Welche Auswirkungen hat die Insolvenz einer Partei auf ein Schiedsverfahren?
Internationale Schiedsverfahren und Insolvenz stehen in einem Spannungsverhältnis. Das Insolvenzrecht folgt u. a. dem Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, sieht ein strenges Verfahren vor und steht unter der Aufsicht staatlicher Gerichte. Mit der Vereinbarung eines Schiedsverfahrens wollen sich die Parteien dagegen von der staatlichen Gerichtsbarkeit weitgehend lösen und ihre Streitigkeit autonom, flexibel und häufig vertraulich beilegen. Die unterschiedlichen Ansätze beider Systeme passen nicht immer zusammen.
Verschärftes Spannungsfeld: Internationale Schiedsverfahren und Insolvenz
Aufgrund der COVID-19-Pandemie wird das Spannungsverhältnis wohl in doppelter Hinsicht besonders relevant. Zum einen prophezeit etwa Euler Hermes für 2020 und 2021 einen kumulierten Anstieg der weltweiten Insolvenzen um insgesamt 35 Prozent. In Deutschland und einigen anderen europäischen Staaten wird erwartet, dass sich der Anstieg wegen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch das COVID-19 Insolvenzaussetzungsgesetz erst zeitverzögert zeigt. Trotzdem hat es in Deutschland im ersten Halbjahr 2020 bereits eine Häufung von Großinsolvenzen etwa in der Automobil- und Metallindustrie gegeben. Andere Länder wie die USA befinden sich bereits jetzt mitten in einer massiven Pleitewelle (erwarteter Anstieg in 2020 um 47 Prozent).
Zum anderen ist absehbar, dass die finanzielle Schieflage vieler Unternehmen und die sonstigen Beeinträchtigungen des Wirtschaftslebens, wie etwa die Unterbrechung von Lieferketten, zu einem Anstieg von wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten führen werden. Bereits für 2019, und somit noch vor der Pandemie, hat die ICC eine Rekordzahl von 869 neuen Schiedsverfahren registriert.
Überschaubare Auswirkungen bei rein inländischen Schiedsverfahren
Bei rein inländischen Schiedsverfahren mit deutschen Parteien und einem Schiedsort in Deutschland sind die prozessualen Auswirkungen der Insolvenz einer Partei noch überschaubar. Zwar enthalten weder die Insolvenzordnung (InsO) noch die Schiedsverfahrensregeln in der Zivilprozessordnung (§§ 1025 ff. ZPO) oder in den Schiedsordnungen der ICC und anderer Institutionen spezifische Regeln hierzu, dennoch entsprechen die Auswirkungen auf ein Schiedsverfahren weitgehend den Auswirkungen einer Insolvenz auf ein staatliches Gerichtsverfahren.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht nach § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den Insolvenzverwalter über, womit auch die Prozessführungsbefugnis nur noch dem Insolvenzverwalter zusteht. Der Insolvenzverwalter bleibt aber grundsätzlich an eine existierende Schiedsvereinbarung sowohl in Aktiv- als auch in Passivprozessen gebunden und kann sich nur ausnahmsweise etwa mangels Masse auf die Undurchführbarkeit der Schiedsvereinbarung wegen Mittelosigkeit berufen (§ 1032 Abs. 1 ZPO). Eine Bindung des Insolvenzverwalters an eine Schiedsvereinbarung wird außerdem bei insolvenzspezifischen Rechten des Insolvenzverwalters abgelehnt, wie etwa dem Rückgewähranspruch nach insolvenzrechtlicher Anfechtung (§ 143 Abs. 1 InsO), der Einrede der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit (§ 146 Abs. 2 InsO) oder dem Wahlrecht bei gegenseitigen Verträgen nach § 103 InsO.
Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens während eines laufenden Schiedsverfahrens übernimmt der Insolvenzverwalter die Verfahrensführung in dem zu diesem Zeitpunkt erreichten Stadium und bleibt an zurückliegende Verfahrensschritte gebunden. Anders als im staatlichen Verfahren kommt es aber nicht zu einer automatischen Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 ZPO. Das Schiedsgericht muss dem Insolvenzverwalter dennoch rechtliches Gehör gewähren und kann deshalb das Verfahren regelmäßig nicht ohne weiteres fortsetzen. In einem Passivprozess muss der Gläubiger wie im staatlichen Gerichtsverfahren seine Forderung zunächst zur Tabelle anmelden und im Fall des Bestreitens seinen Leistungsantrag auf einen Feststellungsantrag umstellen.
Internationale Sachverhalte bergen Überraschungspotential
In internationalen Schiedsverfahren, wenn etwa die Parteien in unterschiedlichen Ländern ansässig sind und der Schiedsort in einem dritten Land liegt, ist die Beurteilung der Auswirkungen einer Insolvenz auf das Schiedsverfahren deutlich komplexer. Solche Konstellationen bergen erhebliches Überraschungspotential, wie frühere Entscheidungen des englischen Court of Appeal und des schweizerischen Bundesgerichts in der Streitigkeit Vivendi ./. Elektrim beispielhaft zeigen. Dort hatte das Bundesgericht die Fortführung eines Schiedsverfahrens mit Schiedsort in der Schweiz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine polnische Partei mit Verweis auf eine schiedsfeindliche Bestimmung im polnischen Insolvenzrecht abgelehnt, während der Court of Appeal in einem Parallelverfahren mit Schiedsort in England hinsichtlich derselben Partei die polnische Bestimmung nicht für anwendbar hielt.
Auch wenn Polen sein Insolvenzrecht zwischenzeitlich schiedsfreundlicher ausgestaltet hat, weisen die nationalen Insolvenzrechte selbst innerhalb Europas weiterhin erhebliche Unterschiede auf und die Einleitung oder Fortführung eines Schiedsverfahrens nach Insolvenz einer Partei kann im Einzelfall sehr problematisch sein (z.B. in Bulgarien oder Portugal). Wenn das Schiedsgericht zwingende insolvenzrechtliche Regeln nicht beachtet, droht die Aufhebbarkeit des Schiedsspruchs.
Hinsichtlich der Frage, welches nationale Recht jeweils Anwendung findet, bietet innerhalb der EU (mit Ausnahme Dänemarks) die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) gewisse Leitlinien. Danach ist für die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auch hinsichtlich der Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger grundsätzlich das Recht des Landes anwendbar, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Art. 7 EuInsVO). Soweit ein Schiedsverfahren bereits anhängig ist, bestimmen sich die Auswirkungen allerdings nach dem Recht des Landes, in welchem der Schiedsort liegt (Art. 18 EuInsVO).
Fazit: Internationale Schiedsverfahren und Insolvenz
Die Insolvenz einer Partei kann gerade in internationalen Konstellationen erhebliche Auswirkungen auf ein beginnendes oder laufendes Schiedsverfahren haben. In solchen Konstellationen ist genau zu prüfen, welches nationale Recht auf die jeweilige Frage Anwendung findet und welche Wirkungen das nationale Recht vorschreibt. Mit der Wahl eines günstigen Schiedsortes können die Parteien die Auswirkungen auf das Schiedsverfahren unter Umständen beeinflussen.
Der Beitrag zum Thema „Internationale Schiedsverfahren und Insolvenz“ ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 11, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.
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