Auf den ersten Blick
Ein Kommentator konstatierte, dass bei oberflächlicher Betrachtung die deutsche und die EU-Lieferkettengesetzgebung so charakterisiert werden könne: „Raider heißt jetzt Twix, nur, dass die Deutschen dieses Mal ausnahmsweise schneller waren“. Will heißen: andere Verpackung, anderer Name, identisches Produkt.
Und tatsächlich könnte man das annehmen. Dopplung bei den gesetzten Zielen, Dopplung bei den Maßnahmen (Risikoanalysen, Präventionsmaßnahmen, Abhilfeverfahren, Beschwerdemanagement, Dokumentation und Berichterstattung). Dopplung bei Überwachung und Durchsetzung der Sorgfaltspflichten (in Deutschland durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA) und ein veritabler Bußgeldkatalog bei festgestellten Verstößen.
Als Zugabe die in Deutschland seit der Etablierung des Deutschen Corporate Governance Kodex beliebten Appelle an die Einsicht der Unternehmen, man könne mit einem vorbildlichen Corporate Social Responsibility-Profil entscheidende Wettbewerbsvorteile erzielen. Umwelt-, Klima- und Menschenrechte in allen Facetten sind en vogue. Die Unternehmenskarawane setzt sich trotz Besorgnissen vor einem Lieferkettenbürokratiemonster und einer latent drohenden Effizienzlosigkeit des LkSG in Bewegung. Geschickt verpacktes „Greenwashing“ im Umweltbereich und „Cleanwashing“ (was Menschrechtsproblematiken betrifft) sind die ersten Anzeichen von Auswüchsen, die sich bei der Durchforstung der Liefernetzwerke bemerkbar machen.
Der EU-Richtlinienentwurf im Überblick
Vollständig korrekt heißt der Richtlinienentwurf „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937“, von interessierten Kreisen kurz EU-Lieferkettengesetz genannt.
Die EU-Kommission hat den 83-seitigen Text mit mehreren Ausführungen und Pressemitteilungen begleitet, die den Tenor haben, dass EU-weit horizontal Unternehmensregeln für die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in globalen Wertschöpfungsketen festgelegt werden sollen, um ein gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglich.
Unternehmen sollen verpflichtet werden, sich durch Nachforschung und Dokumentation über eventuelle negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte in ihrer gesamten Ausprägung (Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Ausbeutung, Unterdrückung von Arbeitnehmerrechten etc.) sowie auf Umweltaspekte (Verschmutzung, Gefährdung der Biodiversität, Klimaschädlichkeit etc.) klar zu werden und diese Folgen eigenen Tuns zu verhindern, abzustellen oder zu vermindern. Die Ermittlungsarbeit gelte es für die gesamte Lieferkette zu leisten, um mittels eines Dominoeffektes bessere Bedingungen für Mensch und Umwelt zu schaffen.
Mit dem Regelungsansatz entstehe Rechtssicherheit für betroffene Unternehmen und Wettbewerbsgleichheit auf Unternehmensebene (sog. level playing field). Für Verbraucher:innen und Investor:innen wachse die Transparenz hinsichtlich der Unternehmensaktivitäten.
Die neuen Sorgfaltspflichten sollen für EU-Unternehmen mit beschränkter Haftung gelten, die von erheblicher Größe und Wirtschaftskraft oder in bestimmten ressourcenintensiven Branchen tätig sind, sowie für in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, die die angesetzten Schwellenwerte der beiden Gruppen von EU-Unternehmen erreichen. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen nicht direkt dem Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags unterfallenMit umfasst sind auch die Tochtergesellschaften von Unternehmen und ihre Wertschöpfungsketten.
Um den Sorgfaltspflichten zu genügen, müssen Unternehmen tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt ermitteln, wobei in einem Annex zur Richtlinie völkerrechtliche Verträge, Vereinbarungen und Deklarationen aufgeführt sind, deren Regelungsgehalt mit den zu überprüfenden Lieferketten abzugleichen ist. Neben einem Beschwerdeverfahren müssen die Strategien zur Verhinderung oder Milderung negativer Auswirkungen kontrolliert und dokumentiert werden. Die zu erstellenden Berichte sollen der Öffentlichkeit zugänglich sein und für Transparenz sorgen.
Die EU-Kommission war sich dessen bewusst, dass einzelne Mitgliedstaaten (so z.B. die Niederlande, Deutschland und Frankreich) eigeninitiativ die Lieferkettensorgfaltspflichten national bereits geregelt haben. Allerdings war die Kommission der Meinung, man könne einem Regelungsgefälle und einer Rechtszersplitterung nur mit einer zentralen EU-Regelung begegnen. Die Rahmenbedingungen der Richtlinie sollten für alle Mitgliedstaaten gleich sein, während die Umsetzung im Detail den jeweiligen nationalen Regelungen überlassen bleibt. Aus diesem Grund hat man sich für den Erlass einer Richtlinie und nicht für eine direkt geltende Verordnung entschieden.
