Die Globalisierung kehrt sich nicht um, doch sie verändert sich. Wie genau, das analysiert der neueste ICC Trade Report – und legt den Fokus auf Fragmentierungen. Welche Handelstrends zeigten sich 2022, wie sieht es für dieses Jahr aus, in welchen Bereichen lässt sich eine Zergliederung des Handels bereits beobachten?

Handelstrends 2022

Nach Aufhebung der meisten Corona-Reisebeschränkungen konnte sich der globale Dienstleistungssektor, insbesondere die Tourismus- und Reisebranche, im Jahr 2022 nachhaltig erholen. Der globale Warenhandel verzeichnete zunächst ebenfalls neue Rekordwerte, vor allem die EU konnte Exporte und Importe deutlich steigern. Dieser Trend schwächte sich bereits in der zweiten Jahreshälfte aufgrund des russischen Kriegs gegen die Ukraine wieder deutlich ab. Es kam zu Engpässen und Preissteigerungen, insbesondere in der Stahl-, Automobil- und Softwareindustrie sowie in der Lebensmittel- und Energiebranche. Die Abkopplung Europas von Energielieferungen aus Russland führte zu einem Rückgang der Energieimporte in die EU um 51 %. Zur Kompensation erhöhte Russland seine Energieexporte nach China, Indien und in die Türkei.

Ausblick für 2023

Diese geopolitischen Spannungen, zu denen auch die US-amerikanische Decoupling-Strategie gegenüber China gehört, werden sich laut Trade Report auch in 2023 fortsetzen. Erwartet wird ein geringeres Wirtschaftswachstum, verbunden mit höheren Zinsraten der Zentralbanken zur Bekämpfung der Inflation. Dieser Mix könnte sich negativ auf Auslandsinvestitionen und den internationalen Handel auswirken. Unternehmen werden deshalb aufgefordert, ihre Strategien anzupassen, ihre Lieferketten resilienter zu gestalten, u.a. durch Diversifizierung ihrer Zulieferer, stärkere Regionalisierung und höhere Lagerbestände. Gleichzeitig prognostiziert der Report eine Beschleunigung des grünen Wandels durch zunehmende Investitionen in die Energieeffizienz von Gebäuden, öffentliche Verkehrsmittel und erneuerbare Energien.

Fragmentierungen

Der ICC 2023 Trade Report sieht eine Fragmentierung insbesondere im internationalen Handel, im globalen Schuldendienst, in der digitalen Wirtschaft und in der Abwicklung internationaler Zahlungsprozesse.

Zur Fragmentierung des Handels tragen insbesondere nationale Subventionen, Exportkontrollen und Investitionsbeschränkungen bei. Am Beispiel der Halbleiterindustrie wird deutlich gemacht, wie geopolitische Spannungen grenzübergreifenden Handel erschweren oder verhindern. Besonders alarmierend für Schwellen- und Entwicklungsländer ist, dass zunehmende Fragmentierung auch Umschuldungsverhandlungen betrifft und damit die Bewältigung von Schuldenkrisen massiv erschwert wird. Die Betonung nationaler Sicherheitsinteressen nimmt auch im Technologiebereich weiter zu. Hinzu kommen unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Regeln u.a. beim Datenschutz und Datentransfer. Damit wird u.a. die Interoperabilität digitaler Plattformen zunehmend erschwert. Eine ähnliche Fragmentierung zeigt sich im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. Hier bieten Fintechs oder das sog. Decentralised Finance eigentlich Potential für Beschleunigung und Kostenreduzierung, doch besteht auch hier das Risiko mangelnder Interoperabilität.

Diese Fragmentierungstendenzen werden sich nicht in Luft auflösen. Bei einer zunehmenden Abgrenzung von Märkten stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Geschäftsmodelle und -prozesse fortlaufend anpassen zu müssen. Der Bericht verdeutlicht, dass angesichts dieser Herausforderungen die internationale Zusammenarbeit umso wichtiger wird. Die ICC wird sich weiterhin für eine Harmonisierung von Standards, bei der Digitalisierung und für einen regen Austausch zwischen allen Stakeholdern einsetzen, damit auch künftig die Vorteile der Globalisierung genutzt werden können.

Mehr Info
Ansprechpartner
Dr. Birte Grages

Tel. +49 (0) 30 - 200 7363 20

Birte.Grages@iccgermany.de