Inhalt
Dr. Matthias Schlingmann

Dr. Matthias Schlingmann ist Partner der Kanzlei CMS Hasche Sigle in Hamburg. Er war Mitglied der Task Force der ICC Commission on Arbitration and ADR, die den Report „Resolving Climate Change Related Disputes through Arbitration and ADR” erarbeitet hat.

Ausgangspunkt

Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern, bedarf es schneller und weitreichender Veränderungen in den Bereichen Energie, Raumordnung, Stadtentwicklung und Infrastruktur (einschließlich Transport und Gebäude) und des industriellen Systems.“ (Sonderbericht des „Weltklimarats“ IPCC). Diese Veränderungen werden zu neuen Investitionen, neuen Verträgen und damit auch zu neuen Streitigkeiten führen.

Das ist der Hintergrund und Ausgangspunkt für den neuen Report der ICC Commission on Arbitration and ADR mit dem TitelResolving Climate Change Related Disputes through Arbitration and ADR“. Er hat zum Ziel zu untersuchen, welche Rolle Schiedsverfahren und alternative Streitbeilegung (z.B. Mediation) bei der Lösung von internationalen Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel spielen können und welcher Mittel es bedarf, um solche Streitigkeiten effizient beizulegen.

Klimaklagen vor Gerichten

Schon jetzt beschäftigen Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel zahlreiche Gerichte. So hat die Klage eines peruanischen Landwirts Aufsehen erregt, der versucht, einen deutschen Energiekonzern für Schäden haftbar zu machen, die ihm durch einen schmelzenden Gletscher in den Anden drohen. In den Niederlanden hat das Oberste Gericht in Den Haag auf eine Klage einer Umweltorganisation und von fast 900 Privatpersonen die Regierung verpflichtet, die Treibhausgasemissionen schneller als geplant zu senken. In den USA sehen sich nahezu alle großen Öl-Gesellschaften Klagen ausgesetzt, in denen die Kläger – zumeist Städte und US-Bundesstaaten – sie verpflichten wollen, sich an den Kosten für klimawandelbedingte Schutzmaßnahmen finanziell zu beteiligen.

Können Schiedsgerichte eine Rolle bei der Beilegung solcher oder ähnlicher Streitigkeiten spielen? Die Frage hängt irgendwie an dieser Stelle/vielleicht die Frage einführen wie z.B. Es stellt sich die Frage. Können Schiedsgerichte…?

Was sind „Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel“?

Der ICC-Report wählt bewusst einen weiten Ansatz. Als „climate change related disputes” ordnet er insbesondere Streitigkeiten ein, die:

  • aus Verträgen resultieren, die in Umsetzung der Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens geschlossen werden und z.B. der Umsetzung der Energiewende dienen,
  • aus Verträgen resultieren, die keinen direkten Bezug zum Klimawandel haben, aber gleichwohl Klimathemen betreffen,
  • aus Schiedsvereinbarungen resultieren, die mit dem Ziel abgeschlossen wurden, Klimawandel-Streitigkeiten beizulegen.

Zu der ersten Kategorie zählen beispielsweise Streitigkeiten aus Verträgen über den Bau und die Finanzierung von Projekten aus dem Bereich erneuerbare Energien, über den Rückbau von fossilen Kraftwerken oder über energetische Gebäudesanierung. Mit der zweiten Kategorie werden insbesondere Verträge erfasst, deren Durchführung von durch den Klimawandel veranlasster Gesetzgebung oder durch direkte Auswirkungen des Klimawandels beeinflusst wird. Die dritte Kategorie bildet den bisher eher seltenen Fall ab, dass die beteiligten Parteien nach Entstehen einer Streitigkeit mit Bezug zum Klimawandel gemeinsam entscheiden, den Streit vor einem Schiedsgericht beizulegen.

Bestandsaufnahme und Ausblick

Während Streitigkeiten, die sich unmittelbar aus dem Pariser Klimaabkommen ergeben, in der Praxis der ICC bisher noch keine Rolle spielen, liegt schon heute ein starker inhaltlicher Schwerpunkt der ICC-Schiedsverfahren in den Bereichen Anlagenbau (im Jahr 2018 rund 27 Prozent der neuen Fälle) und Energie (im Jahr 2018 rund 15 Prozent der neuen Fälle) und damit in den Bereichen, die gemäß dem Report des Weltklimarats im Zuge der Bekämpfung des Klimawandels den größten Veränderungen ausgesetzt sein werden.

Angesichts der bereits geplanten und der prognostizierten weltweiten Investitionen zur Eindämmung des Klimawandels, rechnet die ICC mit einem exponentiellen Anstieg von Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel. Sie ist dafür gut aufgestellt.

Vorteile von Schiedsverfahren

Die internationale Dimension des Klimawandels und die mögliche Beteiligung von Staaten oder staatlichen Einheiten an den zu erwartenden Streitigkeiten machen internationale Schiedsverfahren zu einem geeigneten Mechanismus für die Beilegung von Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel. Die ICC bietet dafür ein etabliertes neutrales Forum. So sind schon heute Staaten oder staatliche Einheiten häufig als Kläger in Anlagenbau- oder Energiestreitigkeiten an internationalen Schiedsverfahren der ICC beteiligt.

Schiedsverfahren bieten den Parteien die Möglichkeit, rechtliche, technische oder wissenschaftliche Experten im Bereich Klimawandel als Schiedsrichter zu benennen oder als Sachverständige an dem Verfahren zu beteiligen. Schiedsgerichte können die Verfahren gemeinsam mit den Parteien flexibel gestalten und auf die Natur oder den Gegenstand der Streitigkeit anpassen. Sie können ebenfalls Experten benennen und befragen und für die Auswahl geeigneter Experten auf das ICC Centre for ADR zurückgreifen.

Um Verfahren auf die Bedürfnisse von Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel anzupassen und die Streitigkeiten schnell zu lösen, verweist der Report auf verschiedene Case Management Techniken, zum Beispiel:

  • Schiedsgerichte können Verfahrensaspekte abtrennen und Teilentscheidungen zu spezifischen Klimawandel-Themen treffen;
  • es können Aspekte identifiziert werden, die den Klimawandel betreffen, die zwischen den Parteien oder ihren Experten unstreitig sind oder über die das Schiedsgericht allein anhand von Unterlagen entscheiden kann;
  • Schiedsgerichte können darauf hinwirken, dass die Parteien den Umfang von Schriftsätzen beschränken und sich auf spezifische Aspekte des Klimawandels konzentrieren;
  • Schiedsgerichte können die Parteien darin unterstützen, in Fragen, die den Klimawandel betreffen, eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Daneben können die Parteien, wo erforderlich oder gewünscht, die Transparenz der Streitigkeiten erhöhen, z.B. indem sie der ICC erlauben, regelmäßig abgestimmte Informationen zu dem Verfahren zu veröffentlichen. Zudem können sie Dritte in die Verfahren mit einbeziehen, z.B. indem sie Eingaben von NGOs (so genannte amicus curiae Schriftsätze) erlauben.

Fazit

Schiedsgerichte werden zunehmend eine wichtige Rolle bei der Beilegung von Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel spielen. Sie bieten den Beteiligten nicht nur ein neutrales Forum, sondern ermöglichen es ihnen auch, die erforderliche Expertise in die Verfahren einzubringen und die Verfahren so zu gestalten, dass sie ihren Bedürfnissen und den Anforderungen von Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel in besonderem Maße gerecht werden.

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 10, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.

Bildnachweis: © Thampapon – istockphoto.com