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Florian Witt

ist Head of International Banking und Corporate Banking, ODDO BHF. Er leitet das International Banking und Corporate Banking von ODDO BHF. Das Geschäftsfeld umfasst Handels- und Exportfinanzierungen, das Korrespondenzbankgeschäft, das zeitgemäße Firmenkundengeschäft mit Transformationsfinanzierungen sowie ausgewählte Kapitalmarktaktivitäten, wie z.B. den weltweiten Währungshandel. Zudem ist Florian Witt Vice-President der ICC Banking Commission und Mitglied des Aufsichtsrats der AKA European Export und Trade Bank.

Eine wichtige Rolle im Hinblick auf internationale Lieferketten spielt das Thema Finanzierung. McKinsey schätzt den weltweiten Markt in einer Studie aus 2020 auf über 7 Billionen USD jährliches Volumen, davon die Hälfte in der klassischen dokumentären Außenhandelsfinanzierung.  Bis 2025 wird von einem weiteren Wachstum von 50% ausgegangen. Für Banken und weitere Finanzdienstleister, dabei zunehmend auch FinTechs, ist Supply Chain Finance im Firmenkundengeschäft ein zentraler und für die Kunden enorm wichtiger Baustein. Gleichwohl zeigte sich beim internationalen Workshop von ICC Germany, dass das Thema in vielen Teilen der Welt bereits eine wesentlich größere Rolle spielt als in Deutschland.

Konsolidierung der Definitionen und damit einhergehende Entwicklung von Standards

Bei der Definition von SCF sind insbesondere seit 2016 wichtige Fortschritte erzielt worden. Insbesondere das Global Supply Chain Finance Forum (GSCFF), ein Zusammenschluss mehrerer Organisationen, wie z.B. der ICC, haben im Rahmen eines integrierten Stakeholder-Prozesses sowohl allgemeine Definitionen gefunden als auch die verschiedenen Einzellösungen kategorisiert und integriert.  Das Lösungsspektrum bleibt weit und geht vom Factoring und Akkreditiv in seinen verschiedenen Ausformungen bis hin zum Corporate Payment Undertaking (CPU) oder der vor einigen Jahren neu entwickelten Bank Payment Obligation (BPO). Christian Hausherr, Chairman des GSCFF, verdeutlichte im Workshop „Supply Chain Finance“ die Wichtigkeit einer klaren Abgrenzung zu anderen Formen der Unternehmensfinanzierung, gerade im Hinblick auf dadurch entstehende Verbesserungen bei der Standardsetzung und sowie der Möglichkeit, einen effektiveren regulatorischen Dialog mit internationalen und  nationalen Behörden führen zu können. Die Berücksichtigung bereits erfolgreicher Definitionen und Standards, wie z.B. die ERA 600 oder die INCOTERMS, sind sinnvoll.

Fortschreitende Berücksichtigung der Digitalisierung

Bei einer kundenorientierten Weiterentwicklung muss das Thema Digitalisierung eine herausragende Rolle spielen. Daten und Authentifizierung spielen eine zentrale Rolle im Digitalisierungsprozess. Beim Datenmanagement ist davon auszugehen, dass die fortschreitende Digitalisierung unternehmerischer Produktions- und Logistikprozesse enorme Auswirkungen auf die Supply Chain Finance haben wird: Ein digitaler Bestellprozess von Rohwaren sollte nicht unterbrochen werden durch papierhafte Abwicklung der dafür notwendigen Liquidität. Hier dürfen Unternehmen erwarten, dass ein digitaler ‚Datenfeed‘ aus der Bestellung und dem sich daran anschließenden Logistikprozess zunehmend in eine ebenso digital ausgelöste Ausführung der Liquiditätsbeschaffung integriert. Im Fokus steht dabei derzeit die Distributed-Ledger-Technologie (‚DLT‘), besser bekannt als ‚Blockchain‘. Fortschritte sind in letzterer Technologie noch überschaubar, dabei spielt auch eine Rolle, dass zu spät die Notwendigkeit erkannt wurde, auf bestehende Standards, wie den o.g. ERAs, aufzubauen. Stattdessen sind gruppenspezifische Einzellösungen mit eigenen ‚Rulebooks‘ entstanden. Die Digital Standard Initiative der ICC, so Hannah Nguyen, will dies ändern. Zudem werden gleichzeitig andere Ideen weiterentwickelt: So kann die Zusammenarbeit zwischen Logistikern und Banken bereits spürbare Verbesserungen für Unternehmen zeigen, wie eine Kooperation von BuyCo und ODDO BHF zeigt: Ca. 80% der Daten für die Eröffnung eines Akkreditivs sind bereits im Logistikprozess angelegt. Bislang laufen die Prozesse für die Logistik und die Finanzierung eines Exports jedoch getrennt voneinander ab. Ein Datentransfer von der Logistik zur Finanzierung kann deshalb für viele Fälle bereits zu enormen Abwicklungssynergien führen.

