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Kai Goerlich

Kai Goerlich ist Chief Futurist und Zukunftsforscher im Innovation Center Network, der Innovationsorganisation der SAP.  Zum Aufgabenbereich gehört es, offen zu denken, Trends zu analysieren und daraus Zukunftsszenarien abzuleiten.  Der  Text ist keine abgestimmte Unternehmensposition, er gibt die persönliche Meinung des Autors  wieder sowie zentrale Ideen der globalen Zukunftsforschung.

Die meisten unserer Geschäftsmodelle und Produktionsweisen – und damit auch der internationale Handel – basieren immer noch auf den Ideen der dritten industriellen Revolution. Im Wesentlichen geht es um Innovation, Kosteneffizienz, Skalierung und Absatzmärkte. Während wir also noch weitgehend in den alten Strukturen denken, befinden wir uns mitten im Klimawandel und spätestens seit 2010 in einer beschleunigenden Digitalisierung und im Übergang in die sogenannte vierte industrielle Revolution. Dieser systemische Wandel wird nicht nur die Wirtschaft und ihre Produktions- und Arbeitsweisen verändern, sondern auch zu großen sozialen Veränderungen führen, wie wir bereits an den Diskussionen rund um Automatisierung und planetare Verantwortung erkennen können. Dieser Wandel ist im internationalen Handel noch nicht angekommen.  Er beruht weiterhin auf  Kriterien wie  Transaktionskosten, Lieferketten und Marktzugang. Im Folgenden möchte ich kurz auf die wesentlichen Einflussfaktoren eingehen, um anschließend vier mögliche Szenarien für den Handel der Zukunft aufzuzeigen.

Die beeinflussenden Faktoren

Die vorliegenden Analyse beschränkt sich auf die aktivsten von vielen Faktoren, die den internationalen Handel beeinflussen können.

Soziale Innovationen

Beginnen wir mit einem Denkrahmen, der unsere Innovationsfähigkeit limitiert: Wir denken und handeln wie Flachländer. Wir weigern uns anzuerkennen, dass wir, mit der Ausnahme des Sonnenlichts, tatsächlich auf einer Kugel mit begrenzten Ressourcen leben. Bisher haben wir alternative Wirtschafts-und Gesellschaftskonzepte kaum ausprobiert aber der gesellschaftliche Wandel scheint in Gang zu kommen, vor allem weil uns nur noch wenig Zeit bleibt – laut des Wissenschaftsmagazins New Scientist gerade noch zwölf Jahre – und der Klimawandel in der täglichen Erfahrung angekommen ist. Unser Ressourcenverbrauch liegt bekannterweise schon seit Jahrzehnten über dem was die Erde eigentlich hergibt. Ohne Frage wird der Klimawandel und werden Ressourcenengpässe den Handel direkt negativ beeinflussen. Wir werden neu definieren müssen, wie wir insgesamt mit natürlichen Ressourcen umgehen, was Handel und Wirtschaft in der Zukunft ist und wir werden zusätzlich zu den technischen auch soziale Innovationen benötigen.

Konsum mit Nachhaltigkeit

Die Erwartungen und das Verhalten der Konsumenten scheinen der Nachhaltigkeit entgegen zu laufen, wonach  das Einkaufen  ein Erlebnis sein sollte:  leichtfüßig, von intelligenten System unterstützt, und mit dem besten Preis. Konsumenten ändern sich und wollen aber auch zunehmend faire und nachhaltige Produkte. Sie sind bereits, ihr Verhalten zu ändern und Konsum zu reduzieren, wie der steigenden Anteil an Bioprodukten und einer Sharing Economy zeigt. Einkaufsverhalten und Nachhaltigkeit widerspricht sich nur dann, wenn wir gedanklich in der Logik der vergangenen Jahre bleiben. Angesichts der erfahrbaren Klimakrise können wir davon ausgehen, dass in fast jedem politischen System strengere Regeln für Nachhaltigkeit eingeführt werden.

