuell an der OECD-Initiative gegen Base Erosion and Profit Shifting (BEPS). Sie soll der aggressiven Steuergestaltung internationaler und digitaler Konzerne Grenzen setzen. Aus Wirtschaftssicht können Doppelbesteuerungen und Überschneidungen bestehender Steuerregeln nur durch international abgestimmte Steuerregeln vermieden werden. Kommt es zu Streitigkeiten, könnten diese – so der Vorschlag der ICC – über einen Streitschlichtungsmechanismus beigelegt werden.

Handelsbarrieren abbauen

Bernard Kuiten

Neben solchen ambitionierten Projekten kümmert sich die ICC auch um administrative Hürden, die in der Praxis den Ablauf des Export- und Importgeschäfts stören. Das Abkommen über Handelserleichterungen (TFA), das praktische Fracht- und Zollfragen regelt, ist einer der selten gewordenen Erfolge der Welthandelsorganisation. Bernard Kuiten, Head of External Relations der WTO, führt den Abschluss 2013 auch auf eine damalige Kampagne der ICC zurück. „Sie konnte die politischen Entscheidungsträger überzeugen, dass es von Vorteil für alle ist, wenn Güter an Grenzen schneller abgefertigt werden.“ Vor allem KMU profitieren von den Maßnahmen zur Erleichterung des Handels, da für diese Unternehmen solche Kosten unverhältnismäßig hoch sein können. Die ICC ist zudem einer der Initiatoren der „Global Alliance on Trade Facilitation“, die derzeit weltweit Projekte zur Umsetzung des TFA, das 2017 in Kraft getreten ist, entwickelt und durchführt. „Wir schauen, wo in Schwellen- und Entwicklungsländern noch Probleme bestehen und arbeiten dort an Lösungen mit Regierungsvertretern und Mitgliedsunternehmen. Global tätige Unternehmen, die ihre Expertise einbringen wollen, sind immer willkommen“, sagt Valérie Picard, die die Initiative bei der ICC leitet.

Am WTO-Sitz Genf ist die ICC eine wichtige Stimme. Die WTO – einst exponiertes Feindbild von Globalisierungsgegnern – bemüht sich seit Längerem, viele Interessengruppen einzubinden, etwa im jährlichen „Public Forum“. Hier sitzen Unternehmer anderen Stakeholdern, etwa Umweltschützern, gegenüber. „Es gibt viel mehr Diskussionen und Offenheit als früher“, sagt Kuiten. Nachdem die ICC ihre Vertretung in Genf wiedereröffnet hat, beteiligt sie sich stärker an den Debatten, die in den internationalen Organisationen dieser Stadt geführt werden. Wie groß die Nachfrage nach einer ICC-Vertretung ist, beschreibt Crispin Conroy, der die Aufgabe 2018 übernommen hat: „Der regelmäßige Austausch mit einer globalen Wirtschaftsorganisation, die die reale Wirtschaft repräsentiert, wird von den multilateralen Organisationen außerordentlich begrüßt.“ Auch dieses Willkommen folgt aus konstruktivem Kalkül. „Heute wollen alle den Privatsektor zum Teil der Lösung machen“, sagt Kuiten. „Selbst bei Themen, wo er Teil des Problems ist.“