Letztlich sind Daten auch in der Kommunikation zwischen Banken und Regulatoren wichtig: Das „ICC Trade Register“ hat dabei durch Konsolidierung von Ausfalldaten in der Außenhandelsfinanzierung wichtige Pionierarbeit übernommen und sollte in Zukunft eine noch größere Rolle im Design globaler bankenaufsichtlicher Regeln in der Supply Chain Finance spielen. Noch klafft nämlich eine große Lücke bezüglich aufsichtlicher Risikowahrnehmung und tatsächlicher Schäden in der Finanzwirtschaft im Bereich der Supply Chain Finance. Bei der Authentifizierung bedarf es eines guten Verständnisses und einer Aufgeschlossenheit insbesondere auf Seiten der Behörden. Das beginnt z.B. mit digitalen Zolldokumenten. Hier kann man davon ausgehen, dass insbesondere gewisse Handelskorridore, z.B. innerhalb eines Wirtschaftsraums wie der EU oder zwischen zwei digital-affinen Märkten wie Singapur und Hongkong, zügige Fortschritte machen werden. Eine Standardisierung und nicht zuletzt entsprechende Investitionen in Cybersecurity durch die finanzierenden Banken und andere Finanzdienstleister sind wichtig, um das Vertrauen in die digitalen Lösungen zu stärken.

Verstärkende Politisierung auf vielen Dimensionen

Globalisierung und Handel schaffen unbestritten Wohlstand. Gleichwohl wird der Wohlstand weltweit als auch innerhalb der Wirtschaftsräume nicht optimal verteilt, zudem entstehen massive Auswirkungen auf die Umwelt oder die Arbeitnehmerrechte, wie wissenschaftliche Studien zeigen. Dies ist der Hintergrund für die zunehmende Regulierung in Europa im Bereich ESG, Lieferkette, Klimagesetzgebung oder Sustainable Finance. Wie und wo kann SCF diese Themen adressieren? Natürlich kann eine politische Privilegierung von klimaneutralen Produktions- und Logistikprozessen die Finanzierung und die damit einhergehende Liquiditätsbereitstellung durch Banken und FinTechs vielfältig begünstigen. Auch kann eine digitale Weiterentwicklung der SCF enorme Erleichterungen bei der Nachvollziehbarkeit von Transaktionen mit Wirtschaftssanktions- oder Kriminalitätsbezug wie Korruptionsbekämpfung haben. Banken müssen zudem in der Lage sein, stärker werdende Handelskorridore, z.B. Europa-Afrika, mit zu entwickeln.

Fazit Supply Chain Finance

Supply Chain Finance steht nicht nur im Zentrum der unternehmerischen Produktions- und Logistikprozesse, sondern auch technologischer und globaler gesellschaftlicher Debatten. Umso mehr sollte dem Thema Supply Chain Finance daher die Bühne durch die Stakeholder geschaffen werden, dies es braucht, um seine Rolle zukünftig noch besser wahrnehmen zu können.

Der Beitrag basiert auf einem Workshop zum Thema „Supply Chain Finance“ im Rahmen des ICC Forums zur „Zukunft internationaler Lieferketten. Zur Aufzeichnung des Workshops.