Inhalt
- 1. Welche Rolle spielen die Incoterms® in Ihrer Arbeit, und welche Erfahrungen haben Sie in den letzten fünf Jahren gemacht?
- 2. Haben sich die Incoterms® 2020 in Zeiten von Pandemie, gestörten Lieferketten, Inflation und internationalen Konflikten als Standard für Lieferbedingungen bewährt?
- 3. Zeigen sich durch die Incoterms® 2030 bereits neue Trends oder Herausforderungen? Wo besteht Anpassungsbedarf?
Aus diesem Anlass werfen wir einen Blick zurück auf fünf Jahre, die für den internationalen Handel sehr herausfordernd waren. Wie sind FCA, DPU und Co. in dieser Zeit bei den Unternehmen angekommen, welche Herausforderungen haben sich in der täglichen Praxis ergeben? Und welche Anforderungen zeichnen sich bereits jetzt für die nächste Version – die Incoterms® 2030 – ab?
Welche Rolle spielen die Incoterms® in Ihrer täglichen Arbeit? Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten fünf Jahren mit der Anwendung der Regeln in Bezug auf Klarheit, Praktikabilität und Effektivität gemacht? Auf welche Herausforderungen sind Sie dabei vielleicht gestoßen?
„Dr. von Burgsdorff: Die richtige Anwendung der Incoterms® gehört zu den Grundlagen bei der Beratung nationaler und internationaler Warenkaufverträge. Insbesondere wenn mindestens eine der Vertragsparteien ihren Sitz in Europa hat, greifen die Vertragspartner sehr häufig auf die Incoterms® zurück. In der Praxis fällt allerdings auf, dass die Incoterms® häufig nur am Rande zwischen den Parteien im Detail verhandelt werden und den Parteien sowie auch deren Beratern der Regelungsgehalt der Klauseln regelmäßig nicht umfassend bewusst ist. Häufig hören wir Phrasen wie „das machen wir immer so“, „das regeln wir sowieso im Vertrag“, „die anderen Klauseln kenne ich nicht“ oder „wir nehmen die Klausel der Gegenseite, da es uns egal ist“, mit denen die mangelnde Auseinandersetzung mit den Incoterms® häufig gerechtfertigt wird.
Dr. Burkert: Diese Defizite bei der Anwendung der Incoterms® reduzieren deren Effektivität zwar. Trotzdem sind die Incoterms®-Regeln bei richtiger Anwendung klar und effektiv. Die praktischen Herausforderungen ergeben sich im wesentlichen aus der Unkenntnis der Beteiligten, insbesondere betreffend die eindeutige Vereinbarung der gewünschten Klausel, die richtige Formulierung von Abweichungen und die Auswahl der passenden Incoterms®-Klausel.
Das lässt sich im Übrigen auch ganz einfach an konkreten Anwendungsbeispielen demonstrieren: Zum Beispiel wird die Klausel EXW häufig unüberlegt auch im Rahmen grenzüberschreitender Geschäfte genutzt, obwohl diese in vielen Fällen nicht geeignet ist. Die Verwendung einer unpassenden Klausel kann für die Vertragsparteien zu unnötigen Risiken führen, insbesondere wenn der Vertrag widersprechende Bestimmungen enthalten sind oder die Vertragspartner den Vertrag abweichend von der vereinbarten Klausel durchführen. Schlimmstenfalls kommt es zu einer unbeabsichtigten Verschiebung der Pflichten und Verantwortlichkeiten. Sollte die Klausel weiterhin Teil der Incoterms® 2030 sein, sollte deutlicher werden, dass die Vereinbarung von EXW im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr nicht ratsam ist. Ein entsprechender Hinweis würde sich auch bei der Klausel DDP anbieten.
Ein weiterer Aspekt, der die Parteien insbesondere bei der Auswahl und Anwendung der Incoterms® 2020 vor Herausforderungen stellt, ist das Auseinanderfallen der Versicherungsanforderungen der Klauseln CIP und CIF. Deutsche Unternehmen sehen sich bei der Prüfung des geschuldeten Versicherungsumfangs ohnehin häufig vor einer Herausforderung. Die nun voneinander abweichenden Anforderungen verunsichern Unternehmen zusätzlich bei der Wahl der passenden Klausel.
Dr. von Burgsdorff: Ein weiteres Beispiel aus der Praxis ist der Umgang mit der grundsätzlich für Verkäufer attraktiven Klausel DPU. Es fällt auf, dass den Vertragsparteien diese Klausel häufig nicht bekannt ist. Unser Incoterms® 2020 Digital Guide zeigt, dass bei über 1.600 Empfehlungen der Klausel DPU nur 56 Anwender (also nur etwa 3%) diese Klausel gewählt hätten; die Diskrepanz ist damit erheblich größer als bei allen anderen Klauseln.