Die Hauptunterschiede zwischen dem deutschen LkSG und der EU-Richtlinie
Auffällig ist, dass das deutsche LkSG die Frage der zivilrechtlichen Haftung, also der Klagemöglichkeit Betroffener gegen Unternehmen, die ihre Sorgfaltspflichten vernachlässigt haben, ausspart. Dieses Manko ist einer der Hauptkritikpunkte an der deutschen Lösung, die – anders als etwa das Loi de Vigilance in Frankreich – als ‚zahnlos‘ bezeichnet wird. Die EU-Richtlinie hat ausdrücklich eine Klagemöglichkeit von Opfern – sowohl im Menschenrechts- als auch im Umweltbereich – bejaht und die nationalen Gesetzgeber verpflichtet, zivilrechtliche Haftungsmöglichkeiten im Falle erlittener Schäden zu eröffnen. In Deutschland würde sich das weite Feld der deliktischen Haftung anbieten, die für Lieferkettensorgfaltspflichtenverletzungen auch explizit als Gefährdungshaftungstatbestände ausgekleidet werden könnten, um die Klagenden von Beweislastproblemen zu entlasten. Haftende Unternehmen wären auch für Schäden verantwortlich, die aus unzureichenden Maßnahmen zur Vermeidung, Beseitigung oder Milderung von negativen Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte entstehen.
Mit der Schaffung dieser weitreichenden Haftungsgrundlage würde die EU-Version des Lieferkettengesetzes erheblich mehr Biss gegenüber der deutschen Bußgeldlösung erhalten. Das deutsche LkSG müsste in Umsetzung der EU-Richtlinie deutlich verschärft werden.
Die EU-Richtlinie bekennt sich ausdrücklich zu einer Verantwortung der Geschäftsleitungen der von der Richtlinie erfassten Unternehmen. Geschäftsführungen werden zur Vereinheitlichung der Unternehmensstrategie verpflichtet, für die Umsetzung und Überwachung der Sorgfaltspflicht und Einbindung der Nachhaltigkeitsbestrebungen in die Unternehmensstrategie zu sorgen. Auch wenn in Unternehmen zukünftig im Rahmen von CMS entsprechend Verantwortliche eingesetzt werden, zeigt doch die Rechtsprechung zu Compliance-Verstößen in Großunternehmen, dass aus derartigen Pflichten direkte Haftungsverantwortung erwächst.
Die Unternehmen von erheblicher Größe und Wirtschaftskraft müssen zusätzlich über einen Plan verfügen, mit dem sichergestellt wird, dass ihre Geschäftsstrategie die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 ° Celsius im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris berücksichtigt. Nachlässigkeiten in diesem Bereich werden angesichts der jüngst erfolgreich initiierten Klimaklagen zu weiteren Haftungsfällen führen.
KMU verschwinden nur scheinbar aus dem Fokus der Richtlinie. Ihre indirekte Betroffenheit ist augenscheinlich. Es werden an sie zwar keine direkten Forderungen gestellt, aber sie sind auch Teil verflochtener Lieferketten und werden im Rahmen von Prüfungen, Vorkehrungen und Veränderungen einen nicht geringen Teil der Anpassung an eine gerechte und nachhaltige Wertschöpfungskette leisten müssen.
Sind auf nationaler Ebene die dazu bestimmten Behörden mit der Kontrolle und Überwachung der Einhaltung der Regelungen betraut – für Deutschland wird das die BAFA bleiben – wird auf europäischer Ebene die Überwachung unter Einbeziehung von Expert:innen der nationalen Überwachungsbehörden gebündelt. Die Kommission erhofft sich dadurch eine stringent nach gleichen Kriterien arbeitende Exekutive, die nicht einfach eingereichte Berichte abheftet, sondern proaktiv unter Auswertung eingegangenen Beschwerden und Hinweise potenziellen Verstößen nachgeht.
Die Kommission schlägt eine Reihe flankierender Maßnahmen zur Unterstützung bei der Umsetzung der Richtlinienvorgaben vor, wie der Erlass von Leitlinien, Mustervertragsklauseln, Portale und Plattformen mit Informationen, FAQs, Veranschaulichungen etc.
Wertung und Ausblick
Mit der EU-Richtlinie, die sich auf dem Weg zwischen Ministerrat und Europäischem Parlament noch weiter verändern wird, erstarkt Corporate Social Responsibility, ein in der Vergangenheit „weiches und durchsetzungsschwaches Imageinstrument“ zu einer verbindlichen, haftungsbewehrten umfänglichen Sorgfaltspflicht in der gesamten Wertschöpfungskette, der sich kein Unternehmen entziehen kann.
Keine Frage – das deutsche LkSG hält alle notwendigen Ingredienzien eines Lieferkettengesetzes bereit, jedoch nicht in der notwendigen Konsequenz. Es muss nachgeschärft und angepasst werden.
Beklagt werden beim EU-Entwurf, dass nur annähernd 1 % der europäischen Unternehmen direkt erfasst werden und Sorgfaltspflichten auf ‚etablierte Geschäftsbeziehungen‘ beschränkt bleiben. Unternehmen werden auch keine klimabezogenen Sorgfaltspflichten auferlegt.
Man wird abwarten müssen, wie sich die endgültige Richtlinie präsentiert. Es bleibt spannend.
Mehr aus dem ICC Germany Magazin Nr. 15 finden Sie >> hier.
Bildnachweis: ©Yutthana Gaetgeaw – IStock 1264760010