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Dr. Paul Hauser, LL.M.

ist als Rechtsanwalt im International Arbitration Team der Sozietät Clifford Chance in Frankfurt a.M. tätig. Er leitet bei Clifford Chance in Deutschland die Gruppe „Enable“, die sich für die Belange von Menschen mit Behinderung einsetzt.

Ca. 16 % der Weltbevölkerung lebt mit Behinderungen.[1] Der Großteil dieser Behinderungen ist unsichtbar und wird vom Umfeld nicht oder kaum wahrgenommen. Konsequenz ist, dass Menschen mit Behinderungen schon aufgrund fehlenden Bewusstseins auf Barrieren stoßen, die leicht ausgeräumt werden könnten. Aus diesem Grund ist Inklusion ein zentraler gesellschaftlicher Auftrag, der noch stärker als bislang im Fokus der Öffentlichkeit stehen sollte.

In der Schiedsgerichtsbarkeit hat Inklusion lange nur eine untergeordnete Rolle gespielt; das Thema kommt nun aber vermehrt auf die Agenda. Das übergeordnete Ziel besteht darin, auch die Schiedsgerichtsbarkeit für Menschen mit Behinderungen zugänglich(er) zu machen. Die Internationale Handelskammer (ICC) hat hierbei eine Vorreiterrolle eingenommen und im Dezember 2021 die „Disability and Inclusion Task Force“ eingerichtet, die sich explizit mit der Integration von Menschen mit Behinderungen in der Schiedsgerichtsbarkeit befasst.[2] Das erklärte Ziel dieser Task Force ist es, die Streitbeilegung für Menschen mit Behinderungen integrativer zu gestalten sowie zu untersuchen und zu analysieren, wie die ICC den Bedürfnissen derjenigen gerecht werden kann, die möglicherweise Anpassungen oder Änderungen in ihrer Arbeitsweise benötigen. Dieser Beitrag soll über die Bemühungen der Schiedsinstitutionen hinaus praktische und möglichst konkrete Anregungen bieten, wie Lösungsansätze für die Förderung von Inklusion in der Schiedsgerichtsbarkeit aussehen könnten.

Die Bedeutung des Begriffs: Menschen mit Behinderungen

Ohne hier eine abschließende Definition des – soweit ersichtlich nicht allgemeinverbindlich definierten – Begriffs „Menschen mit Behinderungen“ vornehmen zu wollen, spielt ebendiese Definition eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung einer inklusiveren Schiedsgerichtsbarkeit und sollte somit ein erster Schritt auf dem Weg zur Inklusion sein. Eine Begriffsbestimmung schafft Klarheit und bildet die Grundlage für Konzepte, die darauf abzielen, die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu schützen und zu fördern.

Ein Verständnis des Begriffs schafft nicht nur Bewusstsein dafür, wer besondere Bedürfnisse im Rahmen von Schiedsverfahren hat oder haben könnte, sondern bietet darüber hinaus auch Schutz vor Diskriminierung und diskriminierenden Praktiken, da festgelegt wird, wer unter den Schutz des Begriffs fällt. Kurzum: Die Definition von „Menschen mit Behinderungen“ bildet die Grundlage einer inklusiven Schiedsgerichtsbarkeit. Wie auch immer der Begriff im Detail festzulegen sein mag, erscheint im Zweifelfall eine eher weite Definition angemessen, die insbesondere auch die zahlreichen unsichtbaren Beeinträchtigungen umfasst.