Schließlich ist auch zu erwähnen, dass in der Praxis der Gefahrübergang eine ganz wesentliche Erwägung zwischen den Vertragspartnern ist. Nach unserer Erfahrung kommt es hier häufig bei den Klauseln für den Schiffstransport im Nachhinein zu Streitigkeiten, da entweder die relevanten Orte nicht richtig angegeben werden oder es zu Komplikationen mit den Spediteuren oder Terminalbetreibern kommt.“
Die Incoterms® 2020 sind in einer Zeit in Kraft getreten, in der internationaler Handel bereits durch Pandemie und gestörte Lieferketten unter Druck stand. Hinzukamen steigende Kosten/ Inflation und zunehmende internationale Konflikte. Hat sich in dieser Zeit die Standardisierung der Lieferbedingungen mit Hilfe der Incoterms® bewährt?
„Dr. Burkert: Nach unserer Erfahrung hatte die Pandemie und die Störung der Lieferketten kaum Einfluss auf die Wahl oder Nutzung der Incoterms®. Zwar sind einige Unternehmen problembewusster geworden und haben sich mit den verwendeten Lieferbedingungen auseinandergesetzt. Ein Großteil der Unternehmen hat den Fokus allerdings auf die Vereinbarung umfassender Force-Majeure-Klauseln gelegt und die Vereinbarung der Lieferbedingungen in der Praxis im Übrigen kaum verändert. Für die Lösung pandemiebedingter oder lieferbedingter Streitigkeiten sind rein rechtlich die vereinbarten Lieferbedingungen und damit auch die Incoterms® zwar von großer Relevanz. Praktisch werden diese Streitigkeiten allerdings in vielen Fällen einvernehmlich gelöst, sodass eine rechtliche Detailbetrachtung oftmals nicht erforderlich war.
Dr. von Burgsdorff: Bezüglich der derzeitigen Inflationslage und Kostenrisiken fällt auf, dass die Verteilung der Transportkosten in der Praxis an Bedeutung gewonnen hat. Dies jedoch eher dergestalt, dass der Käufer sich bewusst sein muss, dass vom Verkäufer kalkulierte Transportkosten je nach vereinbarter Incoterms®-Klausel erheblich schwanken können. Bei langfristigen Verträgen sind zunehmend sogenannte „cost plus fee“-Vereinbarungen für die Transportkosten festzustellen.“
Ein Blick auf die Incoterms® 2030: Lassen sich aus der praktischen Anwendung schon jetzt neue Trends, Handelspraktiken oder auch Herausforderungen ableiten? Wenn ja, welche? Wo muss gegebenenfalls nachgeschärft werden?
„Dr. von Burgsdorff: Unseres Erachtens ist weiterhin die korrekte Anwendung der Incoterms®-Regeln die größte Herausforderung in der Praxis. Hier sollte bereits aus den Regelungen selbst deutlich hervorgehen, wenn diese nur im Einzelfall geeignet sind, z.B. EXW und DDP. Das Bewusstsein der Vertragspartner, wie die Incoterms® 2020 richtig anzuwenden sind und was die Wahl einer Incoterms-Klausel umfasst, sollte noch weiter gestärkt werden.
Dr. Burkert: Das sehe ich genauso. Darüber hinaus sollten wir bei der nächsten Iteration der Incoterms®-Regeln und insbesondere auch der Anwendungshinweise das Ziel haben, die Aspekte zu vereinfachen, die in der Anwendungspraxis zu Unsicherheit bei den Vertragspartnern führen. Beispielhaft würden wir hier etwa die Versicherungsanforderungen der Klauseln CIP und CIF anführen, die gleichlaufen sollten. Aber auch die Regelungen zur Gefahrtragung, insbesondere bei den Klauseln für den Schiffstransport und nicht grundsätzlich für den Containertransport geeigneten Klauseln, sollten wir noch einmal hinsichtlich der Verwendung in der Praxis kritisch betrachten. Das wohl wesentlichste Thema sehen wir aber bei der Verwendung der Klauseln EXW und DDP.
Dr. von Burgsdorff: In der Tat. Insbesondere die aus dem Incoterms® 2020 Digital Guide gewonnenen Erkenntnisse zeigen eindrucksvoll, dass Vertragsparteien diese Klauseln in der Praxis häufig verwenden, obwohl diese in dem konkreten Fall ungeeignet sind. Hier sollten wir unbedingt in der Working Group erörtern, ob diese Klauseln noch zeitgemäß sind.“.