Spezialisierungen

Die Globalisierung hat den menschlichen Fußabdruck vergrößert und Millionen von Menschen aus der Armut geholt. Viele Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika haben schnell aufgeholt und das globale Spielfeld ist deutlich nivellierter als früher. Der Erfolg hat auch in diesen Ländern zu steigenden Lohnkosten geführt, was sie weniger attraktiv für Outsourcing macht, und die zunehmende Automatisierung, vor allem die schnellen Fortschritte in der Robotik, werden die Produktionskosten in allen Ländern weiter senken. Global gesehen werden die Arbeitskosten nicht mehr der entscheidende Standortfaktor sein werden. Die künftigen Wertschöpfungsketten werden zunehmend auf Spezialwissen und hochqualifizierter Arbeit aufbauen.

Regionalisierung

Der grenzüberschreitende Austausch von Waren und Dienstleistungen hat in den letzten Jahren an Dynamik verloren. Wertschöpfungsketten, beispielsweise in der Automobilbranche oder in der Elektronik, werden regionaler, ,  und die Märkte z.B. in Asien konsumieren einen zunehmend höheren Anteil der dort produzierten  Produkte selbst. Hinzu kommt, dass der Dienstleistungstransfer  schon heute wesentlich schneller wächst  als der Warenhandel, zudem mit einer deutlich höheren ökonomischen Wertsteigerung. Ein Szenario, das mehr auf Dienstleistungstransfer als auf Güteraustausch und auf einer zunehmend  regionalen Produktion basiert, die nur noch bestimmte Ressourcen global einkauft, ist daher durchaus plausibel.

Digitale Transformation

Die Digitalisierung, Technologien wie Internet of Things, Cloud Computing, Machine Learning, Blockchain und 5G,   werden  die Transformation der Wirtschaft und des internationalen Handels vorantreiben. Einer der bereits erkennbaren Faktoren wird die zunehmende Unabhängigkeit von Maschinen sein, wobei „Maschine“ ein Roboter, ein Gerät, ein Auto, ein Algorithmus oder eine Nanomaschine sein kann. Die Automatisierung läuft bereits seit Jahrzehnten aber seit den ersten Schritten in Richtung künstliche Intelligenz durch maschinelles Lernen (machine learning) sehen wir eine signifikante Veränderung: Maschinen und Software sind zunehmend in der Lage, selbstständig zu lernen und sich Fähigkeiten anzueignen, die bisher uns Menschen vorbehalten waren. Der internationale Handel wird zu großen Teilen digitalisiert werden und einen Funktionswandel bei der Preisfindung, im Einkauf, in der Logistik und Verkauf erleben.

Handelssysteme sind auch Datenströme und Technologien wie Blockchain und Algorithmen werden den Datenaustausch grundlegend verändern und neue Geschäftsmodelle möglich machen, unter anderem Ideen der sharing economy. Ein mögliches Szenario besteht darin, dass in den nächsten Jahren ein Großteil der Lieferketten holistisch abgebildet und der Daten- und Wissensaustausch entlang der Wertschöpfungsketten frei laufen wird, vermutlich durch eine Kombinationen von Mensch und Maschine. Was früher die Seidenstraße war, werden dann diese neuen Wissensströme sein. Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass das Universum physisch ist, d.h. wir werden eine Symbiose aus realen Produkten und digitalen Inhalten erleben. Auch nicht ignorieren sollten wir, dass die Digitalisierung keineswegs kostenlos zu haben ist, denn der Energieverbrauch dürfte weiter steigen.

Die Zukunftsmatrix

Die vorliegenden Zukunftsmatrix wurde anhand der Achsen Kooperation und Nachhaltigkeit entwickelt. Die Kombination aus Klimawandel und zunehmender Ressourcenknappheit einerseits und der Übergang in die nächste industrielle Revolution andererseits kann zu vier Szenarien führen, die sich im Grad der Abschottung bzw. internationalen Kooperation unterscheiden. Jedes dieser Szenarien hat unterschiedliche Auswirkungen auf den Handel