Inklusion im Rahmen bereits vorhandener Abläufe

Effizient und einfach umsetzbar ist es, im Rahmen bereits vorhandener Abläufe inklusive Konzepte zu etablieren. Dabei können etwaige persönliche Bedürfnisse der Betroffenen z.B. bereits in der am Beginn eines jeden Schiedsverfahrens stehenden Verfahrensmanagementkonferenz besprochen und im Laufe des Verfahrens ausreichend berücksichtigt werden. Auf diesem Weg wird von von Anfang an die Effektivität des Verfahrens (weiter) gesichert, indem Menschen mit Behinderung bei der Verfahrensgestaltung von vornherein gehört und integriert werden. Die in den Schiedsgerichtsordnungen vorhandenen Checklisten für die Verfahrensmanagementkonferenz, die bereits verschiedene Maßnahmen zur Steigerung der Verfahrenseffizienz vorsehen,[3] könnten z.B. um einen solchen Punkt ergänzt werden.

Die ICC Arbitration Rules sehen im Appendix IV als Case Management Technique vor, dass eine Verfahrensmanagementkonferenz u.a. mit dem Ziel abgehalten werden soll, die Einzelheiten der Verhandlung zu erörtern und zu vereinbaren.[4] Die Besprechung der persönlichen Bedürfnisse der Beteiligten und die hieraus resultierenden notwendigen Anpassungen der Verfahrensabhaltung gehören ebenso zu diesen Einzelheiten der Verhandlung. Um Betroffenen die Möglichkeit zu geben, ihre Bedürfnisse diskret zu äußern, ist es auch möglich, Inklusionsfragebögen zu entwickeln, die im Vorfeld jedes Schiedsgerichtsverfahrens ausgefüllt werden.[5]

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Auswahl von barrierefreien Orten für die Abhaltung der mündlichen Verhandlungstermine. Diese Auswahl erfordert eine sorgfältige Planung und Abstimmung, um sicherzustellen, dass die gewählten Orte für alle Verfahrensbeteiligten zugänglich sind. Da der Ablauf von Schiedsverfahren im Wesentlichen von den Parteien selbst bestimmt wird, kann die Barrierefreiheit eines Ortes bei der Auswahl jedoch von vornherein berücksichtigt werden, wenn z.B. ein solches Bedürfnis im Rahmen der Verfahrensmanagementkonferenz angesprochen wurde.

Gleichermaßen hilfreich und wichtig kann die Einführung von Standardrichtlinien für die Schulung der Beteiligten am Schiedsverfahren im Bereich Behinderung und Inklusion sein. Dies ist z.B. über die bei der ICC bereits eingerichtete Task Force oder ähnliche Zusammenschlüsse möglich. Standardrichtlinien helfen bei der Bewusstseinsschärfung und führen zu einem besseren Verständnis der Bedürfnisse der Betroffenen einerseits und der entsprechenden Lösungsansätze andererseits.

Unterscheidung von physischen und digitalen Barrieren

Denkt man an Inklusion, so mag man in erster Linie an physische Barrieren denken, denen Menschen mit Behinderungen im Alltag begegnen, wie etwa die einzig vorhandene Möglichkeit, über eine Treppe an den Bahnsteig für den nächsten Zug zu gelangen. Die Schaffung einer inklusiven Schiedsgerichtsbarkeit erfordert jedoch auch die Berücksichtigung von digitalen Barrieren. Denn die Digitalisierung stellt Menschen mit bspw. Seh-, Hör- oder kognitiven Behinderungen vor neue Herausforderungen, die nicht unbeachtet bleiben können. Bereits das Lesen einer digital eingereichten Schiedsklage oder die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung mit Videoübertragung kann ohne die Umsetzung inklusiver Konzepte problematisch und aufwendig sein. Eine Lösung für diese digitalen Barrieren besteht bpsw. in der Implementierung von automatischen Transkripten und Untertiteln, um die Kommunikation für Menschen mit Hör- oder Sehbehinderungen zu erleichtern. Darüber hinaus können Werkzeuge für Online-Zusammenarbeit und Videokonferenzen eine barrierefreie Teilnahme an Schiedsverfahren ermöglichen.

„Die Förderung der Inklusion in der Schiedsgerichtsbarkeit ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit und ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass Schiedsverfahren gerecht und zugänglich für alle sind.“ 

Ebenso wichtig ist es, eine formelle Strategie zur digitalen Inklusion zu entwickeln und umzusetzen. Diese Strategie sollte sich mit breiter Konnektivität, inklusivem Zugang und digitalen Fähigkeiten befassen. Dies beinhaltet insbesondere die Einbeziehung von Prozessen und Konzepten, die sich speziell auf Menschen mit Behinderungen beziehen und ihnen zugutekommen, wie etwa die Digitalisierung von Verfahren oder die Möglichkeit von Gerichtsauftritten per Videoübertragung. Diese Maßnahmen kommen letztlich nicht nur den Parteien des Schiedsverfahrens, sondern auch einem diversen Schiedsgericht oder Zeug:innen mit Behinderungen zugute. Auf diesem Wege wird insgesamt eine inklusivere Schiedsgerichtsbarkeit etabliert.

Zusammenarbeit mit Behindertengruppen und Behindertenverbänden

Für weitere Lösungsansätze, Konzepte und Möglichkeiten bei der Gestaltung einer inklusiven Schiedsgerichtsbarkeit bietet es sich für Schiedsinstitutionen an, mit Behindertengruppen und Behindertenverbänden in Kontakt zu treten. Hierbei kann einerseits proaktiv Feedback zu bereits etablierten Konzepten eingeholt und die Barrierefreiheit von Schiedsverfahren regelmäßig überprüft werden. Andererseits können Ideen gesammelt werden, wie die Inklusion in Schiedsverfahren weiter verbessert werden kann. Letztlich sind der direkte Kontakt und Austausch mit Menschen mit Behinderungen die effektivste Möglichkeit auf dem Weg zur inklusiven Schiedsgerichtsbarkeit.

Fazit

Die Förderung der Inklusion in der Schiedsgerichtsbarkeit ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit und ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass Schiedsverfahren gerecht und zugänglich für alle sind. Das Thema wurde in der Vergangenheit oft vernachlässigt, ist jedoch von entscheidender Bedeutung, um eine breitere und vielfältigere Gesellschaft in Schiedsverfahren einzubinden. Lösungen können äußerst kreativ sein und reichen von der Besprechung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in Verfahrensmanagementkonferenzen bis zur Implementierung von automatischen Transkripten. Ebenso wichtig ist der direkte Austausch mit den betroffenen Personen, um ihren individuellen Bedürfnissen effektiv gerecht werden zu können.

[1] Siehe Vermeidbare Behinderungen: Prävention schützt vor folgenschweren Erkrankungen, https://www.cbm.de/informieren/vermeidbare-behinderungen.html#:~:text=Weltweit%20gibt%20es%201%2C3,%C3%A4rmer%20als%20Menschen%20ohne%20Behinderungen (zuletzt abgerufen am 19. September 2023).

[2] Siehe ICC names new Disability and Inclusion Task Force leadership (03. Dezember 2021), https://iccwbo.org/news-publications/news/icc-names-new-disability-and-inclusion-task-force-leadership/#:~:text=The%20Task%20Force’s%20mission%20is,recommendations%20for%20increasing%20disability%20inclusion (zuletzt abgerufen am 19. September2023).

[3] Siehe etwa Anlage 3 zur DIS-Schiedsgerichtsordnung.

[4] Siehe Lit. g) des Appendix IV der ICC Rules: „Organizing a pre-hearing conference with the arbitral tribunal at which arrangements for a hearing can be discussed and agreed and the arbitral tribunal can indicate to the parties issues on which it would like the parties to focus at the hearing.

​[5] Abgefragt werden kann z.B.: Kann eine Person, die gehörlos ist, an Gerichtsverfahren mit Videoübertragung teilnehmen? Kann eine Person, die blind ist, Schriftsätze digital einreichen?

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Mehr aus dem ICC Germany Magazin Nr. 17 finden Sie >>hier.