Nationale Abschottung

In diesem Szenario werden der Klimawandel, die Ressourcenknappheit und die Vernetzung der Wirtschaft weitgehend ignoriert. Der Fokus liegt auf den jeweiligen nationalen Ökonomien, bei denen das eigene Wachstum und die Sicherung der heimischen Arbeitsplätze –wenn nötig  auch auf Kosten anderer Länder  im Vordergrund steht. Wir können diese Bewegung bereits in einigen Ländern deutlich erkennen, wie beim Brexit Großbritanniens und dem Handelskrieg zwischen China und USA. Die Begründungen stammen aus der Zeit der klassischen industriellen Revolution, in der einige wenige Nationalstaaten die Weltwirtschaft dominierten. Unter diesen Bedingungen wird die IT auch zur Kontrolle und Absicherung der nationalen Wachstumsstrategie eingesetzt. Der internationale Handel wird von Blockaden, Brüchen in Lieferketten und steigenden Preisen beeinflusst.

Flexible Machtblöcke

Dieses Szenario ähnelt dem obigen, d. h. Klimawandel und Ressourcenknappheit werden ebenfalls weitgehend ignoriert, nur kooperieren hier die Länder in flexiblen Allianzen. Der internationale Handel wird unter diesen Bedingungen  starken Schwankungen unterzogen sein, weil sich die Partnerschaften sehr schnell ändern und die einzelnen Mitspieler ihre jeweiligen nationalen Stärken, also Zugriff auf Ressourcen und Märkte, Schlüsseltechnologien und digitale Plattformen, handelspolitisch (und vermutlich realpolitisch) ausspielen. Auch hierfür ist der Handelskrieg zwischen den USA und China ein Beispiel. Der Handel wird mit vielfältigen Störungen der regionalen und globalen Wertschöpfungsketten rechnen müssen. Eine mögliche Strategie wäre, neue strategische  Handelsallianzen aufzubauen, die eine Alternative zur Politik der nationalen Stärke  darstellen.

Kreislauf der kritischen Ressourcen

In diesem Szenario reagieren die Länder aktiv und kooperativ auf die Ressourcenknappheit, indem sie die Produktion von  und den Handel mit  kritischen Ressourcen als globale Kreislaufwirtschaft (circular economy) umsetzen.  Die Ressourcenknappheit würde  also die  Machtinteressen übersteigen und setzt die Akzeptanz für Veränderungen und ggf. Preiserhöhungen bei Verbrauchern voraus. Da in diesem Szenario e Teile der Wertschöpfungsketten neu aufgebaut werden müssten, könnte über den  internationalen Handel ein alternatives und parallel laufendes System etabliert werden, das sich zumindest beim Handel mit  kritischen Ressourcen an Nachhaltigkeit und Fairness orientiert. Aufgrund der Komplexität der globalen Lieferketten, wird sich dieses Szenario nur mit IT, unterstützenden Algorithmen und abgesicherten Datenströmen umsetzen lassen.

Jenseits der Industrialisierung

in diesem Szenario verlassen wir die produktionsbasierte Wirtschaft der klassischen Industrialisierung. Das Zusammenspiel zwischen Klimawandel, neuen Technologien wie 3D Drucken, zunehmenden Anteil an Dienstleistungen und global koordinierte Lieferketten, wird zu einer weitgehend lokalen Produktion inklusive Kreislaufwirtschaft führen. Der Handel wird zu einem globalen Austausch von Daten und Wissen und parallel stark lokalisiert und personalisiert agieren, weitgehend unabhängig von der Politik. Die politischen Systeme werden sich daher außerhalb der klassischen Wirtschaft neu definieren.

Fazit und Ausblick

Die vorliegenden Szenarien zeigen, dass die Zukunft des internationalen Handels zwar abhängig vom politischen (Un)Willen der Länder ist, dass aber der zunehmende Klimawandel und seine  Auswirkungen und die immer stärkere Bewegung aus der klassischen industriellen Revolution heraus, eine vermutlich größere Wirkung entfalten werden. Für die Akteure der Wirtschaft kann dies eine Chance sein, der momentanen politischen Vereinnahmung zu entgehen und eine sich schnell verändernde, nachhaltig agierende Gesellschaft mitzugestalten, in der Arbeit, Erwerb und Handel neue Ideen folgen werden.

 

Der Beitrag ist im ICC-Germany-Magazin, Nr. 9, erschienen. Mehr über unser Magazin erfahren und kostenfrei abonnieren.